Für das Scheitern des Informatikprojekts Insieme ist in erster Linie Urs Ursprung verantwortlich, der frühere Chef der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Aber auch der ehemalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz trägt Verantwortung. Zu diesem Schluss kommt die parlamentarische Oberaufsicht.

Das Informatikprojekt Insieme der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) war 2001 lanciert worden. Das Ziel war es, veraltete Informatiksysteme zu ersetzen. Weil die Probleme immer grösser wurden, gab es 2012 eine Administrativuntersuchung.

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116 Millionen Franken Kosten

In der Folge musste Ursprung wegen Verstössen gegen das Beschaffungsrecht den Hut nehmen, und Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf stoppte Insieme. Die Kosten des gescheiterten Projekts belaufen sich auf 116 Millionen Franken.

Wie es zum Debakel kommen konnte, hat eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Finanz- und Geschäftsprüfungskommissionen (FK und GPK) von National- und Ständerat untersucht. Am Freitag hat sie die Ergebnisse vorgelegt. Unerwartetes förderte die Untersuchung nicht zutage: Insieme scheiterte an mangelnder Führung und Aufsicht. Die Hauptverantwortung trägt die Steuerverwaltung, die sich über Vorschriften und Vorgaben hinwegsetzte und Probleme beschönigte.

Merz mitverantwortlich

Verantwortung tragen aber auch die ehemaligen Bundesräte Kaspar Villiger und Hans-Rudolf Merz sowie Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Das Finanzdepartement nahm seine Aufsichts- und Führungsfunktion zu wenig wahr, laut dem Bericht insbesondere zwischen 2007 und 2010, also unter der Leitung von Merz. Widmer-Schlumpf übernahm das Departement erst Ende 2010.

Der Bundesrat erhielt nur wenige Informationen über das Projekt, forderte solche aber auch nicht ein. Erst im Juni 2010 verlangte der Bundesrat von Merz als Bedingung für zusätzliche Insieme-Gelder ein rigoroses Monitoring. Den Antrag stellte die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.

Auftrag nicht umgesetzt

Der Auftrag wurde allerdings nur mangelhaft umgesetzt - ohne dass der Bundesrat es bemerkte. Er befasste sich laut dem Bericht nämlich nie damit, ob und wie sein Auftrag umgesetzt wurde. Die Parlamentskommissionen werfen dem Bundesrat denn auch vor, keine klaren Rahmenbedingungen geschaffen und wirkungsvolle Vorgaben gemacht zu haben.

Kritisiert wird im Bericht ausserdem die Finanzkontrolle. Sie trägt zwar keine Verantwortung, doch hat sie den Bundesrat und die parlamentarischen Oberaufsichtsorgane nicht angemessen unterstützt.

Schlüsselpositionen falsch besetzt

Die mangelhafte Führung und Aufsicht führte unter anderem dazu, dass bei Insieme Schlüsselpositionen falsch besetzt wurden. «Weder der Direktor der Steuerverwaltung noch die Departementsführung hätten zulassen dürfen, dass Insieme während dreieinhalb Jahren von einem Gesamtprojektleiter geführt wurde, der offensichtlich seinen Aufgaben nicht gewachsen war», heisst es im Bericht.

Viele wichtige Positionen wurden zudem mit externen Experten besetzt. Dies führte die ESTV in eine «Dauerabhängigkeit von externen Experten», was erheblichen Mehrkosten zur Folge hatte. Fast die Hälfte der Kosten - rund 56 Millionen Franken - gehen auf das Konto Externer. Beim grössten Lieferanten der letzten Jahre lagen die Stundenansätze im Durchschnitt bei 320 Franken.

Verträge freihändig vergeben

Die Untersuchung brachte auch zum Vorschein, dass die Steuerverwaltung Dutzende von Verträgen knapp unter dem WTO-Schwellenwert freihändig vergeben hat. Die FK und GPK verurteilen diese Praxis «aufs Schärfste» und fordern den Bundesrat auf, solches künftig zu unterbinden.

Die Administrativuntersuchung war zum Schluss gekommen, dass die ESTV Beschaffungen sogar «systematisch und willentlich widerrechtlich» durchgeführt hatte. Gestützt auf die Ergebnisse erstattete das Finanzdepartement Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft; die Strafverfahren sind noch hängig.

Erste Massnahmen ergriffen

Die GPK und FK haben den 373-seitigen Bericht mit 45 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Nun müssten Lehren für die Zukunft gezogen werden, sagten ihre Vertreter vor den Medien in Bern. Wichtige Massnahmen habe der Bundesrat bereits ergriffen. Das flächendeckende Vertragsmanagement und Beschaffungscontrolling müsse nun aber rasch umgesetzt werden.

Ausserdem haben die Kommissionen 22 Empfehlungen an den Bundesrat formuliert sowie eine Motion und zwei Postulate beschlossen. Unter anderem empfehlen sie, dass bei Wechseln in der Departementsführung eine Stabsübergabe erfolgt, welche die Kontinuität der Geschäfte sicherstellt.

«Desolaten Dokumentenlage»

Auch bei der Aktenführung und Archivierung braucht es aus Sicht der Kommissionen Verbesserungen. Einmal mehr kritisieren die Oberaufsichtsorgane, dass sie für ihre Untersuchung nicht alle nötigen Dokumente zur Verfügung hatten.

Die Rede war von einer «desolaten Dokumentenlage». Ausserdem bemängeln sie zum wiederholten Mal die Wortprotokolle des Bundesrates, die dessen Entscheide offenbar nicht nachvollziehen lassen. Bis Ende Februar erwarten die Kommissionen eine Stellungnahme zu den Empfehlungen.

(sda/dbe)