Eine Waadtländerin hat gegen das Unispital Lausanne und den Pharmakonzern Sanofi Strafanzeige gestellt. Diese hätten die Behinderung ihrer Kinder mitverschuldet. Die Frau hatte jahrelang das Epilepsiemedikament Depakine eingenommen, auch während ihrer Schwangerschaft.

Auch gegen die Spitalgruppe Riviera-Chablais sowie mehrere Ärzte hat die zweifache Mutter wegen schwerer Körperverletzung Strafantrag gestellt. Ihre Anwältin Jessica Jaccoud bestätigte am Ostersonntag einen entsprechenden Bericht der Westschweizer Zeitung «Le Matin Dimanche».

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Pilotfall

Es sei die erste Strafanzeige wegen Depakine in der Schweiz, sagte Jaccoud. Bislang gebe es nur Zivilklagen. Im Universitätsspital Lausanne (CHUV) sei ihre Mandantin während ihrer Schwangerschaften betreut worden, in einem Regionalspital der Riviera-Chablais-Gruppe habe sie ihre Kinder geboren.

Weiter habe ihre Klientin die Schweizer Tochter des französischen Konzerns Sanofi-Aventis mit Sitz in Vernier (GE) angezeigt. Sanofi vertreibt das Medikament Depakine.

Depakine erhielt bereits in den 1970-er Jahren in der Schweiz die Zulassung. In den 1980-er Jahren wurde bekannt, dass das Medikament bei Föten zu Fehlbildungen führen kann: zu einer «Spina bifida» (offener Rücken) oder einer Lippen-Kiefer-Gaumensegelspalte.

Patientin nicht informiert

Ihre Klientin nehme Depakine seit ihrer Jugend ein, sagte Anwältin Jaccoud. Ihre in den Jahren 2002 und 2004 geborenen Kinder litten an «schweren kognitiven Beeinträchtigungen und Autismus und müssen die Schule in einer spezialisierten Einrichtung besuchen».

Als ihre Klientin schwanger gewesen sei, habe sie sich auf «spina bifida» und die sogenannte Hasenscharte testen lassen. Dass aber auch das Risiko bestehe, dass ihre Kinder wegen Depakine schwer geistig beeinträchtigt sein könnten, darüber habe sie kein Mediziner aufgeklärt.

Stattdessen hätten ihre Ärzte während der Schwangerschaft die Depakine-Dosis noch erhöht. Dabei seien auch diese Risiken zum Zeitpunkt der Schwangerschaft bereits bekannt gewesen.

Studien warnten ab 2000

Anwältin Jaccoud verwies auf eine Studie der Schweizerischen Neonatologischen Gesellschaft (Gesellschaft für Neugeborenenmedizin) vom Mai 2001. In dieser stellen die Autoren einen Zusammenhang zwischen Depakine und Autismus sowie weiteren kognitiven Einschränkungen her.

«Die Muster der verspäteten Entwicklung des Nervensystems zeigen Verhaltensprobleme verbunden mit Hyperaktivität oder Konzentrationsschwierigkeiten, autistischen Zügen, Lernschwierigkeiten sowie Sprachverzögerung», heisst es in der von der Gesellschaft publizierten Studie «Fetal Valproate Syndrome». Valproat ist der Name des Wirkstoffes in Depakine.

Hersteller und Behörden warnten 2015

Im März 2015 warnte Swissmedic dann offiziell vor dem Risiko von angeborenen Missbildungen und Entwicklungsstörungen bei der Exposition während der Schwangerschaft durch Depakine und dessen Generika. Bis zu 10 Prozent der Kinder, die in der Gebärmutter dem Medikament ausgesetzt seien, hätten «schwere Entwicklungsstörungen» und 30 bis 40 Prozent Lernschwierigkeiten, schreibt Swissmedic auf seiner Webseite.

Deshalb solle das Medikament bei jungen Mädchen, Jugendlichen, Frauen im gebärfähigen Alter sowie schwangeren Frauen nur verschrieben werden, wenn alle anderen Medikamente nichts nützen oder die Patientinnen keine anderen vertragen würden. Frauen, die Depakine nehmen, müssen zudem unterschreiben, dass sie über die Risiken aufgeklärt wurden.

Auch das Absetzen eines Medikaments oder das Umstellen auf ein neues hat Risiken. Denn hat eine Epileptikerin während einer Schwangerschaft einen Anfall, kann auch der Fötus geschädigt werden.

Das CHUV in Lausanne erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur sda am Sonntag, man habe noch keine Kenntnis von einer Strafanzeige.

Tausende Fälle in Frankreich

In Frankreich hat das Parlament im vergangenen November entschieden, einen Entschädigungsfonds zu äufnen für die Depakine-Opfer. Zuvor waren etliche Klagen eingereicht worden.

In Frankreich geht man von 14'000 «Depakine-Kindern» aus. Sanofi-Aventis muss gemäss Parlamentsbeschluss in den Fonds einzahlen.

(sda/chb)