Binnen weniger Monate haben gleich mehrere Top-Manager überraschende Schritte getan, die ein Schlaglicht auf die Belastung an der Konzernspitze werfen. Die Auszeiten von Richemont- Chef Johann Rupert und Raiffeisen- Chef Pierin Vincenz weisen auf ein kräfteraubendes Arbeitspensum hin. Und die Suizide von Carsten Schloter von der Swisscom und Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier hängen zu einem gewichtigen Teil mit beruflichen Belastungen zusammen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Dies wirft die Frage auf, wie es um die Gesundheit von Top-Führungskräften steht. Klar ist laut Experten wie Kadervermittler Philippe Hertig, dass auf dieser Stufe der Karriereleiter die Stresserkrankungen überproportional zugenommen haben. Ausufernde Arbeitszeiten, stetige Erreichbarkeit und weite Reisen setzen den Top-Executives zu. Zudem müssen sie in einer komplexen Wirtschaftswelt immer schneller entscheiden und befinden sich dabei im Sandwich zwischen Verwaltungsrat, Aktionären und Belegschaft.

Strenge Direktiven vom Verwaltungsrat, etwa einschneidende Sparmassnahmen, müssen die Vorstandschefs gegenüber der Basis vertreten und allenfalls mit unpopulären Massnahmen durchsetzen. Gleichzeitig sollte der Aktienkurs nicht zu sehr tangiert werden, um die Anleger bei Laune zu halten. Pikant an den Fällen Schloter und Wauthier: Beide Manager standen in einem offensichtlich angespannten Verhältnis zu ihren jeweiligen Verwaltungsratspräsidenten.

Gute Teamarbeit entscheidend

«Der grösste Stressfaktor für einen CEO ist eine anhaltend belastete Beziehung mit dem Verwaltungsrat respektive Verwaltungsratspräsidenten», sagt Philippe Hertig, Partner beim Beratungsunternehmen Egon Zehnder. Seit Jahren vermittelt er Kaderleute auf höchster Stufe. Einer funktionierenden Teamarbeit zwischen den obersten Führungsgremien misst er in der Stressbekämpfung oberste Priorität bei. «Eine vertrauensvolle, offene und kritischkonstruktive Beziehung zwischen CEO und Verwaltungsrat respektive Verwaltungsratspräsident setzt Kräfte zugunsten des Unternehmens frei und wirkt für beide Seiten stressmindernd», so Hertig. Klappe die Zusammenarbeit zwischen CEO und Verwaltungsrat hingegen nicht, eskaliere die Situation meistens.

Verhindert werden können Meinungsverschiedenheiten in hochsensiblen Finanz- und Strategiefragen nie. Wichtig ist, dass in verstrickten Situationen zeitgerecht reagiert wird. Gefragt sind Kontrollmechanismen, dank denen interveniert und Druck abgebaut werden kann. Nicht in Form von launigen Kaffeekränzchen, sondern mit offener Kommunikationsarbeit. «Der Verwaltungsrat soll den CEO durchaus fordern, aber auch fördern und als konstruktiver Sparring Partner gezielt unterstützen», sagt Philippe Hertig. Diese Aufgabe erfordert einen regelmässigen Dialog, in den sich idealerweise auch weitere Kaderleute oder die HR-Abteilung eines Konzerns einschalten sollten.

Die Zeichen der Zeit erkannt haben Unternehmen, die ihre Antistress-Programme ausgebaut haben. Die Migros- Gruppe etwa fördert das betriebliche Gesundheitsmanagement schon länger und hat im Rahmen ihres aktuellen Projekts «psychische Gesundheit» ein breites Angebot an Hilfsmitteln in den Bereichen Sensibilisierung, Prävention, Früherkennung und Intervention lanciert. Damit solche Projekte eine nachhaltige Wirkung erzielen, braucht es die Kultur einer offenen Kommunikation.

Um eine solche zu fördern, werde bei der Migros das Thema «psychische Krankheit » bewusst enttabuisiert, so die Sprecherin Monika Weibel. Wer in Not gerät, soll sich dadurch weniger einsam fühlen. In die Aufklärungsarbeit involviert wird die ganze Belegschaft, auch Top-Kader, CEO und Verwaltungsrat.

In vielen Unternehmen haben sich interne Sozialberatungen etabliert, wo sich die Belegschaft in vertraulichen Gesprächen professionelle Hilfe in Gesundheitsfragen holen kann. Bei ABB Schweiz gehören regelmässige Gesundheitschecks für das obere Kader zum Standard. «Dabei werden auch psychische Belastungen thematisiert », so die Sprecherin Melanie Nyfeler. In speziellen Führungskursen werden ABB-Kaderleute darin geschult, Anzeichen von Burnout bei Mitarbeitenden zu erkennen. «In Bedarfsfällen kann das Unternehmen ein externes Coaching organisieren.»

Auch als Chef lebenslang lernen

Unternehmerische Antistress-Programme, Kontrollorgane und Dialogvermittlungen nützen nur bedingt, wenn es den Stressopfern an Selbstverantwortung fehlt. Gerade im Top-Management fällt es häufig schwer, eigene Schwächen einzugestehen und entsprechend zu reagieren. «Trotz seiner Führungs- und Vorbildrolle muss ein CEO den Willen zur Selbstreflexion und zum lebenslangen Lernen mitbringen », sagt Reto Jent von der Organisation Gesundheitsförderung Schweiz. Dazu gehöre primär die Fähigkeit, die eigenen Ressourcen und die eigene Wichtigkeit realistisch einzuschätzen.

Um rechtzeitig die Handbremse ziehen zu können, sind Stressopfer nicht selten auch ausserhalb der Arbeit auf ein sensibilisiertes Umfeld angewiesen. «Familie, Freunde und Bekannte sollten die Rolle des ‹Reflektors› einnehmen und negative Stress-Schemata aktiv hinterfragen», so Jent. Damit werde das Thema oft enttabuisiert, was dem Betroffenen die Angst vor einem möglichen Verlust des Ansehens nehmen könne.

Entsprechend wichtig sei es, soziale Kontakte und Beziehungen neben der Arbeit auch in Phasen enormster Belastungen aufrechtzuerhalten. Das Gleiche gilt für regelmässige Bewegung und Sport. Jedes Ventil, um auch nur kurzzeitig Stress abzubauen und Energie zu tanken, ist ein wesentlicher Beitrag zur eigenen Gesundheit. Und eine Prävention wider die Verzweiflung, die im schlimmsten Fall aus dem Ruder laufen kann.

Tipps: Jeder kann helfen

Ob Verwaltungsrat, Führungskräfte oder die Mitarbeiter der Personalabteilung – es gibt viele Möglichkeiten gegen den Stress.

  • Gesundheitsförderung in die Personalstrategie integrieren
  • Aus- und Weiterbildung fördern
  • Personalabteilung mit Ressourcen und Kompetenzen ausstatten
  • Durch Beratung und Weiterbildung die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Stress fördern
  • Die eigene Bewältigungsfähigkeit verbessern mittels Delegieren und Priorisieren
  • Ein stabiles «Selbst» schaffen und soziale Kompetenzen verbessern
  • Sich ausreichend Entspannung gönnen Quelle: Gesundheitsförderung Sc hweiz