Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Antrag von Novartis abgelehnt, das Medikament Lucentis auf die Liste jener Arzneien zu nehmen, die alle Länder lagern sollten. Das Medikament wurde von der Roche-Tochter Genentech entwickelt und wird zur Behandlung von altersbedingter Makuladegeneration (AMD) eingesetzt. Die Krankheit ist eine der häufigsten Ursachen für die Erblindung älterer Menschen. Novartis kommt ins Spiel, weil der Konzern Lucentis ausserhalb der USA vermarktet und vertreibt.

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Vor zwei Jahren hatte Novartis den Antrag auf Aufnahme gestellt. Die WHO listet seit einigen Jahren das ebenfalls von Roche entwickelte Krebsmedikament Avastin als bevorzugtes Medikament, denn die Altersblindheit AMD kann auch damit behandelt werden. Und die WHO hält an diesem Urteil fest: Auch die neueste Ausgabe der Liste essenzieller Medikamente verzichtet auf Lucentis (generischer Name: Ranibizumab) und führt lediglich Avastin (Bevacizumab) auf. Novartis ist «enttäuscht», wie Mediensprecher Patrick Barth auf Anfrage von handelszeitung.ch schreibt.

Kritiker fühlen sich bestätigt

Das WHO-Urteil ist brisant. Avastin ist massiv billiger. Lucentis kostet in der Schweiz zwischen dreissig- bis vierzigmal mehr, wie der Krankenkassenverband Santésuisse auf Anfrage sagt. Studien bescheinigen dem günstigen Medikament aber die gleiche Wirkkraft wie der teuren Alternative. Würde eine Form des Augenleidens mit Avastin statt mit Lucentis behandelt, kämen Patienten rund um den Globus weitaus günstiger weg. Alleine im Schweizer Gesundheitswesen könnten bis zu 80 Millionen Franken eingespart werden, wie Santésuisse-Sprecher Christophe Kaempf sagt.

Das Problem ist, dass die Basler Pharmafirma Roche das Krebsmittel Avastin nie für die Behandlung der Altersblindheit registriert hat. Entsprechend ist es auch nicht offiziell zugelassen. Kritiker monieren deshalb, dass Lucentis nur entwickelt wurde, um den Pharmafirmen eine Preisprämie zu sichern. Diese Kritiker sehen sich in ihrem Urteil mit dem WHO-Entscheid gestärkt.

Busse in Italien

Roche hat die Ärzte stets vor dem Einsatz von Avastin statt Lucentis gewarnt – nicht zuletzt auch in Italien, wo die Kartellbehörden diese Warnung als Teil einer wettbewerbswidrigen Absprache mit Novartis interpretierten. Die beiden Basler Pharmagiganten wurden von den italienischen Behörden deshalb in erster und zweiter Instanz mit je rund 90 Millionen Euro Bussgeld belegt. Die SMI-Konzerne weisen die Vorwürfe zurück und haben auch den Entscheid der italienischen Behörden angefochten.

Novartis und Roche verweisen darauf, dass Avastin ein statistisch signifikant höheres Risiko für schwere Nebenwirkungen aufweise. Studien des amerikanischen National Eye Institute sollen das belegen. Darüber herrscht aber keine Einigkeit. In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von Studien publiziert, ein schlüssiges Resultat kam nicht zustande. Dazu kommt: Keine der Studien hatte die Qualität einer systematischen – und teuren – klinischen Analyse, wie sie für die Zulassung eines Medikaments erforderlich wäre.