US-Präsident Barack Obama hätte es besser wissen müssen. In Südostasien küsst man sich in der Öffentlichkeit nicht – schon gar nicht zwischen Männern und Frauen. Sein herzlich gemeinter Kuss an Myanmars Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi löste Befremden aus und hätte das folgende Gespräch negativ beeinflussen können. Suu Kyi zuckte leicht zurück und der Staatsmann selbst entschärfte seinen Fauxpas mit einer leichten Umarmung und einer entschuldigenden Bemerkung.

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In der heutigen dreidimensionalen Welt ist interkulturelle Kompetenz (cross culture competence) nicht mehr wegzudenken. Obamas eigene Wurzeln liegen in Kenia, Hawaii und Indonesien; alles ganz unterschiedliche Kulturen, was zum Beispiel das Berühren in der Öffentlichkeit betrifft. Obama hätte also schon von sich aus sensibler agieren müssen.

Aber die Branche ist ja auch noch jung. Interkulturelle Kompetenz wird erst seit den 1950er-Jahren intensiver studiert. Hervorgetan haben sich der 2009 verstorbene Amerikaner Edward T. Hall sowie die beiden Holländer Geert Hofstede und Fons Trompenaars. Alle drei versuchten, die Komplexität der Völker zu verstehen und sinnvoll einzuordnen. Hofstede teilte die Kulturen auf, unter anderem nach Weiblichkeit/Männlichkeit oder Individualismus/Kollektivismus, Hall sah vergangenheits- und zukunftsorientierte Nationen, Trompenaars spracht von Kulturen mit partikularistischen gegen universelle Interessen. Jeder Gelehrte versuchte also, die kulturellen Eigenheiten einzuordnen, so wie auch weitere Cross-Culture-Vordenker, etwa der deutsche Philosoph Ferdinand Tönnies, der bereits 1887 in seinem Werk «Gemeinschaft und Gesellschaft» über das Thema schrieb.

Modell nach Richard Lewis

Einer, der sich in der Globalisierung auskennt, ist der Engländer Richard Lewis. Durch sein jahrzehntelanges Engagement in Sprachschulen lernte er Menschen aller Kulturen kennen und initiierte mit Unterstützung von mehreren Universitäten ein globales «Self-Assessment»-Programm, das über kulturelle Faktoren forscht. Die Daten betreffen nicht nur Rasse, Sprache und Religion, sondern auch ganz persönliche Bereiche wie Status, Selbstwertgefühl, Sitten und Tabus, Vorurteile und Klischees, Kommunikationsmuster, Hörgewohnheiten und Verhandlungsstile.

Er analysierte alles und kreierte dann das sogenannte Lewis-Modell. Seinen Erfahrungen zufolge lassen sich weltweit, unabhängig von Politik und Religion, drei grobe kulturelle Gruppen festlegen: Die überlegten, kühlen und planenden Linear-Aktiven wie Norweger, Deutsche oder wir Schweizer; die emotionalen, impulsiven und kreativen Multi-Aktiven wie Nigerianer, Brasilianer oder Italiener; die ausgleichenden und kompromissfreudigen «Re-Aktiven» wie Koreaner, Japaner oder Vietnamesen. Während die genannten Länder ihren jeweiligen Gruppen relativ deutlich angehören, gibt es andere, die sich zwischen zwei Gruppen bewegen. Zum Beispiel die Inder, die einerseits multiaktiv sind (also farbig, lärmig, emotional) und anderseits klare reaktive Eigenschaften besitzen (etwa Geduld, Freundlichkeit, Respekt gegenüber Vorgesetzten).

Natürlich sind das Durchschnittswerte. Einzelne Personen können aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Erfahrung durchaus atypisch sein. Aber die grossen Tendenzen sind deutlich. Und genau auf diese Informationen sind global engagierte Firmen und Verbände angewiesen. Wer in China, Senegal oder Peru expandieren möchte, braucht mehr Wissen als nur ein paar Höflichkeitsfloskeln in deren Sprache.

Konzernchefs können nicht mehr Millionen investieren, ohne vorher sicherzustellen, dass ihr Auftreten in einem neuen Markt den dortigen Gepflogenheiten entspricht. Personalverantwortliche wollen nicht mehr Firmenrepräsentanten in ein neues Land schicken, ohne deren interkulturelle Kompetenz für die dortigen Regeln getestet und für gut befunden zu haben. Denn sonst droht schlicht das Fiasko. Ein Engagement der Missverständnisse, verlorene Monate oder Jahre und letztlich Enttäuschung für alle Beteiligten – auch die Aktionäre. Interkulturelle Kompetenz hilft also zu verhindern, in einem neuen Markt nicht schon von Beginn weg spiel-entscheidende Fehler zu machen.

Richard Lewis und seine Organisation haben in den vergangenen Jahren mehr als 500 Unternehmen und Organisationen beraten, beispielsweise die Weltbank, Rolls-Royce oder Finnair. Dabei haben über 70 000 Menschen interkulturelles Wissen erhalten, das sie bei ihrer Arbeit einsetzen können. Michael Gates, Geschäftsführer von Richard Lewis Communications, sagt dazu: «Interessant ist aber, dass 80 Prozent aller Senior Executives überzeugt sind, dass interkulturelle Kompetenz notwendig ist. Aber entsprechende Massnahmen unternehmen nur knapp ein Drittel davon.» An sich unverständlich beim laufenden Globalisierungsprozess.

Cross Culture Competence

Die Aus- und Weiterbildung darin ist für alle im weltweiten Kontakt stehenden Personen relevant. Wer über einen neuen Markt recherchiert, sollte dessen kulturellen Werte und Verhaltenskodexe in seine Analyse einbauen. Wer als Verkäufer einen Markteintritt vornimmt, zum Beispiel an einer Fachmesse, kann sich mit interkulturellem Wissen besser ins Verkaufsgespräch einbringen. Verwaltungsräte, die über Investitionen in fremden Ländern entscheiden müssen, und die weichen Faktoren wie Mentalität oder Status kennen, können zuverlässiger entscheiden. Direktoren, die dann eine Aussenstelle und die dortigen Mitarbeitenden leiten, können mittels Cross Culture Competence schneller Zugang finden sowie effizienter führen. Und, nicht zuletzt, auch der «fremde» Kunde kann besser bedient werden oder der «fremde» Lieferant näher an die Firma geführt werden.

Zu wissen, wer in einer interkulturellen Geschäftsverbindung die wirklich richtige Ansprechperson ist, wem man in die Augen schauen darf, wann eine öffentliche Kritik angebracht ist, wer im Gespräch unterbrechen darf und warum sich jemand nicht öffentlich äussert, sind wertvolle Werkzeuge. Zu verstehen, welche Position die Frau im jeweiligen Kulturkreis einnimmt, wann die Religion im Betrieb relevant wird, über welche Themen man besser schweigt oder wie unterschiedlich verbale gegenüber gedruckten Instruktionen verstanden werden, können die Leistung entscheidend beeinflussen.

Interkulturelle Kompetenz, ob über Myanmar, Panama oder auch über die BRICS-Staaten, trägt entscheidend zum erfolgreichen internationalen Erfolg bei.

 

Praxis Beispiele: Die Erfahrungen zweier schweizerisch geprägter Unternehmen

Befürworter
Der japanisch-schweizerische Pharma-Konzern Takeda und die Conzzeta-Tochter FoamPartner sind zwei Betriebe, die ihren Angestellten interkulturelle Weiterbildung anbieten.

Takeda
Marit Gjesme, Verantwortliche für Takedas interne Akademie, erklärt: «Durch Takedas Übernahme 2011 des Schweizer Pharmakonzerns Nycomed waren die Japaner plötzlich in über 70 Ländern aktiv. Zuerst mussten also die japanischen und europäischen Firmenkulturen zusammengefügt und dann das Ganze in den neuen globalen Auftritt überführt werden. Takeda hat eine Firmengeschichte von 230 Jahren und bei heute 30 000 Angestellten rund um den Erdball ist diese interkulturelle Verschmelzung eine enorme Aufgabe. Unser Weiterbildungsprogramm gilt deshalb nicht nur den Japanern, die heute am Übersee-Hauptsitz in Opfikon ZH arbeiten, sondern auch den vielen internationalen Arbeitsgruppen, die an bestimmten Projekten teilweise virtuell zusammenarbeiten.»

FoamPartner
Martin Eggli, Personalchef der FoamPartner-Gruppe in Wolfhausen ZH, sagt: «Wir sind globaler Marktführer in der Polyurethan-Schaumstofftechnologie und mit 500 Angestellten an zehn Standorten rund um die Welt vertreten. Dabei haben vor allem die Märkte in Asien-Pazifik Potenzial für uns. Um zum Beispiel mit den Chinesen zu arbeiten, sowohl mit unseren dortigen Angestellten als auch mit unseren lokalen Kunden, müssen wir uns intensiv einlernen. Dabei ist nicht die Sprache das grösste Handicap, sondern die unterschiedliche Weltanschauung sowie ein anderes Verständnis von Zeit, Erfolg, Teamwork, Arbeitsmoral oder Lebensziele. Je näher wir zueinander finden, desto erfolgreicher können wir zusammenarbeiten.»