In der internationalen Finanzszene wird ein Thema immer wichtiger: «Islamic Banking» oder «Islamic Finance» - Finanzgeschäfte, die im Einklang mit den Vorschriften des Islam stehen. Beim jüngsten Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) in Ankara ergriff Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Initiative. Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) sollten prüfen, ob und wie man diese Geldanlagen einsetzen könne, um mehr Investitionen zu fördern.

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Selbst chinesische Unternehmen machen sich mittlerweile die wachsende Bedeutung islamischer Finanzierungsmodellen zunutze. Der Flughafen- und Airline-Betreiber HNA will über eine islamische Anleihe, einen sogenannten «Sukuk», rund 150 Millionen Dollar einsammeln. Ein weiterer Islam-Bonds über 500 Millionen Dollar soll noch vor Jahresende folgen. «Dies ist nur der Anfang für islamische Finanzdienstleistungen in China», sagt Andrew Kinai, Geschäftsführer der Shariah Advisory Group in Genf, die als Berater bei dem Geschäft agierte.

Zins- und Spekulationsverbot

Der wichtigste Grundsatz für Geldgeschäfte im Koran ist das Zinsverbot («Riba»). Damit sind konventionelle Kredite tabu. Verpönt sind aber auch Spekulationen, Glücksspiel und Wetten («Gharar» und «Maysir»). Spekulativen Termingeschäften ist ein Riegel vorgeschoben, da Finanztransaktionen nicht mit einem übermässigen Risiko verbunden sein dürfen. So sind Wetten auf Aktienentwicklungen oder auf Devisenkursverläufe ebenso wenig vereinbar mit dem Glauben wie Derivate oder Verbriefungen. Auch Geldanlagen in der Rüstungs-, Tabak-, Porno- oder Alkoholindustrie darf es nicht geben. Selbst Versicherungen sind problematisch.

«Das 'Islamic Banking' stützt sich darauf, dass die Finanzwirtschaft immer Hand in Hand geht mit der Realwirtschaft», erklärt Souheil Thabti, der am Institut für islamische Theologie an der Universität Osnabrück an seiner Doktorarbeit zum Thema sitzt. Jedes Geldgeschäft beziehe sich auf ein reales Gut - etwa auf Gold, ein Auto, eine Maschine oder ein Haus. Konkret heisst das: Will sich ein Kunde Geld für ein Auto leihen, erwirbt die Bank den Wagen für ihn und verkauft diesen dann in Raten und mit einem Aufschlag weiter - aber ohne Zinsen.

«Das Risiko dieser Art von Geschäft ist weitaus geringer, weil immer ein konkretes Handelsgeschäft dahintersteht», so Thabti. Das Finanzsystem könne damit nicht derart ausser Kontrolle geraten wie in der weltweiten Branchenkrise. Und durch die direkte Koppelung mit der Güterwirtschaft könne das Volumen des Finanzsektors nicht auf ein Vielfaches der realen Wirtschaft hinauswachsen. In der Krise von 2007/08 waren viele Geldhäuser in Schieflage geraten, weil sie sich mit Derivaten und Verbriefungen verhoben hatten.

Deutschland ist noch eine Wüste für islamische Geldgeschäfte

In Deutschland sind islamische Finanzierungen noch unüblich. «Für uns ist das kein Boom-Thema», ist in der Finanzbranche zu hören. Die Sparkassen winken ab: «Vor einigen Jahren gab es einmal ein Projekt, wo man sich über islamkonforme Produkte Gedanken gemacht hat», erinnert sich ein Sprecher des Sparkassenverbandes DSGV. «Aber das wurde nie gross nachgefragt. Offenbar gibt es keinen Bedarf.» Mit dem jetzigen Strom von Flüchtlingen, vor allem aus Syrien, könnte sich das allerdings ändern.

Die Commerzbank bietet in der Vermögensverwaltung - also für Kunden mit in der Regel sechsstelligen Anlagebeträgen - bereits scharia-konforme Produkte an. "Dafür gibt es durchaus Nachfrage", vor allem in den Golfstaaten, wo die Commerzbank engagiert ist. Scharia-Kredite hat sie für normale Privat- und Geschäftskunden jedoch nicht im Programm.

Die Finanzaufsicht Bafin hatte vor drei Jahren selbst eine Konferenz zum «Islamic Banking» veranstaltet. «Die deutsche Aufsichtsgesetzgebung ist weltanschaulich neutral», hatte die damalige Behördenchefin Elke König betont. Ob ein Kredit mit oder ohne Zins angeboten wird, ist für die Aufseher dementsprechend unerheblich. Doch wer rückzahlbare Kredite anbietet, braucht eine Banklizenz.

Und es hat 27 Monate gedauert, bis das erste islamische Institut in Deutschland, die KT Bank, im Frühjahr ihre Lizenz erhielt. Im Juli eröffnete sie ihre erste Filiale in Frankfurt, gleich neben der Börse. Hinter der Kuveyt Türk Bank stehen kuwaitische und türkische Kapitalgeber. Bis Ende 2017 wolle sie einen Stamm von 20.000 Geschäfts- und Privatkunden aufbauen, sagt KT-Bank-Chef Kemal Ozan der Nachrichtenagentur Reuters. «Ausserdem planen wir den Ausbau unseres Filialnetzes in deutschen Grossstädten mit acht bis zehn Filialen.» Neben Frankfurt ist sie schon in Berlin und Mannheim vertreten, wo es grosse islamische Minderheiten gibt. Noch in diesem Jahr soll Köln folgen, und auch die Expansion in Länder wie die Niederlande oder Frankreich hat Ozan schon im Blick.

Nicht nur für Muslime

«Das Potenzial für 'Islamic Banking' in Deutschland ist mit 4,3 Millionen Muslimen, die hierzulande leben, sehr gross», erklärt Ozan. Die Mehrheit davon ist türkischstämmig. Doch nur fünf Prozent davon nutzten islamische Finanzprodukte. Selbst in der Türkei ist die Muttergesellschaft der KT Bank nur die Nummer zwölf, die meisten Türken setzen auf Geldhäuser nach westlichem Stil. Daher hat Ozan hierzulande auch nicht-muslimische Bürger im Blick: «Wir sprechen mit unserem Angebot alle Menschen gleich welcher Herkunft oder Religion an.»

Weil die Nachfrage bislang nicht sehr gross war, hat es in Deutschland lange gedauert, bis die erste islamische Bank an den Markt ging. Die erste Generation von Muslimen, die aus der Türkei, Algerien und anderen Ländern kam, ging zumeist noch davon aus, bald wieder in die Heimat zurückzukehren, wie Thabti von der Universität Osnabrück erinnert. Finanzielle Spielräume für grössere Geldanlagen hätten die meisten nicht gehabt. Erst als es ihnen besserging und eine neue Generation mit Bleibeperspektive nach Deutschland kam, sei der Bedarf an islamischen Finanzprodukten gestiegen.

Das etwas andere Sparbuch

«Das gilt insbesondere, wenn man sich häufiger damit befasst, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen», erklärt Thabti. Bei der Bank um die Ecke gab es da nur das konventionelle Baudarlehen, das «aus islamischer Sicht nicht zulässig» ist. Doch das klassische islamkonforme Modell würde in Deutschland zwei Mal Grunderwerbssteuer kosten. Deshalb hat die KT Bank es modifiziert: Bank und Kunde kaufen - meist in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) - das Haus nun gemeinsam. Das Geldinstitut verkauft dem Kunden dann über eine längere Laufzeit ihren Anteil an der Immobilie mit einem Aufschlag. Auch ein Sparkonto funktioniert anders als gewohnt. Der Kunde erwirbt von der Bank einen Anteil an einer islamkonformen Investition in der Realwirtschaft und erhält dafür dann eine Gewinnbeteiligung.

Einen weltweit gültigen Gütestempel für islamische Produkte gibt es nicht. Bei einem Haus wie der KT Bank wacht ein Ethikrat oder "Scharia Board", dass islamische Grundsätze eingehalten werden. «Auch andere Banken haben ihre Besonderheiten», so die Bafin. «Diese Besonderheiten müssen aber immer im Einklang mit den aufsichtsrechtlichen Regelungen stehen. So muss beispielsweise bei einem Ethikausschuss sichergestellt sein, dass durch ihn nicht die Alleinverantwortlichkeit der Geschäftsleitung berührt wird.»

In der Praxis ist die Frage, ob ein Finanzprodukt dem Koran entspricht oder nicht, oft umstritten. Diese «Meinungsvielfalt» sei auch ein «Reichtum», rechtfertigt dies Thabti. Es gebe zwei grosse Lager - eines, das die Kriterien eher formalistisch anwendet und eines, das die Absicht beurteilt, die hinter einem Produkt steht. Da kann es vorkommen, dass ein Gelehrter das Bankprodukt als koran-konform einschätzt, ein anderer aber ein «Scheingeschäft» sieht, um eine Transaktion ohne realwirtschaftlichen Wert islamischen Grundsätzen anzupassen.

Riesiges Potenzial

Trotz aller Unwägbarkeiten und Besonderheiten: Mit mehr als 1,6 Milliarden Muslimen in der Welt ist das Marktpotenzial für islamische Finanzgeschäfte riesig - und auch eine weitgehend unerschlossene Quelle, um private Mittel für Investitionen anzuzapfen, die die G-20-Länder weltweit hochfahren wollen. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg von Schwellenländern wie der Türkei oder Indonesien wächst dort der Wohlstand. «Die Muslime werden wohlhabender und die Mittelschicht in diesen Ländern wird grösser», so Thabti. Ausserdem hat das kapitalistische System in der Finanzkrise viel Vertrauen verspielt. Die Bemühungen, es zu stabilisieren und weniger riskant zu machen, spielen dem "Islamic Banking" in die Karten.

Inzwischen gibt es nicht nur Bankgeschäfte, sondern auch Leasing, Anleihen- und Aktienmärkte, Investmentfonds, Versicherungen, aber auch Kleinst-Finanzierungen streng nach islamischen Grundsätzen. Das Geschäftsvolumen mit solchen Kapitalanlagen wuchs nach Angaben des IWF von 200 Milliarden Dollar im Jahre 2003 auf 1,8 Billionen Dollar 2013. Allerdings ist es bisher immer noch auf die Golf-Region und auf Staaten wie Malaysia konzentriert.

Doch auch anderswo gewinnt «Islamic Banking» an Bedeutung. Nicht nur der IWF betrachtet es als Wachstumsmodell. Der britische Regierungschef David Cameron hatte sich schon 2013 auf die Fahnen geschrieben, den Finanzplatz London zu einem der grössten Zentren dafür zu machen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Noch immer dominieren in der City nämlich konventionelle Geldgeschäfte.

(reuters/chb/dbe)