Die britischen Wahlen sind vorbei. Der von Premierministerin Theresa May erhoffte erdrutschmässige Wahlsieg ist ausgeblieben. Stattdessen regiert nun wohl ein loses Bündnis aus konservativen Engländern und erzkonservativen Nordiren das Vereinigte Königreich. Damit ist nicht nur die Verhandlungsposition der Briten in den anstehenden Brexit-Verhandlungen mit den Europäern geschwächt. Auch der Friedensprozess zwischen Katholiken und Protestanten im Norden Irlands scheint nun noch gefährdet.

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Katerstimmung herrscht in Grossbritannien. Die Realität beginnt der «Wer will, der kann»-Mentalität der Populisten einen unangenehm ehrlichen Spiegel entgegen zu halten. Tatsächlich ist es nun ein Jahr her, dass die Briten sich in einer knappen Volksabstimmung für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden haben. Ein Jahr, in dem erstaunlich wenig passiert ist. Das von den Europaskeptikern prognostizierte Auseinanderbrechen der Eurozone ist ein weiteres Mal ausgeblieben. Im Gegenteil: die Europagegner haben bei den Schlüsselwahlen in den Niederlanden und Frankreich deutlich verloren und auch wirtschaftlich steht Europa aktuell sehr gut da.

Politische Katerstimmung beeinflusst Wirtschaft

Und in Grossbritannien selbst? Da die Regierung May sich biesher nur um verhandlungstaktische Fragen gekümmert hat, ist realwirtschaftlich erst einmal wenig passiert. Lediglich die City of London ist aufgeschreckt. Zu deutlich ist die Bedeutung eines freien Marktzugangs für Banken und Vermögensverwalter für den Finanzplatz London, als dass man das Thema ignorieren könnte. Wichtigste Folge: Das eh schon schwache Pfund ist nach dem Brexit-Entscheid nochmals gut 10 Prozent schwächer geworden. Ohne dass dies gross positive Effekte auf die kaum noch existente Industrie gehabt hätte, zahlt der Konsument die Zeche. In Grossbritannien beträgt die Inflation mittlerweile 2.7 Prozent. Zum Vergleich: In der Eurozone sind es gerade einmal 1.4 Prozent.

Die scheinbare Ruhe in der Realwirtschaft könnte nun aber bald der Vergangenheit angehören. Hintergrund dieser Befürchtung ist die Sorge, dass die politische Katerstimmung auch zunehmend die wirtschaftliche Einschätzung der Konsumenten und Unternehmer beeinflussen könnte. Das liegt zum einen an der gestiegenen Inflation, welche die real verfügbaren Einkommenszuwächse wie Butter in der Sommersonne schmelzen lässt. Zum anderen müssen wir befürchten, dass die nun anlaufenden Verhandlungen mit der EU Konsumenten und Unternehmer zunehmend verunsichern könnten.

Harter Brexit ist immer noch am wahrscheinlichsten

Kurzfristig haben sich damit auch die wirtschaftlichen Aussichten Grossbritanniens deutlich verschlechtert. Tieferes Konsumentenvertrauen und vor allem zurückhaltende Investitionen der Unternehmen sind der Stoff, aus dem Rezessionen gemacht werden. Und langfristig?

Auch nach den Unterhauswahlen scheint der wahrscheinlichste Ausgang der Verhandlungen mit der EU immer noch ein harter Brexit. Den Briten läuft schlicht und einfach die Zeit davon, ein für sie vorteilhaftes Verhandlungsergebnis zu erreichen. Und natürlich gibt es eine Reihe von Regierungen in der EU, die kein Interesse daran haben, einem austrittswilligen Staat entgegen zu kommen. Für uns in der Schweiz ist der EU-Austritt der Briten damit so etwas wie ein spannendes Experiment. In den kommenden Jahren werden wir sehen, wie gross die Nachteile eines Ausscheidens aus dem europäischen Binnenmarkt wirklich sind. Für den Ökonomen ist das sehr aufregend. Normalerweise sind Experimente an Menschen aber aus gutem Grund verboten.