Kurz vor seinem 83. Geburtstag ist Alexander Schalck-Golodkowski vergangene Woche gestorben. Der Stasi-Geheimdienstler und Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED) baute ab 1966 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) die Abteilung Kommerzielle Koordinierung (Koko) auf, die im kapitalistischen Westen im grossen Stil verdeckt Geschäfte zur Devisenbeschaffung betrieb.

Denn der seit den 1970er-Jahren stets steigende Lebensstandard der DDR durch Importe aus dem Westen konnte nicht durch reguläre Exporterlöse erwirtschaftet werden. Die Koko trug während ihrer Tätigkeit zwischen 1966 und 1989 geschätzte 25 Milliarden Deutsche Mark (DM) zusammen.

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Bern war informiert, blieb aber passiv

Die Koko sollte die marode Planwirtschaft der DDR und die Macht der Politiker-Kaste am Leben erhalten. Dabei waren der Abteilung Koko, die dem DDR-Geheimdienst (Stasi) angegliedert war, legale und illegale Mittel erlaubt. Die Koko ging so konspirativ vor, dass bis heute nicht alle Firmen und deren Vermögenswerte enttarnt werden konnten.

Wirtschaftskriminelle Operationen ostdeutscher Agenten wurden von der offiziellen Schweiz jahrzehntelang bewusst toleriert, zeigt das kürzlich erschienene Buch «Operationsgebiet Schweiz» des Journalisten und Autoren Ricardo Tarli.

Schweiz kein stramm antikapitalistisches Bollwerk

Die Bundespolizei (Bupo) war demnach spätestens seit den 1970er Jahren detailliert über die Aktivitäten der DDR-Wirtschaftsspione in der Schweiz auf dem Laufenden. Dieser Befund steht im krassen Gegensatz zum Selbstbild der offiziellen Schweiz: In der Öffentlichkeit bemühten sich die Staatsschützer um das Image des stramm antikommunistischen Bollwerks.

Ihre Untätigkeit machte die Schweiz für die Koko zum sicheren Hafen für Technologieschmuggel, Steuerbetrug, illegalen Devisenhandel, Geldwäsche, Kunst-Hehlerei, Waffenhandel und illegale Parteienfinanzierung – so beschreibt es der Schweizer Autor Tarli, der heute in Berlin lebt. Die von den Weststaaten verbotenen Technologietransfers in die kommunistischen Länder wurden durch Embargobrecher in der Schweiz jahrzehntelang systematisch umgangen. Mit Folgen bis heute, wie jüngste Klagen zeigen.

Arbeit fürs Bundesgericht von der «Roten Fini»

So beschäftigte etwa eine Österreicherin die Schweizer Justiz bis 2013. Die Treuhänderin Rudolfine Steindling war eine enge Vertraute von Schalck-Golodkowski, stand jahrzehntelang in Diensten der Kommunistischen Partei Österreich.

Die «Rote Fini», wie sie in Wien genannt wurde, handelte über das Zürcher Geldhaus Bank für Handel und Effekten (BHE) und war eine Schlüsselperson für lukrative Ostgeschäfte. Nach dem Mauerfall 1989 versuchte sie über die von ihr geführte Firma Novum bis 1993 offenbar Gelder in Höhe von insgesamt 500 Millionen DM abzuzügeln. Erst 2013 sprach das Bundesgericht einen Teil der veruntreuten Gelder dem deutschen Staat wieder zu: Gegen 240 Millionen Franken bekam die klagende Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) zurück.

Die Deutschen und der Schweizer Notenbanker

Die BvS wirft offenbar noch heute der früheren UBS-Tochterbank Cantrade vor, sie habe Rudolfine Steindling nach dem Mauerfall 1989 illegalerweise Millionenbeträge ausbezahlt. Die BvS fordert darum von der Bank Julius Bär, die Centrade übernahm, die Rückzahlung von 100 Millionen Franken plus Zinsen. Im August 2014 reichten die Deutschen beim Bezirksgericht Zürich eine entsprechende Klage ein.

Während dem Zeitraum der Steindling-Deals war Bruno Gehrig Vorsitzender der Geschäftsleitung der Bank Cantrade. Nach dem Mauerfall machte er weiter Karriere und wurde Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, in derem Direktorium er zwischen 1996 und 2003 vertreten war.

Die «Bank für Handel und Effekten»

Wenn es um Geldtransfers von der Koko in die Schweiz ging, traf man geradezu zwangsläufig auf die Bank für Handel und Effekten (BHE) und Bankier Max Moser. Bis zum Mauerfall stieg Moser zum wichtigsten Banker von Schalck-Golodkowskis Firmenimperium auf und wurde Mitwisser von DDR-Staatsgeheimnissen. 1998 wurde Bankier Moser in Deutschland rechtskräftig wegen unerlaubter Geldtransfers verurteilt.

Er versuchte auch nach dem Mauerfall mit Schalck-Golodkowski Konten und Gelder in Millionenhöhe bei der BHE vor den Ermittlern zu vertuschen. Wenige Wochen vor dem Ende der DDR richtete Moser noch das Privatkonto «Sultan» ein – wenig später lagen dort Millionen DM.

Die Schweizerische Bankiervereinigung leitete gegen die BHE ein Verfahren ein, das zu einem Urteil führte, das bis heute geheim ist. Auch 25 Jahre nach dem Fall wollen sich weder die Finanzaufseher der Finma noch die Schweizerische Bankiervereinigung dazu äussern – die Stasi-Verstrickungen sind offenbar selbst heute noch zu delikat.

Ogi und die «Stasi-Bank»

Zur Person Moser sind weder bei der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin noch im Schweizerischen Bundesarchiv Akten vorhanden, schreibt Autor Ricardo Tarli. Dass Moser nicht unter Beobachtung des Schweizerischen Staatsschutzes gestanden haben soll, ist seltsam.

BHE-Gründer Max Kohler war ein fanatischer Fussballfan und pflegte Kontakte zu Sportfunktionären, auch zu Adolf Ogi, damals noch Direktor des Schweizerischen Skiverbandes. Kohler holte den damaligen SVP-Nationalrat 1986 in den Verwaltungsrat der Bank. Der Berner Politiker trat schon 1987 wieder aus der Bank aus, weil er Bundesrat wurde. 1994 machte die «Bilanz» Ogis Engagement bei der «Stasi-Bank» publik.

Eine zentrale Figur in Schalck-Golodkowskis Schweizer Firmennetz war auch Ottokar Hermann. Der Sudetendeutsche war im 2. Weltkrieg Mitglied der Waffen-SS und kämpfte als Unterscharführer in der SS-Panzerdivision «Das Reich», die für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wurde. Nach dem Krieg hatte sich Hermann in Ost-Berlin eine breite Vertrauensbasis geschaffen, weshalb ihn die DDR schon früh als Strohmann einsetzte.

Ein Parteisitz vom FDP-Strohmann

1968 wurde die DKP als Nachfolgepartei der 1956 in Deutschland verbotenen Kommunistischen Partei (KPD) gegründet. Wenig später entstand in Lugano die Firma Rexim SA und bereits im Februar 1969 waren die Tessiner Inhaber einer Immobilie in Düsseldorf, in welche die DKP-Parteizentrale zog. Hintermann der Rexim: Ottokar Hermann. In der Folge baute er die Firma als Dachgesellschaft für kommunistische Wirtschaftsunternehmen aus. Die Gewinne der Rexim flossen auf die Konten der BHE in Zürich, wo DDR-Kaderleute Gelder in bar ausbezahlt bekamen – angeblich zu «Reisezwecken». Bankier Moser soll die Rexim-Aktien bei der BHE verwaltet haben.

Als Verwaltungsrat der Rexim amtete vordergründig der Tessiner Rolando Fedele. Er stand in den 1960er-Jahren der Luganeser Steuerbehörden vor und war aktives FDP-Mitglied. Der Treuhänder war zu Lebzeiten eine geachtete Persönlichkeit und auch zeitweise der Gemeindepräsident von Morcote. Seit 2011 ist in diesem Dorf eine Strasse nach dem strammen Liberalen benannt. Die Dienste für die Truppe Hermanns liess er sich laut den Recherchen von Tarli mit mehreren 100'000 Franken pro Jahr vergolden.

Zentrum Tessin, Investments in Zermatt

In den 1970er-Jahren zog Hermann von West-Berlin nach Montagnola in den Kanton Tessin und gründete die Firmen Befisa SA und Intrac SA mit Sitz in Lugano. Mit der Befisa war Hermann im Schweizer Tourismus äusserst erfolgreich: Sie war mit 12 Prozent an der Zermatter Standseilbahn Sunnegga beteiligt.

Intrac und Befisa wurden zur Beschaffung von Hightechgeräten und Embargoware genutzt und kontrollierten zahlreiche weitere Unternehmen im In- und Ausland. Seit Mitte der 1970er-Jahre wollte Hermann auch Schweizer Bürger werden – 1985 erlangt er die Schweizer Staatsbürgerschaft, obwohl die Bundespolizei offenbar bestens über Hermanns wahre Tätigkeit im Bilde war und wusste, dass er zu ranghohen Stasi-Mitarbeitern engen Kontakt pflegte – ja sogar als Schalck-Golodkowskis rechte Hand in der Schweiz galt.

Schon in den 1960er-Jahren geriet Hermann ins Visier der Bupo. 1979 schätzte die Bundespolizei den Umsatz der Intrac auf 400 Millionen Franken. Doch die Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen verbotenem Nachrichtendienst wurden eingestellt.

Staatlich legitimierter Kunstraub

Hermanns Intrac war offenbar auch zentral im staatlich legitimierten Kunstraub. Die DDR setzte systematisch Besitzer von Kunstgegenständen derart unter Druck, dass sie letztlich ihre Schätze abtraten und die Kunstgegenstände im Ausland durch die Kunst und Antiquitäten GmbH gegen Devisen verhökert wurden. Dabei diente Hermanns Luganeser Intrac als Hehlerin, wie Tarli beschreibt. Pro Jahr musste diese GmbH 55 Millionen DM erwirtschaften.

Die Kunstgegenstände lagerte der erklärte «Antiquitätenliebhaber» Hermann in Lugano ein. Später wurden sie dann auf den Markt geworfen. In der Schweiz bot demnach das renommierte Zürcher Auktionshaus Koller Antiquitäten aus Ostdeutschland an und stand mit Geschäftsleuten in Kontakt, die für die Kunst und Antiquitäten GmbH Raubkunst verkauften. Der Schweizer Galeriebesitzer Pierre Koller reiste in den 1980er Jahren in die DDR und suchte im Lager der Kunst und Antiquitäten am Berliner Stadtrand hochwertige Barockmöbel aus. Koller nahm auch Möbel, die Hermann aus der DDR importiert hatte, in Kommission.

Weitere Bereicherung nach der Wende

Nach der Wende 1989 genoss Hermann faktisch Immunität. Er wurde nie zur Rechenschaft gezogen und schaffte es sogar, einen beträchtlichen Teil DDR-Vermögen an sich zu reissen. Er konnte den Koko-Anteil an der Intrac zu einem Spottpreis übernehmen – für knapp 11 Millionen Franken.

Schalck-Golodkowski schätzte den Wert des Anteils auf 100 Millionen Franken. Der damalige deutsche Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble war offenbar darüber informiert, doch passiert ist nichts. Für den seltsam niedrigen Verkaufspreis soll es «keine Alternative» gegeben haben. Der Bundesnachrichtendienst stellte zudem fest, dass aus dem Barvermögen des Bereichs um Schalck-Golodkowski Millionenbeträge an die Befisa und Intrac SA geflossen sind – umgerechnet gegen 68 Millionen Franken.

Deutschland reichte 1999 gegen Hermann in Lugano dann doch noch Klage ein und machte Schadenersatz in Millionenhöhe geltend. Doch Hermann verstarb 2007, noch bevor das Zivilverfahren abgeschlossen werden konnte.

Operationsgebiet Schweiz - Die dunklen Geschäfte der Stasi, 2015, Verlag Orell Füssli