In der Schweiz fehle es an Risikokapital, heisst es oft in der Startup-Szene. Dennoch investieren hierzulande einige grössere Player Venture Capital – einer davon ist Creathor. Der Fonds steckte etwa Geld in den Online-Versicherungsbroker Knip, den Online-Terminplaner Doodle und den pleitegegangenen Jugend-TV-Sender Joiz. Handelszeitung.ch traf Managing Partner Cédric Köhler zum Gespräch.

Herr Köhler, oft wird geklagt, die Schweiz sei unattraktiv für Startups, weil es an Venture Capital fehle. Wieso?
Cédric Köhler*: Das finde ich unberechtigt. In der Schweiz gibt es eher zu viel Geld für Jungunternehmen. Neben uns Investmentgesellschaften investieren nämlich auch immer mehr Grosskonzerne und sogenannte F-Investoren in Startups – also Friends, Family und Fools (Narren). Hinzu kommen ausländische Investoren. Das heizt den Wettbewerb unter den Investoren an, attraktive Startups zu finden. Dadurch steigen die Einstiegsbewertungen stark.

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Ist das kein Vorteil für die Startups?
Wenn die Anfangsbewertungen früh durch zu hohe Investitionen verzerrt werden, wird es schwieriger für die Jungunternehmen, Folgefinanzierungen zu sichern. Viele Startups kommen mit sehr unrealistischen Bewertungsvorstellungen zu uns. Wir haben aus diesem Grund schon einer Reihe von guten Unternehmen abgesagt. Der Markt wird insgesamt verzerrt, weil durch das viele Risikokapital auch schlechte Startups Geld erhalten.

Trotz tiefer Taschen wandern viele Startups nach Berlin aus.
Viele Unternehmer gründen in der Schweiz, ziehen aber nach Berlin, um zu wachsen. Das liegt zum einen an den niedrigeren Lohnkosten. Für das Gehalt einer Schweizer Sekretärin kann man in Berlin fast zwei gute Programmierer rekrutieren. Zum anderen ist in Berlin die Konkurrenz durch Grosskonzerne wie Google, Banken oder Rückversicherer geringer. Talente werden nicht sofort abgesogen.

Sie investieren dennoch in der Schweiz und fokussieren sich nicht wie viele grosse Fonds auf Startup-Hubs wie Berlin oder London. Wieso?
Wir investieren sowohl in Berlin als auch in der Schweiz. Berlin ist attraktiv, weil das Cluster für Startups stark wächst, die Rahmenbedingungen für Jungfirmen sind günstig. In der Schweiz findet man aber ebenfalls interessante Cluster. Im Fintech-Bereich gibt es zum Beispiel eine hohe Zahl an profitablen, gut funktionierenden Startups, genauso wie in den Bereichen Robotics, Drohnen und künstliche Intelligenz. Zürich und Lausanne sind mit ihren technischen Hochschulen Forschungszentren. Das macht die Schweiz attraktiv.

Was kann die Schweiz tun, um wachsende Jungunternehmen zu halten?
Um den Startups zu helfen, die hohen Kosten zu stemmen, wäre ein halbstaatlicher Co-Investment-Fonds möglich. Wenn also etwa ein institutioneller Investor 1 Million Franken in ein Startup investiert, könnte dieser Fonds ebenfalls 1 Million Franken einschiessen. Dies wäre eine indirekte Subvention. 

Wobei Subventionen wieder die Bewertungen verzerren würden.
Ja und nein. In der Schweiz gibt es sehr gute Forschungssubventionen wie zum Beispiel die Kommission für Technologie und Innovation des Bundes und diverse Förderungsprogramme für die frühen Phasen eines Startups. Hier ist die Schweiz im internationalen Vergleich gut aufgestellt. In anderen Ländern gibt es zusätzlich Investitionssubventionen, die somit die Bewertungen im internationalen Vergleich schon verzerren. Eine Co-Investitionssubvention in der Schweiz würde den Standort Schweiz attraktiver und wettbewerbsfähiger für die Wachstumsphase machen.

Der Bundesrat will für Fintechs Regulierungen abbauen. Hilft den Schweizer Startups diese Sonderbehandlung langfristig, um auf dem freien Markt Erfolg zu haben?
Wenn es einem global ausgerichteten Startup hilft, sich agiler auf dem Markt zu bewegen, sehe ich darin keine Nachteile. Es konkurriert mit ausländischen Firmen, die eventuell weniger Regularien einhalten müssen. Da kann es von Vorteil sein, sich agiler und schneller am Markt bewegen zu können, um einen ersten Meilenstein zu erreichen und wahrgenommen werden zu können.

Sollten auch andere Startups mit weniger regulatorischen Hürden von Erleichterungen profitieren?
Es ist wichtig, Startups vorteilhaft zu besteuern. Gleichzeitig muss man verhindern, dass plötzlich überall Pseudo-Startups aus dem Boden spriessen, um von solchen Steuerhöhlen zu profitieren. 

Sie haben in Joiz investiert. Wie konnte es zu der Fehlinvestition kommen?
Für mich war Joiz der erste persönliche Abschreiber. Fehler gehören zur Natur der Dinge – man investiert in eine Idee und einen neu entstehenden Markt. Und wir haben in Joiz nicht primär wegen des TV-Senders investiert. Spannend war vor allem die darunterliegende Technologie, die in den Bereich AdTech fällt. Diese ermöglichte es Medienhäusern zielgerichtetere und messbare Werbung parallel über verschiedene Kanäle zu distribuieren. Viele der potentiellen Kunden, vor allem Verlagshäuser und TV-Sender, zeigten Interesse an der Technologie. Die Verkaufszyklen waren aber sehr lang und viele haben sich entschlossen, diese selber zu bauen, anstatt sie einzukaufen. Das war das Ende von Joiz.

Was war der Moment, in dem Sie beschlossen, den Stecker zu ziehen?
Bei Joiz war der Kapitalbedarf am Ende sehr hoch und die Umsätze blieben zurück. Irgendwann fragt man sich: Wie viel gutes Geld soll man dem schlechten Business noch hinterherwerfen. Zusammen mit den anderen Investment-Gesellschaften haben wir entschieden, nicht mehr nachzuinvestieren. Im Endeffekt ist Venture Capital etwas Religiöses: Glaubt man an eine Geschäftsidee oder nicht (mehr).

Was haben Sie aus der Niederlage gelernt?
Ich würde mich nicht direkt in ein weiteres Abenteuer im Bereich AdTech stürzen. Das Ökosystem ist sehr komplex, um es freundlich auszudrücken. Selbst wenn man die Technologie hat, ist es schwierig, ein Stück vom Werbekuchen abzukriegen. Wir haben die Markteintrittsbarrieren unterschätzt. Aber wir haben unsere Fehler aufgearbeitet, dieselben Fehlentscheide trifft man – hoffentlich – nicht noch einmal. Denn am Ende ist das Geld abgeschrieben.

Auch Knip – ein weiteres ihrer Investments – hat Probleme. Versicherungen wollten nicht mit dem Online-Broker zusammenarbeiten, in Deutschland sollen die Nutzerzahlen zuletzt eingebrochen sein. Ähnliches wurde im Herbst aus der Schweiz vermeldet. War die Investition ein Fehler?
Nein. Es ist in jeder Branche schwierig, Pionierarbeit zu machen. Das ist, als würde man mit einer Machete durch den Urwald gehen. Der, der als erstes geht, hat die anstrengendste Arbeit zu leisten. Dahinter wird der Weg einfacher und kapitaleffizienter. Knip musste diese Arbeit gemeinsam mit ihren Wettbewerbern leisten, was mehr Zeit als geplant in Anspruch genommen hat. Die Versicherungen haben sich mit Händen und Füssen gewehrt. Jetzt geht es darum zu verstehen, dass beide Seiten nebeneinander existieren können. Knip schafft den Broker nicht ab - sondern digitalisiert und ergänzt die herkömmlichen Lösungen. Ich sehe hier Parallelen, als wir Ende der 90er Jahre in die erste Online-Apotheke DocMorris investiert haben. Damals war die Empörung bei den stationären Apothekern gross. Heute wissen alle, dass beide Geschäftsmodelle nebeneinander existieren können.

Knip soll um neue Finanzierung kämpfen. Haben Sie ihre Beteiligung reduziert?
Nein.

Der Hedgefonds Snow Ventures wettet auf einen Kollaps des Startup-Booms. Gründer Alexander Campbell sagt, die sogenannte Unicorn-Ökonomie, also Startups mit einer Milliardenbewertung, steuere auf eine Pleite zu. Was halten Sie davon? 
Es gibt tatsächlich viele toxische Buchwerte bei Venture-Capital-Portfoliogesellschaften. Firmen werden mit Milliarden bewertet, nur weil sie für Milliarden gekauft werden – obwohl sie noch nicht bewiesen haben, dass sich mit ihrem Produkt Geld verdienen lässt. Durch das niedrige Zinsniveau und der immer grösser werdenden Anzahl der Growth und Private Equity Fonds ist sehr viel Kapital vorhanden, was investiert werden will beziehungsweise muss.

Wie gross ist die Gefahr, dass die Startup-Blase platzt?
Ich denke nicht, dass wir es mit einer in sich zusammenfallenden Blase zu tun haben wie bei der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Der Hype ist sicherlich ähnlich wie 1999, es herrscht aber nicht so ein Herdenverhalten wie damals. Dafür ist zu viel Substanz hinter den neuen Firmen. Und wenn es zu Unternehmensübernahmen kommt, gibt es nicht mehr so viele kaufende Unternehmen, die wie blind Startups zu überteuerten Bewertungen akquirieren. Deshalb werden die Korrekturen im Markt eher in den späteren Finanzierungsrunden als in den Büchern und somit dem Aktienpreis der kaufenden Unternehmen stattfinden.

*Cédric Köhler ist Managing Partner bei Creathor in Zürich. Creathor ist eine europäische Venture-Capital-Gesellschaft mit Büros in Deutschland, Schweden und der Schweiz, das präferiert früh in Startups (Seed-Funding) investiert - besonders in den Bereichen Tech, Artificial Intelligence, Internet of Things, Fintech und Life Science. In der Schweiz investierte Creathor etwa in Joiz, Doodle, Video Intelligence und Knip.

Das waren die Player und Investoren bei Joiz:

 

Redaktorin Caroline Freigang
Caroline Freigangschreibt seit 2019 für den Beobachter – am liebsten über Nachhaltigkeit, Greenwashing und Konsumthemen.Mehr erfahren