Die Automobilindustrie gilt als Vorzeigebranche der deutschen Wirtschaft – Marken wie Daimler, Audi, BMW, Porsche oder Volkswagen sind weltweit bekannt. Rund 880'000 Menschen arbeiten in der Industrie – viele Schweizer Zulieferer beliefern die Hersteller im Norden. Nach dem VW-Dieselskandal erschüttert nun ein neuer Vorwurf die Deutschen: Gemäss Nachrichtenmagazin «Spiegel» sollen die fünf führenden Hersteller sich jahrelang in über 60 Arbeitsgruppen untereinander unerlaubt abgesprochen haben. Die EU-Kommission bestätigte, dass die Kartellbehörde dem Verdacht rechtswidriger Absprachen nachgehe.

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Entsprechend gross ist die Angst, die Ermittlungsergebnisse könnten ein schlimmes Bild der Zustände zeichnen. Die weltweit mehr als 280’000 Beschäftigten von Daimler seien entsetzt und verärgert, erklärte Betriebsratschef Michael Brecht am Montag. «Sie machen sich sowohl um ihre Arbeitsplätze als auch um die Reputation des Unternehmens und der Branche grosse Sorgen.» Brecht forderte Konsequenzen: «Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung der Kartellvorwürfe.»

Kunden zahlten «möglicherweise viel zu hohen Preis»

Konsumentenschützer rechnen gar mit einer Klagewelle. Klaus Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband erwartet gemäss «Süddeutsche Zeitung» zehntausende Verfahren, in denen Autokäufer Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen werden. Viele Kunden hätten für ihre Autos einen «möglicherweise viel zu hohen Preis» gezahlt. Der Konsumentenschützer verwies auf die Selbstanzeigen, die Daimler und Volkswagen bei den Wettbewerbsbehörden gestellt haben sollen.

Gemäss Bundeswirtschaftsministerium informierte die Autoindustrie selbst die Behörden. Es habe Informationen an das Bundeskartellamt und an die EU-Wettbewerbsbehörde gegeben, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Daimler habe sich deutlich früher als Volkswagen an die Behörden gewandt, berichteten «Süddeutsche Zeitung», NDR und WDR. Damit könne der Stuttgarter Autohersteller darauf hoffen, ohne Strafe davonzukommen, sollte die EU-Kommission Geldbussen wegen verbotener Absprachen verhängen.

Aktien von BMW, Daimler und Volkswagen deutlich im Minus

Aus Angst vor möglichen Strafen warfen Anleger Automobilaktien am Montag erneut aus ihren Depots: Die Papiere von BMW, Daimler und Volkswagen verloren am Vormittag jeweils über drei Prozent und waren damit die grössten Verlierer im deutschen Leitindex Dax.

Der bereits vom Dieselskandal schwer gezeichnete Wolfsburger Hersteller Volkswagen gab am Montag bekannt, der Aufsichtsrat wolle am Mittwoch zu einer ausserordentlichen Sitzung zusammenkommen. Denn klar ist: Längst droht sich die Krise zu einem neuen branchenweiten Skandal auszuweiten. Auch die Politik ist alarmiert – das Thema wird im Bundestagswahlkampf von allen Parteien aufgegriffen.

«Ein gigantischer Betrug zulasten der Kunden»

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagte am Sonntag: «Wenn sich die Kartellvorwürfe bestätigen sollten, wäre das ein ungeheuerlicher Vorgang. Es wäre ein gigantischer Betrug zulasten der Kunden und der oftmals mittelständischen Zulieferunternehmen.» Die verantwortlichen Manager müssten die Konsequenzen tragen.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte im «Handelsblatt» Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die Aufklärung des Dieselskandals Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zu entziehen. Es sei schwer nachzuvollziehen, dass das Kraftfahrtbundesamt nichts von der Zusammenarbeit der Konzerne mitbekommen habe: «Verkehrsminister Dobrindt hat seit zwei Jahren alle Probleme vertuscht.» Eine Regierungssprecherin indes verwies auf die Brüsseler Behörden: Es sei nun Sache der Kartellbehörden, den Sachverhalt aufzuklären.

(moh mit Agenturen Reuters, SDA)