«Der Abstand wird in den nächsten Jahren noch grösser werden», ist Ryanair-Finanzchef Neil Sorahan überzeugt. Im vergangenen Jahr sind die Iren nach der Zahl der Passagiere schon Europas grösste Fluggesellschaft geworden und haben die Lufthansa überholt. Aber das reicht ihnen noch nicht.

Finanzchef Sorahan legte jetzt bei der Präsentation der Geschäftszahlen eine Tabelle auf, um die Unterschiede zu verdeutlichen. Ganz oben die irische Billigfluglinie, mit einem Durchschnittsticketpreis von 41 Euro – minus 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. «Wir sind die Fluggesellschaft mit den niedrigsten Preisen und niedrigsten Kosten», betont Sorahan. Vor allem sei die Fluggesellschaft profitabel.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Lufthansa ist viel teurer

An zweiter Stelle der Ticketpreisliste folgt die Billigfluglinie Wizz mit 51 Euro, dann EasyJet mit 77 Euro. Ganz unten auf dem letzten Platz steht laut dieser Aufstellung die Swiss-Muttergesellschaft Lufthansa mit 218 Euro als durchschnittlichem Ticketpreis.

Ryanair-Chef Michael O’Leary lässt keinen Zweifel daran, dass Fluggastzahlen, Umsatz und auch Gewinn in diesem Jahr weiter steigen werden. Im Ende März abgelaufenen Geschäftsjahr kletterte der Umsatz um zwei Prozent auf 6,65 Milliarden Euro – der Nettogewinn stieg um sechs Prozent auf 1,31 Milliarden Euro.

Billig als Erfolgsformel

Für die Iren funktioniert die Formel «Immer günstiger, aber auch immer erfolgreicher» bislang, weil die Fluggesellschaft ihre Kosten ständig drückt. Beispielsweise gibt es bei der Lufthansa unterschiedliche Flugzeuge mehrerer Herstellern – bei Ryanair nur relativ neue Flugzeuge vom Typ Boeing 737-800.

Während der Lufthansa im vergangenen Jahr Millionenkosten durch Streiks entstanden sind, ist der Ryanair-Chef kein Freund von Gewerkschaften. Zum Geschäftsmodell der Iren gehört, dass Hunderte formal selbstständige Piloten bei Fremdgesellschaften angestellt werden. So müssen sie selbst ihre Sozialversicherungsbeiträge entrichten.

Personalkosten steigen

Vorwürfe, dass die Piloten oft nur nach geflogenen Stunden entlohnt werden und sich daher lieber nicht krankmelden würden, weist Ryanair zurück. Zwar stiegen im abgelaufenen Geschäftsjahr auch die Personalkosten, aber weit weniger als die Zahl der Passagiere. Sie kletterte um stolze 13 Prozent auf 120 Millionen.

Über standardisierte Prozesse und eine möglichst hohe Auslastung der Flugzeuge versuchen die Iren zusätzlich ihren Profit zu steigern. So waren im Durchschnitt die Sitzplätze der Maschinen zu 94 Prozent belegt – ein neuer Branchenrekord. Zum Vergleich: Bei der hoch verschuldeten Fluggesellschaft Air Berlin lag die Auslastung im ersten Quartal 2017 bei knapp 81 Prozent.

Günstige Airports werden bevorzugt

Um die Ausgaben zu drücken, flog Ryanair anfangs vor allem kostengünstige Flughäfen an. In jüngster Zeit bekommen die Iren aber auch von grösseren Airports den roten Teppich ausgerollt und werden mit Rabatten angelockt, wie das Beispiel Frankfurt/Main zeigt.

So steigert Ryanair seinen Gewinn, während etablierte Airlines wie Emirates oder Etihad über Ertragsrückgänge berichten und andere Fluggesellschaften wie Alitalia oder Air Berlin mit tiefroten Zahlen ums Überleben kämpfen. Viele alteingesessene Airlines sind praktisch mit sich selbst beschäftigt oder exerzieren Umstrukturierungspläne durch, wie die Lufthansa mit dem Aufbau ihrer Zweitmarke Eurowings und dem inzwischen unverhohlenen Interesse an einer Übernahme von Air Berlin.

Auf der Suche nach Schnäppchen

Interessant ist daher eine Passage im Ryanair-Jahresbericht. Danach würden im Zusammenhang mit der Restrukturierung bei anderen Fluggesellschaften mit Boeing Gespräche laufen, eventuell kurzfristig weitere Maschinen zu übernehmen. Die Iren wollen nach eigenen Angaben gerüstet sein, falls sich «einmalige Wachstumsmöglichkeiten» ergeben.

Ein Abflachen des Expansionskurses bei Ryanair ist offensichtlich nicht in Sicht. Allein im abgelaufenen Jahr wurden 52 neue Boeing-Jets in die Flotte aus nunmehr 427 Maschinen aufgenommen und 206 neue Flugverbindungen angekündigt.

Preise werden weiter sinken

Im aktuellen Geschäftsjahr soll die Zahl der Fluggäste um acht Prozent auf 130 Millionen klettern. Die Ticketpreise dürften weiter fallen, um schätzungsweise fünf bis sieben Prozent. Und die Iren sind überzeugt, dass sie ihre eigenen Kosten nochmals senken können. Daraus sollte sich dann ein Gewinnanstieg um acht Prozent ergeben.

Zu den grossen Risikofaktoren gehört allerdings die Brexit-Frage. Ein harter Ausstieg der Briten könnte „eine schwere Unterbrechung für Flüge zwischen Grossbritannien und der EU für einige Monate nach März 2019 auslösen», heisst es im Jahresbericht. Im Interesse der Kunden hofft die Fluggesellschaft auf weiter offene und uneingeschränkte Flugverbindungen.

«Amazon-des-Reisens»

Ryanair will neben dem reinen Flugangebot zudem sein Spektrum mit Reisen erweitern. Ziel sei eine «Amazon-des-Reisens»-Plattform mit Hotels und zusätzlichen Angeboten. Für Langstreckenflüge in Richtung Nord-, Mittel- und Südamerika wurde jüngst eine Zusammenarbeit mit der spanischen Fluggesellschaft Air Europa verkündet, die künftig über Ryanair gebucht werden können.

Dieser Text erschien zuerst bei unserem Schwesterblatt «Die Welt» unter dem Namen «Die Billigformel macht Ryanair zum großen Sieger».