Achtzehn unscheinbare Rennmäuse schafften es kürzlich in die Schlagzeilen. Englische Forscher der Universität Sheffield betäubten mit einem chirurgischen Eingriff die Tiere. Danach pflanzten sie den Mäusen Hörzellen ein, die aus Stammzellen gezüchtet waren. Und das Wunder, das sich die Forscher von diesem Versuch erhofft hatten, trat ein. Die Rennmäuse konnten wieder hören.

Dass dieses Experiment derart beachtet wurde, ist kein Zufall. Denn weltweit sind annähernd 300 Millionen Menschen von dieser weitaus verbreitetsten Form von Schwerhörigkeit betroffen. Die Verbesserung des Hörvermögens im Innenohr würde die Lebensqualität eines grossen Teils der Menschheit erhöhen und verspricht der Pharmabranche ein milliardenschweres Geschäft. Der Konzern Roche mischt in diesem Forschungsgebiet zuvorderst mit. Zusammen mit den beiden amerikanischen Firmen Versant Ventures und Inception Sciences gründeten die Basler die Forschungsfirma Inception3, die einen neuen Ansatz verfolgt.

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Für den Hörverlust verantwortlich sind beschädigte oder abgestorbene Haarzellen im Innenohr. Diese haben zusehends Schwierigkeiten mit der Aufgabe, den Schall in für das Nervensystem verständliche Signale umzuwandeln. Bis heute gibt es keine wirksame medikamentöse Therapie zur Behandlung der Innenohrschwerhörigkeit. Die einzige Hilfe bieten Hörgeräte oder in schweren Fällen technische Implantate. Sie erlauben es den Betroffenen, ihren Hörverlust mittels Tonverstärkern einigermassen zu kompensieren.

Vielversprechende Perspektiven

Die Forscher von Inception3 setzen anstelle dieser bislang rein mechanischen Symptombekämpfung nun bei den biologischen Ursachen an. Sie fokussieren auf Therapien und Heilmittel, mit deren Hilfe die Haarzellen im Innenohr geschützt, regeneriert und wieder funktionstüchtig werden sollen. Laut Hansruedi Lötscher, dem Verantwortlichen von Molecular Neuroscience bei Roche, engagiert sich der Pharmakonzern aufgrund der vielversprechenden Perspektiven in diesem Projekt. «Die Grundlagenforschung hat in den letzten Jahren beim Verständnis der biologischen Ursachen der Innenohrschwerhörigkeit grosse Fortschritte erzielt», sagt Lötscher.

Die Zeit sei reif, eine entsprechende externe Forschungsplattform mit weltweit führenden Wissenschaftern, Unternehmern und Investoren auf die Beine zu stellen, so Lötscher. Ausserdem passe es zur grundsätzlichen Strategie von Roche, sich auf Krankheiten zu konzentrieren, bei denen ein besonders grosses Bedürfnis nach einer wirksamen Behandlungsmethode bestehe.

Dies ist bei der Innenohrschwerhörigkeit, welche sich aufgrund der Lärmexposition vieler Menschen und der schnell wachsenden älteren Bevölkerungsgruppe global rasant ausbreitet, zweifellos der Fall. Klar ist damit auch, dass es hier nicht um die Entwicklung eines allfälligen Nischenproduktes geht. Bei erfolgreicher Forschung winkt ein Blockbuster mit Milliardenumsätzen. Dieses Szenario ist im Moment allerdings noch Zukunftsmusik. «Wir befinden uns in einem sehr, sehr frühen Stadium des Prozesses», dämpft Lötscher voreilige Erwartungen. Auf die Frage, wie lange es dauern könnte, bis ein Medikament gegen die Schwerhörigkeit auf dem Markt zugelassen wird, will er keine Prognosen abgeben.

Für Roche bedeutet die Schwerhörigkeitsforschung ein neues Gebiet, auf dem der Konzern bislang nicht tätig war. Aufs Parkett der Schwerhörigkeit haben sich die anderen Grosskonzerne der Branche kaum vorgewagt. Bei Roche glaubt man aber an rasche Fortschritte. Die Hoffnungen beruhen vor allem auf den neuen Technologien mittels Stammzellen.

Drei unterschiedliche Partner

Neuartig ist das Geschäftsmodell von Inception3. Es stützt sich auf die Zusammenarbeit zwischen drei höchst unterschiedlichen Partnern aus Finanzwelt, Biotechnologie und Big Pharma. «Im Alleingang wäre keiner der drei Beteiligten in der Lage, ein solches Projekt zu bewältigen», stellt Lötscher klar. Die drei Firmen hinter Inception3 haben sich auf eine klare Rollenverteilung geeinigt: Versant Ventures steuert das Risikokapital bei. Roche finanziert die Forschung mit und lässt Erfahrung und Know-how einfliessen, um dafür die Exklusivrechte für die spätere Vermarktung zu erhalten. Inception Sciences schliesslich ist für die operationellen Geschäfte des Startups verantwortlich.

Im Zentrum der Aktivitäten in San Diego steht vorderhand eine Technologieplattform, der Wissenschafter der Stanford-Universität und eigene Spitzenforscher angehören. Die Fäden laufen bei Peppi Prasit zusammen, dem Chef von Inception Sciences. Er gilt als eigentlicher Shootingstar der amerikanischen Biotech-Szene. Sein von ihm mitbegründetes Unternehmen Amira wurde im letzten Jahr für 325 Millionen Dollar an den Pharmariesen Bristol-Myers verkauft, als es nach siebenjähriger Forschung neue Wirkstoffe gegen Lungenkrankheiten und Entzündungen in der Pipeline hatte.

Ergebnisse in zwei Jahren

Jetzt versucht Prasit, sein erprobtes Geschäftsmodell mit dem Ex-Amira-Team unter neuem Namen gleich mehrfach zu kopieren. Denn für den Inkubator biotechnologischer und pharmazeutischer Forschung ist Inception3 bloss eines von drei Spielzeugen. Mit Inception1 und 2 forschen bereits zwei weitere von ihm initiierte Startups an Wirkstoffen gegen degenerative Nervenkrankheiten wie Alzheimer und an neuen Krebstherapien. Prasit beweist mit den Krankheiten, bei denen er Heilung verspricht, Gespür für die Bedürfnisse des Marktes.

Auch die Risikokapitalfirma Versant Ventures ist in der Life-Science-Branche eine bekannte Grösse. Sie verwaltet rund 1,6 Milliarden Dollar. In ihrem Portfolio sind 75 Firmen, die mit grösseren und kleineren Beträgen unterstützt werden. Nebst dem Hauptsitz in San Diego unterhält Versant Ventures auch ein Büro in Basel. Geleitet wird es von Guido Magni, dem früheren Leiter Medical Sciences bei Roche.

Gemäss Berechnungen von Inception3 und Roche könnte bestenfalls in zwei Jahren ein Wirkstoff für Labortests vorliegen. Nicht auszuschliessen ist, dass dann wie schon in Sheffield wiederum Rennmäuse daran glauben müssen. Aus dem einfachen Grunde, weil ihre Hörorgane dem menschlichen Ohr sehr ähnlich sind.

 

Hörgeräte-Industrie: Unwillkommene Konkurrenz

Markt
Ein wirksames Medikament gegen die Schwerhörigkeit würde die traditionelle Hörgeräteindustrie zutiefst erschüttern. Diese setzt jährlich rund 10 Millionen Geräte ab und erwirtschaftet allein mit deren Verkauf rund 7 Milliarden Franken. Das Potenzial ist aber weitaus grösser. Denn rund 15 Prozent der Bevölkerung kämpfen mit Hörproblemen. Doch viele Betroffene verzichten auf das Tragen eines Hörgerätes, weil sie fürchten, stigmatisiert und als Behinderte abgestempelt zu werden. Einem Medikament gegen die Schwerhörigkeit wäre allein schon deshalb der Erfolg garantiert.

Unternehmen
Marktführer in der Branche der Hörgerätehersteller ist Sonova (geschätzter Anteil 24 Prozent) vor William Denant (21), Siemens (19), Resound (11) und Widex (9). Mit William Denant, R esound und Widex kommen drei dänische Unternehmen zusammengerechnet auf einen Marktanteil von über 40 Prozent. Insgesamt beherrschen die sieben grössten Hersteller den Weltmarkt zu über 90 Prozent.