Seit vier Jahren arbeitet Laura Häsler als Projektverantwortliche bei einem Schweizer Grosskonzern. Seit vier Jahren macht sie ihre Arbeit zur vollen Zufriedenheit ihrer Chefs. Der Fachbereich, den sie betreut, hat zwar an Bedeutung in der Unternehmensstrategie verloren – das stört die 34-Jährige aber nicht. Hauptsache, die Aufgabe bleibt interessant und die Ergebnisse sind solide. Aufgestiegen sind in der letzten Beförderungsrunde zwei von Lauras männlichen Kollegen. Der Fachbereich des einen galt in letzter Zeit als strategisch wichtiger. Für den Aufstieg des zweiten hat sie keine Erklärung. Laura Häsler wunderte sich zwar, dass sie nicht berücksichtigt wurde. Aber sie wartet jetzt auf die nächsten Beförderungsrunden – und hofft, dass es dann klappt.

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Macht Häsler damit einen Fehler? Hätte sie sich stärker in Position bringen müssen, um ihrem Ziel von der Beförderung mehr Nachdruck zu verleihen? Hätte sie aggressiver auftreten oder mehr für sich werben sollen? Oder liegt der Grund für ihre Nichtbeförderung in den inhärenten Strukturen des Unternehmens? In der grundsätzlichen Benachteiligung von Frauen in der Wirtschaft? Wurde sie Opfer der sogenannten gläsernen Decke, also des Punktes, ab dem Chefs Frauen keine weiteren Karriereschritte mehr zutrauen?

Verhaltensanpassung nötig

Fakt ist, dass die Schweiz punkto Frauenkarrieren im Vergleich zu anderen Nationen hinterherhinkt. Bei den 150 grössten Schweizer Firmen liegt die Zahl der Unternehmen mit rein männlichen Verwaltungsräten bei 52, 2014 waren es noch 59. Bei den Verwaltungsräten steht die Schweiz heute bei 15 Prozent Frauenanteil, 2011 waren es 10 Prozent. Ungezählte Karrieren enden im Mittelbau.
Müssen Frauen jetzt so werden wie Männer und deren Alpha-Gehabe nachspielen, um Karriere machen zu können?

«Ein selbstbewusstes Auftreten führt zu mehr Erfolg im Job, dies ist keine neue Erkenntnis», erkärt Christina Kehl, Mitgründerin und Chefin des Startups Knip. «Die Wissenschafterin Amy Cuddy fand sogar heraus, dass selbst ein aufgesetztes Selbstbewusstsein zu mehr Überzeugungskraft führt. Deshalb, liebe Ladys: Fake it, until you make it», rät die erfolgreiche Jungunternehmerin. «Rücksichtslosigkeit ist keine Voraussetzung für eine Karriere», gibt allerdings die Rektorin der Universität Basel, Andrea Schenker-Wicki, zu bedenken. «Menschen kommunizieren genderspezifisch, das liegt in der Sache der Natur und an unserer Erziehung, viele Untersuchungen belegen das.» Eine gewisse Anpassung sei manchmal notwendig, dies gelte aber sowohl für Männer als auch für Frauen, so die Rektorin.

Fehler im Lobbying

Viele andere Wissenschafter glauben, dass der Grund für die weiblichen Karrierehemmnisse nicht im Verhalten der Frauen, sondern auch in Strukturen in- und ausserhalb der Firma liegt. Hier müsse man ansetzen und nicht am Verhalten herumdoktern. Der Streit zwischen den Lagern Verhalten versus Struktur brachte die Debatte bisher aber nicht wirklich weiter. Eine Lösung des Problems könnte in der Verknüpfung der beiden Punkte liegen. Einerseits in einem bewussteren Verhalten der Frauen (siehe Liste), anderseits in einem bewussteren Verhalten hinsichtlich der Strukturen, an denen geschraubt werden muss.

Erst im Dezember erklärte der Bundesrat, dass er an einer Frauenquote nach dem «Comply or explain»-Ansatz festhalten will. Sich aber nur mit einer Quote abspeisen zu lassen, könnte für die Frauen kontraproduktiv sein, weil sich ausser auf der Top-Ebene für sie überhaupt nichts ändert. Dass es auch ohne Quote geht, hat erst vor kurzem der sogenannte «Davies Report» aus dem Vereinigten Königreich nachgewiesen. Dort gibt es keine Quote und dennoch stieg der Frauenanteil in den Boards der 100 grössten Firmen in fünf Jahren von 12 auf 26 Prozent. Damit übertreffen die Briten Länder mit Quotenregelungen deutlich.

Ein Vorbild für die Schweiz? Wahrscheinlich schon, wenn die Lobbyisten für bessere Frauenkarrieren für eine Verwissenschaftlichung des Anliegens abseits von Aktionismus werben würden. Ein professionell durchgeführtes Gleichstellungscontrolling etwa ist nämlich das genaue Gegenteil von irgendwelchen Verlegenheitsmassnahmen oder einer reinen Fokussierung auf die Board-Ebene. Beginnend mit einer ausführlichen Ist-Analyse und der Definition von konkreten Zielen anhand von in der ganzen Firma erhobenen Indikatoren wird Gleichstellungspolitik zur Querschnittsaufgabe und erreicht auch die Abteilungen, die von hektisch aufgelegten Sonderprogrammen ausgenommen waren.

Controlling statt Aktionismus

Eine Verhaltensänderung der Frauenlobbyisten wäre grundsätzlich hinsichtlich ihrer Fokussierung auf Top-Jobs angesagt. Denn die lange gehegte Illusion, dass mit einer Frauenquote auf Top-Ebene, die der Schweiz droht, auch die unteren Managementebenen profitieren, ist mehrfach widerlegt worden. Man betrachte etwa den Fall Norwegen: Der Frauenanteil im mittleren Management blieb bei den dortigen Firmen nahezu unverändert – dabei rühmt sich das skandinavische Land mit einem der höchsten Anteile von Frauen in Verwaltungsräten. Auch der Einkommensunterschied zwischen hochqualifizierten Männern und Frauen unterhalb der Führungsebene liegt nach wie vor bei rund 15 Prozent. Die Frauenquote als Förderung von mittlerem Kader ist also ein Wunschtraum.

Effektiv wären die Anliegen von berufstätigen Frauen auch eher dann vertreten, wenn man endlich den Fokus auf den Mittelbau richten würde. Denn die sogenannte Leaky Pipeline ist das schwerwiegendste Hindernis für die Förderung von Frauen in Unternehmen. Analysiert man nämlich den Anteil von Frauen und Männern in einer Firma über einen längeren Zeitraum und verschiedene Karrierestufen hinweg, zeigt sich, dass der Frauentanteil im Zeitverlauf stetig sinkt. Vor allem ab der Junior-Management-Ebene bis zur Middle-Management-Ebene sinkt der Frauenanteil drastisch, während der Anteil von Männern auf allen Ebenen stabil bleibt.

Topsharing fördern

Wer also Gleichstellungsmassnahmen ernst nehmen will, analysiert, wo in seiner Firma das Leaky-Pipeline-Phänomen beginnt. Experten empfehlen eine gezielte Rekrutierung von Frauen auf dieser Managementebene und Massnahmen, die das Ausscheiden der Frauen verhindern. Es ist wenig nachhaltig, aber immer noch bejubelte Praxis, den Fokus auf die Junior- und die Top-Ebene zu lenken und Verluste im Mittelbau einfach achselzuckend hinzunehmen. Und fatal ist, dass sich Frauen seit Jahren mit solchen nicht treffsicheren und teilweise wissenschaftlich widerlegten Massnahmen abspeisen lassen. Die Einführung der Quote könnte diesen Zustand noch zementieren.

Das Gleiche gilt für Modelle wie das sogenannte Topsharing. Das heisst Jobsharing auf Führungsebene, welches das Teilzeitproblem lösen will. Frauen sollten aggressiver auf die Einführung solcher Modelle drängen. Denn die ersten Experimente mit diesem Modell, das von einem Monitoring der ETH Zürich begleitet wurde, waren vielversprechend.

Isolation der Netzwerke

Zu guter Letzt empfiehlt sich eine Verhaltensänderung auch im Umgang mit den vielen Frauen- und Karrierenetzwerken. Hier passieren unbewusst Fehler, die oft das Gegenteil des Netzwerkziels erreichen. Oft entwickeln sich diese Netzwerke nämlich zu Vereinen, die völlig abgekoppelt von den Unternehmen arbeiten. Der Boom dieser Netzwerke ist wohl ein Symptom dafür, dass es die Möglichkeit zum Austausch und Karrierenetworking in den Unternehmen noch immer zu wenig gibt. Immerhin findet das Engagement der Frauen für diese Netzwerke in den allermeisten Fällen in der Freizeit statt.

Die Abkoppelung der Frauennetzwerke von den Unternehmen schwächt diese aber. Frauen sollten daher für die Integration der Vereine in die Firmen und sogar in die Arbeitszeit kämpfen. Sich selber in einem branchenfremden Netzwerk zu isolieren, ist vielleicht interessant, bringt für die Karriere dann aber vielleicht entsprechend wenig.  Möglichkeiten, das «stille Leiden» der vielen nicht beförderten oder nicht geförderten Frauen zu bekämpfen, gibt es also genug. Sie erfordern aber ein Überdenken der klassischen Förderungsinstrumente, genauso wie eine Bewusstwerdung des eigenen Verhaltens.

Stefan Mair
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