Sie waren 35 Jahre als Banker tätig, hatten zuletzt bei der UBS 1200 Mitarbeiter unter sich. Warum haben Sie das aufgegeben, um mit armen Kindern zu arbeiten?
Daniel Elber: Ich war gerne Banker. Ende der 1990er-Jahre hatte ich aber das Gefühl, dass sich die Branche verändert. Es ging nicht mehr primär um die Befriedigung von Kundenbedürfnissen, sondern nur noch um den Verkauf von Produkten. Den Nutzen für die Allgemeinheit, für mich der eigentliche Sinn einer Bank, hatte man aus den Augen verloren.

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Und dann haben Sie sich für den Ausstieg entschieden?
Damals war ich 52. Ich wollte die restlichen 13 Jahre meines produktiven Lebens einfach sinnvoller gestalten. 2003 stand dann eine Reorganisation bei der UBS an, und ich wusste: Jetzt ist Schluss. Wenn ich das jetzt nicht tue, dann nie!

Eigentlich kamen Sie für zwölf Monate nach Bali, um sich zu überlegen, wie Ihr Leben weitergehen soll. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie hier bleiben wollen?
Ich war in Ubud, einer Stadt im Inselinneren, gestrandet. Und mir fielen Bettlerinnen mit Kindern auf. Wir kennen Bali als blühendes Tropenparadies, die Menschen sind familienorientiert. Warum muss hier jemand betteln? Das hat mich irritiert und ich bin der Sache nachgegangen. In den Bergen in der Region Muntigunung habe ich dann ein anderes Bali kennengelernt: Trocken, karg, halbwüstenähnlich. Die Leute leben in staubigen Hütten mit nichts. 9 Prozent der Kinder sterben vor ihrem fünften Lebensjahr!

Und diese Menschen gingen Ihnen nicht mehr aus dem Kopf?
Ich wollte ihnen helfen. So wurde aus der Auszeit meine neue Lebensaufgabe.

Seit zehn Jahren arbeiten Sie im Verein «Zukunft für Kinder» auf Bali. Hat es sich gelohnt? Wie ist Ihre Bilanz?
Ich war naiv, habe gedacht, alles geht schneller. Ich bin eben Optimist. Aber diese Dorfbewohner sind unterentwickelt, mangelernährt, haben ein anderes Denken. Das sind alles Begebenheiten, die ich mir als Schweizer nie hätte vorstellen können. Mein Fazit: Alles geht langsamer, aber es geht - und das ist das Wichtigste! Ich bin sehr begeistert von dem, was wir tun, und freue mich darüber, was wir erreicht haben. Aber zufrieden? Bin ich erst, wenn ich alle Ziele erreicht habe.

Was heisst das konkret?
6000 Menschen in 36 Bergdörfern haben kein Wasser, keine Arbeit, keine Bildung. Sie leiden an Krankheiten und Mangelernährung. In 19 Dörfern haben wir durch Regenwassertanks bereits die Wasserversorgung sichergestellt, ihnen beigebracht, wie man Wasser auffängt, für die achtmonatige Trockenzeit speichert und säubert. Das ist kein Luxus aus dem Hahn, aber das Wasser macht nicht mehr krank und keiner muss mehr fünf Stunden laufen, um 10 Liter Wasser vom nächsten See zu holen.

Welche Managereigenschaften aus Ihrer UBS-Zeit bringen Sie auch auf Bali weiter?
Die Fähigkeit, Stärken einzelner Menschen zu erkennen und zu fördern. Vernetzt denken, Menschen motivieren, mich mit ganzer Leidenschaft der Sache widmen - nur auf diese Art und Weise konnte ich hier etwas bewegen.

Welcher Faktor war wichtig, um dort ernst genommen zu werden?
Der Bankberuf hat mich gelehrt: Man kann jedes Problem lösen, wenn man es versteht und mit den richtigen Leuten zusammenarbeitet. Der wichtigste Entschluss war die Zusammenarbeit mit der indonesischen Non-Profit-Organisation (NGO) Dian Desa. Dieser Partner setzt die Projekte vor Ort um. Indonesier sprechen mit Indonesiern. Würde ich die Projekte selbst leiten, würden wir scheitern.

Sie sind also der Manager, der im Hintergrund alles zusammenhält?
Ich bin für das Netzwerk zuständig, präsentiere westlichen Hotelmanagern und Schweizer Firmen unser Projekt. Hier spreche ich dieselbe Sprache, weiss haargenau, wie ein Schweizer Manager denkt, war ja selbst lange Jahre Teil dieser Kultur.

Waren Sie ein strenger Chef in der Schweiz?
Ich denke, die Mitarbeiter hatten mich grösstenteils gerne als Chef. Ich liebe Menschen, den Kontakt mit ihnen, bin neugierig. Und ich traue meinen Mitarbeitern gerne etwas zu. Das Vertrauen in die Menschen hilft auf Bali ebenso wie in der Schweiz. Die Leute sind dann gerne Teil der Sache, können sich entfalten.

Wie motivieren Sie die Menschen, die oft in furchtbaren Umständen leben?
Hygiene war beispielsweise ein grosses Problem. Aber mit dem erhobenen Zeigefinger kommt man nicht weit. Wir haben verstanden, den Leuten ihr Potenzial aufzuzeigen. In Workshops haben wir ihnen erklärt, dass es sie krank macht, wenn sie überall ums Haus herum ihr Geschäft erledigen. Jede Familie sollte sich überlegen: Wie lösen wir das Problem? Schaffen wir eine Toilette an und was für eine?

Und hat es funktioniert?
Jede Familie, die eine eigene Toilette gebaut hatte, wurde damit fotografiert. Dieses Foto kam auf ein Poster im Dorfzentrum. Jeder, der vorbeigeht, sollte es sehen, auch diejenigen, die keine haben. Das war sehr motivierend.

Die Toilette wurde zum Statussymbol?
Ja, sie sind dann wirklich stolz, dass sie das auf ihre eigene Art gelöst haben. Wir wollen ihnen die Verantwortung für ihr Leben geben, gemeinsam mit ihnen Lösungen entwickeln. Als Bettler ist man gewohnt, einfach die Hand aufzuhalten. Diese Mentalität wollen wir langsam ändern.

Gab es auch Bankereigenschaften, die Ihnen eher im Weg standen?
Früher wollte ich eine Arbeit zu 100 Prozent richtig machen. Das ist immer noch so, aber auf Bali passiert nichts, wie ich es aus der Schweiz gewohnt bin. Man muss auf die harte Tour lernen, mit kleinen Schritten zufrieden zu sein. Zunächst sind auch 80 Prozent in Ordnung, dann vielleicht 81, dann 82. Sonst überfordert man das System. Ich musste runterschrauben. Da stand mir der Schweizer Manager im Weg. Mit der Zeit lernt man, die Dinge mit Gelassenheit anzugehen. Man wird ein Stückchen Balinese.

Kommen Sie irgendwann wieder zurück in die Schweiz?
Ich kann es mir nicht mehr leisten komplett zurückzukommen. In sieben Jahren ist meine Pensionskasse aufgebraucht, dann bin ich 70, habe nur noch die AHV-Rente. Aber wenn bis dahin das Projekt selbstständig von den Einheimischen weitergeführt wird, bin ich glücklich.

Bereuen Sie etwas?
Mut und Zweifel waren oft nahe beieinander. Aber ich bereue nichts. Wenn man jeden Tag spürt, dass man Dinge macht, die man nicht mehr gerne macht, muss man was ändern! Die Jahre auf Bali waren die erfüllendsten in meinem Leben.

Der 64-jährige Daniel Elber ist Gründer der NGO «Zukunft für Kinder».