Seinem Blick entgeht niemand. Wer das Gebäude der Migros-Pensionskasse in Zürich Altstetten betritt, muss gleich als Erstes eine Büste von Gottfried Duttweiler passieren. Das Abbild des legendären Migros-Gründers wacht nicht von ungefähr über die Eingangshalle. In seinem Detailhandels-Imperium war die Altersvorsorge von Anfang an von höchster Bedeutung. 1934 rief er die Stiftung «Hilfs- und Pensionskasse für Angestellte und Arbeiter» ins Leben – lange bevor es die AHV gab. Soziale Aspekte spielten dabei eine wichtige Rolle.

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Aber nicht nur. Gerissener Geschäftsmann, der Duttweiler war, setzte er das Vorsorgewerk ein, um die Mitarbeiter zu motivieren und an das Unternehmen zu binden. Auch lange nach seinem Tod galt für seine Nachfolger wie selbstverständlich, dass die Leistungen der betriebseigenen Vorsorge immer besser zu sein hatten als jene der Konkurrenz.

Ein tiefer Graben

Doch die Zeiten haben sich geändert. Angesichts der garstigen Wirtschaftslage und der Turbulenzen an den Finanzmärkten mehren sich beim Migros-Konzern die Zweifel, ob man sich das Erbe Duttweilers noch leisten kann. Ein erster schmerzhafter Schnitt steht dem Vorsorgewerk unmittelbar bevor: Ab kommendem Januar gilt bei der Migros-Pensionskasse das revidierte Vorsorgereglement 2012. Es sieht eine Reduktion der Leistungen und die Erhöhung des ordentlichen Pensionierungsalters auf 64 vor – und verkehrt den Werbeslogan der Migros «Ein M besser» ins Gegenteil.

Doch selbst nach diesen Abstrichen erscheint die Kasse einzelnen Migros-Tochter-Firmen als zu teuer. Sie suchen nun aktiv nach einer Alternative zur bestehenden Rolls-Royce-Lösung. Experten erwarten, dass die Absetzbewegung künftig noch an Kraft gewinnt.

Bei der Migros-Reisetochter Hotelplan ist der Abschied von Duttweilers Vermächtnis bald Tatsache. Hinter den Kulissen plant die Geschäftsleitung, ihre noch bei der Migros-Pensionskasse versicherten Mitarbeiter in eine eigenständige Vorsorgelösung zu verschieben. In Kürze wird sie dem Verwaltungsrat einen enstprechenden Antrag unterbreiten. In der Schweiz sind momentan 1329 Personen für Hotelplan und ihre Schwesterfirmen Travelhouse, Interhome, Travelwindow und BTA First Travel tätig. Sie sollen unter dem Dach der bestehenden Personalvorsorgestiftung Travel zusammengeführt werden. «Sicher wird der Wechsel nicht vor 2013 oder 2014 vollzogen», sagt Hotelplan-Mediensprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir. Es ist das Ende einer Ära. Gleich nach der Gründung des Reiseveranstalters im Jahr 1935 traten alle seine Mitarbeiter der Migros-Vorsorgestiftung bei.

Hotelplan unter zu hohem Druck

Doch Hotelplan steht unter zu hohem Druck, um sich an Traditionen festklammern zu können. Das Feriengeschäft ist seit Jahren rückläufig. Die Kosten müssen runter. Da ist selbst die Altersvorsorge kein Tabuthema mehr. 2006 hatte Hotelplan mit dem Reiseanbieter Travelhouse auch dessen Vorsorgeeinrichtung übernommen. 2007 konnte Hotelplan nach zähen Verhandlungen mit dem Stiftungsrat der Migros-Pensionskasse die Personalvorsorgestiftung Travel als eigene Vorsorgelösung übernehmen. Insider berichten, dass man damit ihre Personalkosten um 6 Prozent senken konnte – keine Kleinigkeit bei einer Lohnsumme von damals rund 100 Millionen Franken. Heute dürfte der Spareffekt noch grösser sein, heisst es.

Doch der Preis ist eine Zweiklassengesellschaft im Unternehmen. Seit 2007 werden bei Hotelplan Neuangestellte und die Mitarbeiter von ehemals übernommenen Unternehmen direkt in die Vorsorgestiftung Travel geschickt.

Bereits sind über 60 Prozent der Beschäftigten in der neuen Einrichtung versichert, während eine Minderheit weiterhin in den Genuss der Leistungen der Migros-Pensionskasse kommt. Der Graben ist tief. Im Gegensatz zur Personalvorsorgestiftung Travel, die im Sparprozess nach Beitragsprimat arbeitet, werden bei der Migros-Pensionskasse die Renten nach dem Leistungsprimat im Voraus fix garantiert. Noch mehr: Bei der Migros-Pensionskasse Versicherte zahlen nur einen Drittel des Beitrags an ihre 2. Säule. Bei Travel berappen die Arbeitnehmer 50 Prozent. Travel senkte auch den technischen Zinssatz, der den zukünftigen Ertrag auf dem Vorsorgevermögen abbildet, auf 3 Prozent. Die Migros-Pensionskasse hält an einem Satz von 3,5 Prozent fest.

Hotelplan stellt in Abrede, dass sie in der Vorsorge eine reine Sparübung durchführe. «Wir wollen die mit der Anpassung des Gesamtarbeitsvertrags an den Branchenstandard erzielte Vereinheitlichung auch in der beruflichen Vorsorge erreichen.»

«Gürtel enger schnallen»

Hotelplans Abreise ist derweil bei den anderen Genossenschaftern nicht unbemerkt geblieben. Wie ein Stiftungsrat der Migros-Pensionskasse berichtet, werde derzeit diskutiert, ob man sich eine so gute Vorsorge überhaupt noch leisten könne. Denn nicht nur die Tochterfirmen, sondern auch die Migros selber sieht ihre Margen im Preiskampf mit der Konkurrenz schwinden. Christoph Ryter, Geschäftsleiter der Migros-Pensionskasse, bestätigt: «Die Leistungen der Pensionskasse und deren Kosten für die Unternehmen werden laufend überprüft.» Nicht zuletzt wegen der hohen Kosten wurden in der Vergangenheit die Beschäftigten neu erworbener Firmen wie Denner, Globus oder Scana Lebensmittel nicht in die Migros-Pensionskasse eingegliedert.

Der Austritt von Hotelplan erfolge schrittweise und habe keine grossen Auswirkungen auf die Migros-Pensionskasse, so Ryter. Derzeit seien ihm auch keine konkreten Projekte zu einem Austritt eines Unternehmens der Migros-Gruppe aus der Vorsorgeeinrichtung bekannt. Doch Vorsorge-Spezialisten sind sich einig, dass Hotelplan Nachahmer finden wird. «Angesichts der Wirtschaftslage müssen die Unternehmen ihre Gürtel enger schnallen», sagt Dominique Ammann, Partner beim Vorsorgeberatungsunternehmen PPCmetrics. «Da wird natürlich auch die Vorsorgelösung diskutiert.» Peter Hertzog, Schweiz-Chef bei der Beratungsfirma Aon Hewitt, spricht gar von einem neuen Trend, der die ganze 2. Säule verändere. «Salär, Versicherung und Vorsorge werden als Teil einer ganzheitlichen Entschädigung betrachtet. Die Unternehmen wollen dort mehr Flexibilität.» Anders gesagt: Vom Konzern aufoktroyierte Gemeinschaftslösungen wie die Migros-Pensionskasse sind out. Gefragt sind Sammeleinrichtungen, die für jede Firma individuelle Leistungen ermöglichen – je nach Kostenbasis.

Für die Migros-Pensionskasse wären bis dahin noch einige Hürden zu nehmen. Allein um das revidierte Vorsorgereglement, das 2012 in Kraft tritt, wurde anderthalb Jahre gerungen. Nun wird das Pensionierungsalter hinaufgesetzt und das maximale Leistungsziel von 74,1 auf 70,2 Prozent des versicherten Lohns herabgenommen. «Im Vergleich mit anderen Vorsorgeeinrichtungen bietet die Migros-Pensionskasse immer noch einen Rolls-Royce-Service für die Arbeitnehmenden», betont Geschäftsleiter Ryter. Das wiegt angesichts der gegenwärtigen Verluste auf dem Vorsorgevermögen schwer. Wegen der Verwerfungen an den Finanzmärkten ist der Deckungsgrad bis Ende September 2011 auf 98,4 Prozent gesunken. Das bedeutet, dass die Rentenverpflichtungen nicht mehr vollständig durch das Vermögen abgedeckt sind. «Mittelfristig kann es daher sein, dass wir das Reglement erneut anpassen», warnt Ryter deshalb.

Die Migros-Delegierten müssten sich dann bald wieder dem strengen Blick von Duttweilers Büste stellen.

 

Migros-Gruppe: Sixpacks, Zahnradbahnen, Tierkadaver – die Migros hats

Weitverzweigter Konzern
Die Migros ist ein Konglomerat mit über 100 Unternehmen und gegen 84000 Mitarbeitern. Der 1925 von Gottlieb Duttweiler gegründete Konzern wird durch den Migros- Genossenschafts-Bund geführt. Die zehn regionalen Genossenschaften sind aber alleinige Eigentümer und haben am Ende das Sagen. 2010 erzielte die Migros-Gruppe bei einem konsolidierten Umsatz von 25 Milliarden Franken einen R eingewinn von 852 Millionen.

Unbekannte Bekannte
Die Migros ist in sechs strategische Geschäftsfelder aufgeteilt: Genossenschaftlicher Detailhandel, Handel, Industrie und Grosshandel, Finanzdienstleistungen, Reisen sowie Übrige. In allen Bereichen finden sich bekannte und weniger bekannte Firmen.

Unterschiedliche Tochterfirmen
Das Reich der Migros ist äusserst bunt. Zum Konzern gehören etwa die zugekauften Unternehmen wie der Fitnesszenterbetreiber Activ Fitness, die Ferrovia Monte Generoso, welche die Zahnradbahn auf den Hausberg Luganos betreibt, das Einrichtungshaus Interio, der Schokoladenhersteller Frey, die Konservenfabrik Bischofszell, der Bürobedarfshändler O ffice World, der Internet-Detailhändler Le Shop oder auch der bekannte Ferienhausvermittler Interhome.

Traditionelle Marken
In ihrer 86-jährigen Geschichte gründete die Migros auch zahlreiche Tochterfirmen. Zu den bekanntesten gehören der Buch- und CD-Händler Ex L ibris, das Reisebüro Hotelplan, die Grossbäckerei Jowa, der Kosmetikahersteller Mibelle, die Tankstellenkette Migrol oder auch der Sportartikelhändler SportXX. Als bekannter Name nicht mehr zur Migros gehört seit 2011 Limmatdruck.

Diverse Beteiligungen
Die Migros agiert aber auch als Investorin. So ist sie ist unter anderem am Grosshändler CCA Cash+Carry Angehrn mit 30 Prozent beteiligt, am Fleischverwerter Centravo (24,8 Prozent), am Parkhaus Pré de la Tour Pully (24,6 Prozent), am Schwyzer Milchhuus (34,0 Prozent), an den Schlachtbetrieben St.Gallen (42,2 Prozent) und am TMF Extraktionswerk (Entsorgung tierischer Nebenprodukte; 15,0 Prozent). Daneben hält die Migros aber auch 22,4 Prozent an der Kleiderhandelskette Charles Vögele. Damit hat der orange Riese indes bislang nur Geld verloren. Auch bei Kuoni ist die Migros investiert. Sie hält rund 8,5 Prozent der Aktien des Reiseveranstalters. (ncb)