Investieren in Fintech: Aufregender als jedes Bankdepot

Goldsucher oder die Verkäufer der Schaufeln fürs Goldschürfen? Die Frage, ob die direkt Beteiligten oder die Unterstützer und Zulieferer bei einem Boom das grosse Geld machen, wird bei Finanzanlagen seit 150 Jahren gestellt. Die Investorenlegende André Kostolany empfahl jedenfalls, in Schaufeln zu investieren. Ähnlich machten das bis zum Sommer 2021 die Bitcoin-Mining-Firmen in China: Anstelle von Schaufeln traten hier indes Server, anstelle enger Löcher im Boden traten dunkle gekühlte Rechenzentren. Über das Mining des Bitcoins rechneten sich die gesamten Investitionen in Computer und Gebäude, weil billiger Kohlestrom zur Verfügung stand. Zeitweise wurden zwei Drittel aller neuen Bitcoins auf der Welt in China «produziert» – oder «geschürft» (Mining), wie es in der Fachsprache heisst. Bitcoin schlägt alle Aktien Das Mining hat China kürzlich verboten, nachdem zuvor bereits der Handel und der Besitz von Bitcoin unerwünscht gewesen waren. Das führte dazu, dass andere Länder wie Kasachstan oder El Salvador jetzt um die Miner buhlen. Sie möchten damit quasi die Hoteliers der Schaufelverkäufer werden – und möchten am Boom der weitaus grössten und liquidesten Kryptowährung der Welt teilhaben. Der Bitcoin hat auf Sicht von einem Jahr rund 400 Prozent zugelegt. Der KBW Nasdaq Financial Technology-Index, der die Fintech-Branche und damit praktisch die «Schaufelbesitzer» abdeckt, kam in der gleichen Zeit auf ein vergleichsweise kleines Plus von 30 Prozent. Gemäss dieser Vergangenheitsperspektive hätte sich also der Kauf des neuen Goldes, des Bitcoins, deutlich mehr ausbezahlt. Das hing auch mit einzelnen Grossereignissen zusammen: Die Aktie der Kryptobank und -börse Coinbase hat seit dem Börsendebüt im Frühling 2021 rund 20 Prozent verloren. Auch die Wise, ex Transferwise, glänzt nicht mit grossartiger Performance. Das europäisches Fintech, das sich im Geldtransferbereich eine starke Position aufgebaut hat und seit Juli 2021 gelistet ist, verzeichnete seit dem Start an der Börse ein Plus von 10 Prozent. Sogar die Aktie einer traditionellen Grossbank schlägt die Fintechs im Vergleich über 12 Monate: Die UBS-Aktie ist in dieser Zeit um 45 Prozent gestiegen. Aber im Fünfjahresvergleich sieht das Bild anders aus: Da hinkt die Aktie der grössten Schweizer Bank mit einem Plus von 18 Prozent den Fintechs (plus 165 Prozent) hoffnungslos hinterher. Auch hier ist ein Bitcoin-Vergleich sinnvoll: plus 8700 Prozent. Allerdings mit wilden Schwankungen, die Anlegerinnen und Anleger um den ruhigen Schlaf bringen können. Denn wer Ende 2017 Bitcoin gekauft hatte, brauchte knapp drei Jahre, um wieder in die Pluszone zu kommen. Lehren aus der ersten Fintech-Generation Um die Fintechs von heute einschätzen zu können, lohnt ein kurzer Blick zurück zu den Anfängen. Nach dem Bitcoin-Debüt von 2009 waren bereits einzelne Fintechs an die Börse gegangen – und sie hatten sich nicht immer erfolgreich entwickelt. Das zeigen die drei Beispiele Lending Club, Simple und die deutsche Fidor Bank. Lending Club mit Sitz in San Francisco wurde 2006 gegründet und avancierte 2013 zur grössten Peer-to-Peer-Lending-Plattform der Welt. Die Nutzerinnen und Nutzer konnten als direkt Kredite an andere Nutzer vergeben. So wurden sie selber zu Kreditbanken. Es lief sehr gut für Lending Club, doch nach dem Milliardenbörsengang Ende 2014 ging vieles schief: Man expandierte in weitere Kreditbereiche, wollte um jeden Preis weitere Kreditgeber gewinnen, und 2016 musste der Gründer und damalige CEO nach internen Corporate-Governance-Skandalen abtreten. Im Jahr 2020 verabschiedete man sich vom Lending-Geschäft und kaufte die nur Insidern bekannte Radius Bank aus Boston. Die winzig kleine Bank galt als sehr innovativ – und sie bildet jetzt das Rückgrat einer halbwegs konventionell funktionierenden Konsumkreditbank. Die Lending-Club-Aktie, die mal 125 Dollar gekostet hatte, erholte sich nach einem Tief bei 4 Dollar im vergangenen Jahr wieder auf 30 Dollar. Noch schlimmer, ohne Happy End, verlief es für das Fintech Simple: Diese Neobank aus den USA (Gründungsjahr 2009) kam viel früher als die arrivierten Grossbanken mit einem «Mobile Banking» auf den Markt. 2014 stieg die spanische Grossbank BBVA ein. Ende 2020 stieg sie wieder aus und verkaufte in einem Zug alle US-Retailbankingaktivitäten an die PNC Financial Services. Im Mai 2021 wurden bei Simple die Online-Schalter formal geschlossen. Nicht geschlossen, aber zerstückelt wurde die Fidor Bank. Die Direktbank gab es ab 2009 in Deutschland. Vor vielen anderen Banken waren hier der Bitcoin-Handel sowie auf dem Bitcoin-Netz funktionierende internationale Geldüberweisungen möglich. 2016 kaufte die französische Bankgruppe BPCE die Fidor Bank, schaffte es aber nicht, das Fintech kulturell zu integrieren. Im Jahr 2020 erfolgte der Weiterverkauf: Das Kundengeschäft ging an einen US-Finanzinvestor, die Softwaretochter an ein anderes Softwareunternehmen. Bei den drei Beispiele zeigen sich die typischen Tücken von Fintech-Investments: gravierende Compliance-Probleme (Lending Club), kulturelle Unverträglichkeiten (Fidor), unzureichende Finanzierung (Lending Club, Simple) und die falschen Partner (Lending Club, Simple, Fidor). Erfolgreiche Fintechs der zweiten Generation Natürlich gibt es weitere Fallstricke wie eine zu hohe Wettbewerbsdichte – wie sie gegenwärtig unter den gut dreissig britischen Neobanken zu beobachten ist. Oder ein eingetrübtes Makroumfeld. So haben die staatlichen Corona-Rettungskredite vom zweiten Quartal 2020 viele Fintech-Businesspläne obsolet gemacht, weil hier viele europäische Neobanken nicht beteiligt wurden. Bisher erfolgreiche Fintechs vermeiden die Fehler ihrer Vorgänger: Sie haben ihre kommerziellen Nischen gesucht (und gefunden), ihre Geschäftsmodelle sind einfach und nachvollziehbar, und ihre Führungsetage besteht nicht aus frischen Uniabgängern und Uniabgängerinnen, sondern aus erfahrenen Executives. Darunter sind folgende Firmen: Adyen: Das niederländische Payment-Technologie-Unternehmen war ein Wirecard-Konkurrent, arbeitet profitabel und wächst stark. Seit 2018 ist es an der Börse. Die für 240 Euro angebotene Aktie kam mit dem doppelt so hohen Preis in den Handel, der Kurse liegt jetzt bei 2400 Euro. Die Analysten von Morgan Stanley empfehlen den Kauf. Affirm: Das US-Unternehmen macht das Gleiche wie das (noch) privat gehaltene schwedische Fintech Klarna: Man hat die Ratenzahlungen zum «Buy now pay later» (BNPL) umfirmiert und digitalisiert. Als sehr clever erwies sich hier die Finanzierungskooperation mit dem Fitnessgerätehersteller Peloton: Affirm profitierte damit vom Homeoffice-Boom, denn viele Manager und Managerinnen verlegten auch ihr Training nach Hause. Die Aktie notiert 15 Prozent höher als beim IPO im Januar 2021. Opendoor: Dieses sieben Jahre junge US-Unternehmen kauft Interessierten ihre Wohnimmobilien in bar ab, bringt diese in Schuss und verkauft sie weiter. Seit August 2021 ist Opendoor an der Börse, seither ist die über den Spac-Weg aufgebaute Aktie um einen Drittel gestiegen. Dieses Geschäftsmodell ist reif für eine Kopie in der Schweiz. Upstart: Dieses Startup aus den USA (gegründet 2012) nimmt eine datenbasierte Kreditrisikoprüfung von Privatkunden und Privatkundinnen vor und verkauft diese Informationen (mit dem Wissen und Einverständnis der Beteiligten) an Banken weiter. Die Aktie ist seit dem Börsengang im August 2021 um 47 Prozent gestiegen. Wise: Der bereits erwähnte, im Jahr 2010 in Grossbritannien unter der Bezeichnung Transferwise gegründete spezialisierte Finanzdienstleister ist mit billigen internationalen Geldtransfers gewachsen und expandiert nach und nach in neue Bankingbereiche, ohne das Kerngeschäft zu vernachlässigen. Die seit Juli 2021 gelistete Aktie liegt auch nach der jüngsten Korrektur noch 10 Prozent im Plus. Viel Potenzial haben laut den Analysten der Citibank auch die Aktien der beiden gelisteten Versicherungs-Startups Lemonade (Privatversicherungen) und Root (Autoversicherungen). Beide bewegen sich in Bereichen, in denen in den USA (und auch in der Schweiz) echte Innovationen überfällig sind. Mit Simpego und der Helvetia-Tochter Smile gibt es indes hierzulande Anbieter, die einzelne Elemente übernehmen – und damit auch allfälligen lokalen Startup-Projekten den Start erschweren. Bemerkenswerterweise haben im Fintech-Bereich die Plattformansätze den Markt (noch) nicht erobert. Nur in den Bereichen Immobilien und Hypotheken gibt es sie. Was sich dort vielversprechend entwickelt, wird oft von Versicherungen aufgekauft. Ein Beispiel dafür ist in der Schweiz Moneypark, die jetzt Teil der Helvetia Versicherung ist. Erst am Horizont: DeFi-Investments Für Anlegerinnen und Anleger noch nicht absehbar ist das Erfolgspotenzial der Fintech-Bereiche rund um dezentrale Buchführungstechnologien (DLT) aka Blockchain: Die Schweiz gilt hier seit Jahren auch dank der Präsenz von Ethereum, dem zweitgrössten und technisch am breitesten weiterentwickelten Softwareprotokoll, als weltweit wichtiger Hub. Unterstützend ist auch eine sehr förderliche Regulierung und Gesetzgebung. Das gilt, obwohl das Diem-Projekt (vormals Libra), mit dem Facebook eine globale Währung schaffen wollte, massiv redimensioniert und aus Genf in die USA verlegt wurde. Ethereum ist weiterhin sowohl als Kryptowährung Ether als auch als technologische Grundlage für das junge Thema «Decentralized Finance» (DeFi) sehr vielversprechend: Im zweiten Quartal erreichte die Summe aller auf diesem Protokoll abgewickelten Asset- und Geldtransfers 2,5 Billionen US-Dollar und damit gleich viel wie beispielsweise Visa, das grösste Kreditkartennetzwerk der Welt. Für Anleger und Anlegerinnen bestehen mehrere Varianten, in DeFi anzulegen: zunächst über die Kryptowährung Ether selber. Sie hat eine Doppelrolle als Kryptowährung und als eine Art Partizipationsschein für ein zukunftsträchtiges Netzwerkprotokoll. Auf dem Ethereum-Netzwerk laufen auch einige sogenannte Stablecoins, die wertstabil sein sollen, indem sie etwa an eine traditionelle Währung wie den Dollar gekoppelt werden. Es gibt einige solcher Stablecoins, die eine Marktkapitalisierung von weit über 10 Milliarden Franken erreicht haben. Das Ethereum-Protokoll bildet auch die technologische Basis von sogenannten Non-Fungible Token (NFT). Mit diesen lassen sich Besitzrechte (auch) von digitalen Kunstwerken handhaben und digitale Originale unterscheiden. Der Track Record dieser NFT lässt noch zu wenige Rückschlüsse über die längerfristigen Potenziale zu. Wie schwierig es ist, die Potenziale von neuen Kryptowährungen, Coins und Anwendungen einzuschätzen, hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Viele Coins, die im Zuge einer «Initial Coin Offering»-Welle 2017/2018 aus der Schweiz heraus verkauft wurden, gibt es heute nicht mehr. Einige wenige wie der Tezos schafften den Durchbruch. Viele weitere machten lediglich die Firmeninhaber reich – die emittierten Coins sind illiquide, damit kaum noch handelbar und meistens wertlos. Aber es setzen sich auch immer wieder neue erfolgreiche Kryptowährungen durch. Darunter etwa die ersten DeFi-Exchanges wie Uniswap und die ersten Lending-Plattformen wie Aave oder Compound. Auf den ersten Blick gleichen diese ihren 10, 15 Jahre älteren Fintech-Vorgängern – wie etwa Lending Club. Auf den zweiten Blick zeigen sich zahlreiche Unterschiede bei der Ermittlung von Kreditrisiken, bei der Handhabung von Sicherheiten und bei den Abschlussprozessen. DeFi-Enthusiasten verweisen auf solche Details, und sie erkennen die riesigen Potenziale für die zukünftige digitale Wirtschaft. Realistinnen verweisen dagegen auf die auch hier bestehenden Risiken bei der weiteren Entwicklung – und sie halten sich an die am wenigsten risikobefrachteten Assets. Das ist hier das Goldsucher-Schaufel-Äquivalent: der Ether.