Dass Raucher früher sterben, steht schon seit einigen Jahren auf Zigarettenschachteln. Dass Raucher im Büro wesentlich mehr mitbekommen als Nichtraucher, hat das Bundesamt für Gesundheit bisher vorenthalten. Aber es ist eine Tatsache: Wer wirklich wissen will, was in einem Unternehmen los ist, muss sich in die Raucherecke stellen. Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen und Ebenen treffen sich dort für eine Pause und kommen unverfänglich miteinander ins Gespräch.

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Smalltalk ist aber nicht so klein und unwichtig, wie der Name vermuten lässt. «Die wichtigste Informationsquelle im Büro bleibt der Austausch mit den Kollegen», erklärt Luzi Weber, Leiter der internen Kommunikation bei der Migros. Unternehmen sollten diese Kommunikation ernst nehmen oder sogar offiziell nutzen.

Luzi Weber unterscheidet zwischen drei Formen von informeller Kommunikation. Als Erstes nennt er Gossip, eine Art Psychohygiene des Büros. Wer versteht sich gerade gut mit wem, wer nicht mehr, warum wohl? Diese Art Kommunikation sei für das Unternehmen «absolut unbedenklich», so Weber. Zweitens gibt es den informellen Austausch über die Arbeit. Es geht um bestimmte Probleme und wie man in anderen Abteilungen damit umgeht. Dieser Austausch sei für alle Beteiligten «absolut wichtig», sagt Weber. Drittens kursieren Gerüchte, Wörter wie «Reorganisation» oder «Stellenabbau» machen die Runde – vielleicht mischt sich das Stichwort «unverantwortlich» darunter. Das sei für die Firma «absolut gefährlich».

Wichtige Ressource

Know-how, Kommunikation und Information sind längst zu den zentralen Instrumenten im Informationszeitalter aufgestiegen. Dementsprechend wichtig ist auch die Ausschöpfung dieser Ressourcen: «Wenn Mitarbeiter nicht miteinander reden, machen sie womöglich die gleichen Fehler zweimal», sagt Luzi Weber. «Wir versuchen daher die Kommunikation mit verschiedenen Massnahmen on- und offline anzukurbeln und die Mitarbeiter miteinander ins Gespräch zu bringen.»

In kaum einer Branche sind Kommunikation, Lösungen und Innovation so wichtig wie in der Hightech- und Forschungsindustrie. Dementsprechend hochgerüstet und organisiert ist auch die Basler Novartis AG auf diesem Gebiet. «Bei der Förderung von Innovation spielt die Wirkung von informellen, in der Regel ungeplanten Zusammentreffen eine grosse Rolle, da hier oft auch implizites Wissen ausgetauscht wird», erklärt Unternehmenssprecher Satoshi Jean-Paul Sugimoto. In den Gebäuden der Novartis in Basel sind daher Kaffeezonen angelegt, in denen sich die Mitarbeiter gezielt «zufällig» über den Weg laufen. «Wir planen auch sorgfältig, welche Teams im gleichen Gebäude respektive auf dem gleichen Stockwerk zusammen arbeiten», so Sugimoto.

Darüber hinaus treffen sich die Novartis-Mitarbeiter regelmässig bei sogenannten «Jams», das sind Online-Meetings, bei denen Eindrücke, Meinungen und Prioritäten ausgetauscht werden sollen. Laut Sprecherin Isabel Guerra unterstützt Novartis spezielle Interessengruppen innerhalb des Unternehmens, «die bestimmte Hintergründe und Perspektiven gemeinsam haben». So seien beispielsweise die Interessengruppen «Asian Business Club» und «LinkIndia» entstanden. «Wir lassen unser Wissen über die asiatischen Märkte und unsere kulturellen Einsichten in die Entwicklungs- und Marketingpläne für die Produkte von Novartis in Asien einfliessen», sagt Guerra.

Man scheint sich bei Novartis keinen Tropfen der informellen Kommunikation entgehen lassen zu wollen. Alle zwei Jahre organisiert eine externe Firma die «Global Employee Survey», eine anonyme, weltweite Umfrage, die alle Geschäftsbereiche und Funktionen abdeckt. Die Ergebnisse werden genutzt, um beispielsweise den Einarbeitungsprozess neuer Mitarbeiter zu verbessern.

Novartis will mit ihrem offenen Ohr aber auch Unerfreuliches verhindern. Um Verstösse gegen den Verhaltenskodex, Vorschriften oder gar Gesetze zu melden, wurde das «Business Practice Office» als vertrauliche Kontaktstelle eingerichtet. «Beides sind Kanäle, die es erlauben, auch informell geäusserte Anliegen in formelle Prozesse aufzunehmen», so Sprecherin Guerra. Biotechnik und Pharmazie sind eben auch sensible Geschäftsbereiche.

Reorganisation im Unternehmen

Über die Pannen und Versäumnisse der internen informellen Kommunikation spricht man in Schweizer Unternehmen nicht so offen wie über die Erfolge. Aber sosehr eine zufällig ausgetauschte Idee ein Unternehmen nach vorne bringen kann, so sehr kann kolportierte Angst und Unsicherheit, etwa bei Gerüchten über eine «Reorganisation», das Unternehmen lähmen. Und auch das muss man als Chef erst einmal mitbekommen. «Es ist für den Flurfunk charakteristisch, dass immer bestimmte Leute einbezogen und andere Leute ausgeschlossen werden – und Chefs werden aufgrund ihrer Position leicht ausgeschlossen», erklärt Professor Martin Högl, Leiter des Institute for Leadership and Organization an der Universität München. «Deswegen ist es wichtig, auch persönliche Beziehungen im Unternehmen zu pflegen, denn wer nichts mitkriegt, kann auch nicht reagieren.»

Im laufenden Geschäftsprozess, so der Experte, sollte der Smalltalk ein gesundes Unternehmen eigentlich nicht besonders beeinträchtigen. Problematisch wird es aber bei Veränderungen. «Wenn in einer grossen Bank beispielsweise eine gewichtige Veränderung angekündigt wird, macht das die Menschen schnell nervös.» Sie befassen sich mit ihrem Abgang und sind in Gedanken woanders, gerade wenn es für ein Unternehmen schwierig wird. Diese Reaktion sei ein normaler kognitiver und emotionaler Prozess, so Högl. «Für Führungskräfte kommen Entscheidungen ja selten überraschend, für Mitarbeiter schon. Und wenn schnell Unerwartetes entschieden wird, entsteht Unsicherheit.»

Gegen Gerüchte und Unsicherheit anzukämpfen ist schwierig, am besten versucht man, sie gar nicht erst entstehen zu lassen: «Die Studienlage weist da deutlich auf Transparenz, es hilft, Leute mit einzubinden. Das mag nicht einfach sein, aber möglichst viel Transparenz, Vorhersehbarkeit und Nachvollziehbarkeit nimmt den Gerüchten den Wind aus den Segeln», erklärt Högl. «Wenn dann tatsächlich einmal eine Reorganisation ansteht, ist eine aktive, bis ins letzte Detail durchgeplante und transparente Kommunikation zentral. Dann haben Gerüchte auch wenig Zeit zu entstehen und sich zu verbreiten», bestätigt auch Luzi Weber von der Migros. Im besten Fall ist das dann auch keine einmalige Transparenz-Initiative, sondern der Grundstein einer offenen Kommunikationskultur.

«Transparent» zu sein, ist nicht so leicht, wie es sich anhört. Schliesslich dient die Kommunikation auch immer einem strategischen Zweck – der Positionierung eines Betriebes gegenüber Kunden und Konkurrenz. Eine Studie des Instituts für Wirtschaftskommunikation der Hochschule für Wirtschaft Luzern machte die interne Kommunikation schon im Jahr 2005 zur Chefsache. Der monetäre Effekt der internen Kommunikation sei zwar schwer zu belegen, aber unbestreitbar vorhanden. Mindestens eine Vollzeitstelle, heisst es da, sollte sich jede grössere Unternehmung leisten. In 90 Prozent der Schweizer Betriebe gibt es laut der Studie zwar Stellen, denen dieser Aufgabenbereich zugeordnet ist, aber nur bei 45 Prozent definiert ein schriftliches Konzept die Aufgaben der internen Kommunikation.

Schliesslich hängt auch die Frage, ob sich Mitarbeiter wohl fühlen, entscheidend davon ab, ob die interne inoffizielle Kommunikation in angemessenen Bahnen verläuft. Wenn die Raucher einer neuen Idee des Chefs zustimmen und diese Idee dann funktioniert, spricht man nicht mehr nur in der Raucherecke darüber.