1516 wurde in Bayern ein erstes Reinheitsgebot erlassen. Was waren die Hintergründe?

Marcel Kreber*: Es gab zwei wichtige Ziele. Einerseits wollte man die Verwendung des Getreides steuern und den wertvollen Weizen für die Bäcker reservieren. Und andererseits galt es die Panscherei zu stoppen, die manche Biere ungeniessbar oder sehr rauschfördernd machte. Es kam immer wieder vor, dass Tollkirschen und andere giftige Zutaten beigemischt wurden, was für die Gesundheit der Konsumenten ein Problem werden konnte.

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Hätte uns das Bier vor dem Reinheitsgebot geschmeckt?

Sicher nicht jedes, aber das Bier war teilweise durchaus mit dem heutigen vergleichbar. Zwar hat man damals den Brauprozess und die chemischen Vorgänge dahinter noch nicht ganz verstanden, aber vor allem in Klöstern wurden grosse Fortschritte beim Bierbrauen erreicht. Seit dem neunten Jahrhundert stellten diese Bier her und verbesserten dessen Qualität so sehr, dass ihnen die Brauwissenschaft wichtige Erkenntnisse verdankt. Dazu gehört unter anderem das Beifügen von Hopfen als Gewürzmittel und zur Verbesserung der Haltbarkeit.

Wie hat sich das Bier durch die Regel verändert? War es nach der Beschränkung auf Gersten, Hopfen und Wasser vom Geschmack her wie das heutige Bier?

Es ist zumindest genau das gleiche Grundrezept wie heute. Allerdings hatte das im Haushalt gebraute Bier wohl oftmals deutlich weniger Alkoholgehalt als heute. Weil es nicht überall sauberes Trinkwasser gab, war Bier quasi ein Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung. Nach und nach wurden die Klosterbrauereien durch bürgerliche Brauereien und Gaststätten verdrängt und schliesslich durch «moderne» Brauereien abgelöst.

In der Schweiz erhielt das Reinheitsgebot ja nie Rechtscharakter. Trotzdem prägte es auch unser Bier.

Genau. Im frühen 20. Jahrhundert wurde das Reinheitsgebot in Deutschland gesetzlich verankert. Die deutschen Brauer und ihr Bier waren damals weltweit anerkannt. Als man hierzulande sah, wie erfolgreich die Deutschen waren, wollte man den Erfolg imitieren und forderte vom Bundesrat, ebenfalls ein Reinheitsgebot ins neue Lebensmittelgesetz zu schreiben.

Was geschah dann?

Der Bundesrat lehnte ab und verwies auf die Handels- und Gewerbefreiheit. Der heutige Brauerei-Verband, der damals noch Bierbrauerverein hiess, hat sich daraufhin selber ein Surrogatverbot auferlegt. Dieses wurde schliesslich vom sogenannten «Bierkartell» ab 1935 weitgehend durchgesetzt.

Heute gibt es über 600 Brauereien in der Schweiz. Wie hat sich diese Vielfalt herausgebildet?

Als das Bierkartell 1991 aufgegeben wurde, gab es nur 32 Brauereien in der Schweiz. Schon vorher stieg aber die Nachfrage nach ausländischen Bieren. Der Craft-Beer-Trend aus den USA schwappte erst in den 2000er-Jahren in die Schweiz herüber. Mit dem Ende des Kartells war der Nährboden gelegt worden für die spätere Entwicklung der Mikrobrauereien.

Ihr Verband vertritt die grösseren Brauereien in der Schweiz. Ist der Boom der Mikrobrauereien eigentlich eine Gefahr für die etablierten Firmen?

Sicher gibt es eine gewisse Konkurrenz, aber letztlich sitzt die ganze Branche im selben Boot. Das hat man zum Beispiel im Kampf um die Swissness-Gesetzgebung gesehen. Nach dem ersten Entwurf hätte kein Bier mehr als schweizerisch gelten können. Schliesslich setzten wir aber durch, dass hier Gebrautes als Schweizer Bier verkauft werden darf – dank dem Brauwasser.

Gleichzeitig kann man weltweit eine unheimliche Konzentration des Biermarktes beobachten. 40 Firmen beherrschen mehr als 80 Prozent des Weltmarktes und alleine AB Inbev wird nach der Fusion mit SABMiller 30 Prozent des Bieres produzieren. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Tendenziell nimmt der Bierkonsum in Europa ab und die Grossbrauereien sind nicht nur Jäger, sondern auch Gejagte. Sie schauen nach Asien, um neue Märkte zu erschliessen. Hier spielen Skaleneffekte eine wichtige Rolle. In der Schweiz dagegen scheint das Übernahmepotenzial ausgereizt. Seit dem Kauf von Eichhof durch Heineken im Jahr 2008 hat sich an dieser Front nicht mehr viel getan.

Doch der Kuchen wird nicht grösser. Vielmehr ist der Bierkonsum in der Schweiz in den 90er-Jahren eingebrochen und hat sich seither nie mehr erholt. Wie wird sich die Schweizer Bierkarte in zehn Jahren verändert haben?

Pro-Kopf nimmt der Konsum tatsächlich ab, aber wegen des Bevölkerungswachstums blieb der Ausstoss in den letzten Jahren etwa konstant. Der gesamte Lebensstil der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Doch das ist auch eine Chance. Der Trend geht zu mehr Auswahl und höher preisigen Spezialitätenbieren. Ich glaube, dass es in zehn Jahren sogar noch mehr Vielfalt geben wird als heute. Doch es ist klar, Firmen kommen und gehen – und nur wenige können sich langfristig etablieren.

*Marcel Kreber ist Direktor des Schweizer Brauerei-Verbandes. Dem 1877 gegründeten (damals Schweizerischer Bierbrauerverein) SBV gehören 17 schweizerische Brauerei-Unternehmen mit einem Mindestausstoss von 2000 Hektolitern an. Am Freitag dem 29. April feiert der Verband den alljährlichen «Tag des Schweizer Bieres».