Der Rohbau ist erstellt. Treppen, Rampen und Stützen für Hotel, Restaurant, Parking, Konferenzräume, Wellnessanlage und Wohnungen sind betoniert. Die künstlerische Fassade und ein Teil des aufwändigen, gewölbten Daches sind montiert. Obwohl die Hamburger Elbphilharmonie ihre Pforten noch nicht geöffnet hat, ist der Besucherandrang schon jetzt riesig. Die sonntäglichen Baustellenführungen sind bis im April komplett ausgebucht.

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Mit der neuen Elbphilharmonie ist ein Zentrum für klassische Musik geplant und vor allem ein international ausstrahlendes Wahrzeichen. Die spektakuläre Architektur soll Besucher aus der ganzen Welt nach Hamburg locken. Dafür sollen die Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron garantieren. Das war der Plan. Doch es kam ganz anders.

Der Bau steht derzeit fast still. Planänderungen verhindern den Weiterbau. Seit Jahren wird verbissen über die massiven Mehrkosten und Terminüberschreitungen des Projekts gestritten. Das Projekt, das einst auf 60 bis 80 Millionen Euro veranschlagt war, hat bereits 323 Millionen verschlungen. Möglicherweise kommen noch 150 bis 180 Millionen dazu. Zudem hat sich die Bauzeit fast verdoppelt. Die Elbphilharmonie hätte gemäss den ersten Verträgen bis 2010 fertig gebaut sein sollen. Jetzt ist nicht einmal der Termin im November 2014 gesichert.

Schwarzer-Peter-Spiel

Seit bald zwei Jahren versucht ein Untersuchungsausschuss des Landesparlaments herauszufinden, was passiert ist. «Alle Beteiligten schieben einander den Schwarzen Peter zu», sagt der Hamburger Ratsabgeordnete Andreas Wankum. Hat der Generalunternehmer Hochtief, von dem es eine Schwesterfirma in der Schweiz gibt, den Steuerzahler über den Tisch gezogen? Hat die Exekutive von Hamburg die Projektleitung dilettantisch überwacht? Hat das Investorenkonsortium Adamanta als Bauherrin versagt? Haben die Nutzer, allen voran die Stiftung Elbphilharmonie, mit exzessiven Zusatzwünschen den Bogen überspannt? Oder haben gar Herzog & de Meuron als Generalplaner durch ambitionierte Entwürfe das Gebäude verteuert?

Die Rede ist von mindestens 3500 grösseren Änderungsplanungen seit dem Start 2006. Im ersten Entwurf war beispielsweise ein einziger Konzertsaal vorgesehen, der aufs Dach des denkmalwürdigen Speichers aufgelegt werden sollte. Dann beschloss die gemischte Bauherrschaft aus öffentlicher Hand und Privaten, den Speicher auszuhöhlen, also nur die Klinkerfassade stehen zu lassen und darin ein Parkhaus und Proberäume unterzubringen.

Bauleitung international ausgeschrieben

Zuerst war nur ein Hotel vorgesehen, später kamen ein Wellnessbereich und eine verglaste Terrasse dazu. Zusätzliche Geschosse und Nutzungen verlangten nach einer teuren Verstärkung der Fundamente. Der heutige Bau hat wenig mit den originalen Projekten von 2004 und 2006 zu tun. Inwieweit Herzog & de Meuron Verantwortung für die frappanten Mehrkosten mittragen, darüber wird in Hamburg heftig diskutiert. Als Generalplaner sind die Architekten nach Schweizer wie nach deutschen Normen gegenüber dem Bauherrn verantwortlich für die Einhaltung der Kosten und Bautermine.

Allerdings stand das Projekt Elbphilharmonie von Anfang an unter einem schlechten Stern. Als mit der Suche nach dem Generalunternehmer begonnen wurde, standen weder alle Nutzer fest noch war die Planung fertig. Fest stand nur das elektrisierende Projekt von Herzog & de Meuron, das der private Promotor Alexander Gérard auf die Beine gestellt hatte. Die Architekten mussten sich nie der Konkurrenz stellen.

Wie sieht die Kostenkontrolle aus?

Die Bauleitung wurde international ausgeschrieben. Hochtief gewann und garantierte einen Festpreis von 241 Millionen Euro unter dem Vorbehalt, dass Änderungen zusätzlich verrechnet würden. Die Grundlagen für diese Ausschreibung waren aber mangelhaft. «Viele Nutzungen waren nicht ausreichend definiert. Teilweise konnten nur Platzhalter geplant werden», sagt David Koch, Partner bei Herzog & de Meuron.

Die Architekten warnten die Klienten «ausdrücklich» vor der verfrühten Ausschreibung. Die Unsicherheiten im Raumprogramm wurden im Verlaufe der Zeit Kostenbomben. «Das ist eine typische, rollende Projektplanung», sagt Beat Flach, Jurist des Schweizer Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). «Das kommt leider häufig vor und ist geeignet, die Kosten explodieren zu lassen.»

Offenbar spielte politischer Druck eine wichtige Rolle. «Man wollte jedenfalls loslegen, ohne das genau Raumprogramm zu kennen», kritisiert der Abgeordnete Wankum. Wer dahintersteckt, ist bis heute nicht geklärt. Bei politischen Auftraggebern sei ein solches Verhalten häufig zu beobachten, sagt SIA-Jurist Flach. Herzog & de Meuron beschränkten sich darauf, vor Kostenüberschreitungen mehrfach zu warnen. «Sie sind die Einzigen, die diese Warnung schriftlich machten», hält Wankum ihnen zugute. Im November 2011 wies Pierre de Meuron vor dem Untersuchungsausschuss jede Schuld von sich. «Dass aber ein Generalplaner auf ein solch unsicheres Bauvorhaben einsteigt, ist als fahrlässig zu beurteilen», sagt ein auf Bauausführung spezialisierter Unternehmer und Hochschulprofessor, der nicht genannt sein will. Koch wehrt sich: «Wir hatten weder Einfluss auf den Zeitpunkt der Vergabe noch auf die Verträge zwischen der Bauherrschaft Stadt Hamburg und der Adamanta.»

Inzwischen ist die Stimmung so gereizt, dass selbst Beschaffungen, die eine untergeordnete Rolle spielen, in Frage gestellt werden. Im Dezember wurde bekannt, dass die Bauherrschaft, vertreten durch die Gesellschaft ReGe, Konzertstühle bestellte, die rund 1000 Euro pro Einheit kosten: 2100 Stühle im Wert von 2,2 Millionen Euro. Herzog & de Meuron hatten sie entworfen und im Direktauftrag an ihren Vertrauenspartner Poltrona Frau in Italien vergeben lassen. Ein Konkurrent sprach von Mauschelei. Er hätte die gleichen Stühle für die Hälfte des Preises beschaffen können. ReGe spricht von «rechtmässiger Vergabe».

«Nicht ausführbar»

Bis heute ist nicht bekannt, wie hoch die Nachforderungen der Hochtief ausfallen. Insider schätzen die Gesamtkosten auf 500 Millionen Euro. Das Honorar für den Generalplaner, also Herzog & de Meuron, beträgt allein rund 52 Millionen Euro, wobei ein Teil des Geldes an die Fachplaner weitergereicht wird. Dies ist ein Drittel mehr als ursprünglich budgetiert. «Allein durch die Terminverzögerungen hat Herzog & de Meuron zwei Jahre lang im Schnitt 50 Mitarbeiter beschäftigt», sagt Koch. «Dass dieses Planerhonorar bereits fast so viel kostet, wie ursprünglich das ganze Projekt hätte kosten sollen, ist schwer zu verstehen», sagt Wankum.

Wann es mit dem Bau weitergeht, ist völlig offen. «Grund sind erneut ungeklärte technische Fragestellungen, verspätete Planlieferungen und Entscheidungen sowie Umplanungen des Bauherrn, schreibt Hochtief in einer Stellungnahme. Sie nennt ein Beispiel: «Erst im Dezember 2011, fast fünf Jahre nach dem Baustart, erhielten wir für das 10. bis 17. Obergeschoss komplett neue Pläne als Folge des aktuellsten Brandschutzkonzeptes. Sie sehen unter anderem eine Umstellung der Kühlung vor. Bislang sollten die Kühleinheiten in die Decken integriert werden.

Grabenkrieg: Jeder gegen jeden

Jetzt sollen die Anlagen in die Wände eingebaut werden. Diese Planung ist jedoch in weiten Teilen nicht ausführbar.» Bis zur Klärung der strittigen Punkte müsse der Generalunternehmer die Arbeiten an einigen Stellen einstellen, sagte Sprecher Bernd Pütter. Es sei die Aufgabe des städtischen Bauherrn ReGe, die Entwurfsplanung so zu überarbeiten, dass sie umgesetzt werden könnte. Herzog & de Meuron entgegnet, das sei falsch. Die Verspätungen seien auf verspätete Bauausführung zurückzuführen und durch die nachlaufende Planung von Hochtief verursacht.

Pikantes Detail: Für den privaten Teil der Mantelnutzung hat Hochtief die gesamte Planung übernommen, weil sie selber Bauherrin der Wohnungen ist. «Im Hotel, in den Restaurants und Wohnungen, die ebenfalls zum Komplex Elbphilharmonie gehören, sind die Bauarbeiten im Zeitplan», schreibt Hochtief. Auch das sei offensichtlich falsch, sagt David Koch von Herzog & de Meuron, denn weder sei das Hotel noch seien die Wohnungen zurzeit abnahmefähig. Ein Grabenkrieg, jeder gegen jeden. Die Stadt Hamburg und Hochtief haben sich bereits gegenseitig eingeklagt.

BERN, 14.8.2019. Andreas Valda, Redaktor Handelszeigung. Foto: Daniel Rihs / 13 Photo
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