Die wirkliche Herausforderung für einen Manager besteht darin, mit dem Unvorhersehbaren, und somit mit Komplexität, umzugehen. Die klassische Methode hierzu lautet: Wir müssen Komplexität reduzieren, um handeln zu können. Gilbert Probst, Professor an der Universität Genf und Präsident der SKU (Schweizerische Kurse für Unternehmensführung) sieht dies anders: «Wir müssen die Komplexität unter Kontrolle halten, ohne sie zu vernichten.»

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Gilbert Probst vertritt den systemorientierten St.-Galler-Management-Ansatz, den er am SKU zu einer ganzheitlichen strategischen Führung weiterentwickelt hat. Dabei wird unter anderem thematisiert, dass Unternehmen oftmals viel schneller wachsen, als sie aus systemischer Sicht sollten. «Wenn Unternehmen 30% anstatt 7% im Jahr wachsen, dann explodieren sie», sagt Probst, der diesbezüglich von einer «Logik des Niedergangs» spricht. Wachsen sie hingegen gar nicht, so erstarren sie.

Systeme, nicht Objekte

Unkontrolliertes Wachstum vermeiden so lautet denn auch das strategische Ziel von Urs Rickenbacher, CEO des Langenthaler Textilunternehmens Lantal. «Das Unternehmen soll organisch wachsen», sagt Rickenbacher, der am SKU im Strategiebereich unterrichtet. Der Wachstumsprozess wird laufend hinterfragt: Stimmen die Strategien auch wirklich mit der Komplexität der Realität überein?

Die Ausgangslage das Unternehmen, die Umwelt und die Konkurrenz versteht Rickenbacher als ein System. Das Unternehmen wiederum besteht aus mehreren Teilsystemen seien es Funktionen oder Geschäftsbereiche. Die kleinste Einheit ist der einzelne Mitarbeitende, der im Idealfall wie ein Unternehmer agiert. Diese Erkenntnis impliziert, dass der Geschäftsführer Kompetenzen nach unten abgeben muss.

«Unternehmensführung ist kein linearer Prozess«, sagt Rickenbacher. Er betrachtet die Faktoren nicht einzeln, sondern möchte ihre gegenseitigen Abhängigkeiten erkennen. Dazu hat er eruiert, welcher Einfluss kurz-, mittel- und langfristig auf das System des Unternehmens einwirken könnte. Diese Analyse dient als Basis für die strategische Stossrichtung.

Reduktionismus mit fatalen Konsequenzen

«Unternehmen und andere Institutionen können nur als Systeme begriffen werden», sagt Fredmund Malik, Chef vom Malik Management Zentrum St. Gallen, «und nicht als Objekte.»

Man dürfe Unternehmen nicht auf ihre ökonomischen Aspekte, wie in der Betriebswirtschaftslehre, reduzieren. Ebenso wenig auf organisatorische oder menschliche Aspekte. Man könne mit einem akademischen Fach eine Organisation nicht begreifen, weil dieses Fach das Wesentliche eines Systems, nämlich seine Komplexität, auf seine Fachperspektive reduziere, sagt Malik.

Systeme hätten Eigengesetzlichkeiten, Eigenverhalten und Eigenwerte, sagt Malik. «Sie wirken, ob man sie kennt oder nicht. Aber nur wenn man sie kennt, kann man sie nützen.» Sein Ansatz des systemorientierten Managements grenzt sich von den aus den USA importierten MBA-Management-Ansätzen ab. «Jene Ansätze verleiten die Menschen zu falschem Reduktionismus und deshalb scheitern sie. Die politische Elite hat dies inzwischen verstanden.»

Einer jener Reduktionismen ist für Klaus Peter Frohmüller, Konzernleiter der Commerzbank in Frankfurt am Main, das moderne «Off-Shoring-Fieber» also die Tendenz, die gesamten IT-Bereiche in Billiglohnländer auszulagern. «Dabei wird ein einzelner Aspekt herausgegriffen und als absolut gesetzt: Die Kosten der Arbeitszeit», sagt Frohmüller. Mehr als 75% dieser Projekte gingen schief, sagt Frohmüller, was Frustration zur Folge habe. Frohmüller, der seit Jahren Kurse am Malik Management Zentrum St. Gallen besucht, will möglichst alle Wirkungszusammenhänge beachten.

Zuerst die Nebenwirkungen verstehen lernen

«Als Transaktionsbank sind wir einem permanenten Wandel unterworfen», sagt Frohmüller, «würde man sie als mechanisches Instrument verstehen, dann würde man die eine oder andere Schraube verstellen und hoffen, dass die Maschine schneller läuft.» Betrachte man die Transaktionsbank als komplexes System, dann agiere man vorsichtiger und versuche, Nebenwirkungen zu verstehen und erst dann zu handeln.

Auch Klaus Schönwetter, Hauptgeschäftsführer der Vetter Pharma-Fertigung im deutschen Ravensburg, hat Seminare im Malik Management Zentrum St. Gallen besucht. Die Kenntnisse werden im Unternehmen vielseitig eingesetzt etwa bei der Erarbeitung und Formulierung der Strategie. Dabei gab es natürlich auch interne Widerstände. Etwa die Frage: Warum etwas ändern, was bisher gut gelaufen ist?

«Wir stellten aber fest, dass wir nur eine Zukunft haben, wenn wir fit für den internationalen Markt sind», sagt Klaus Schönwetter. Seit 1989 ist die Anzahl der Mitarbeitenden auf 1600 verfünffacht worden. Schönwetter führt diese Entwicklung aufs systemorientierte Management zurück. Bei Störungen wird das gesamte System untersucht. Dies funktioniert nur, wenn die Teams und die integrierten Systeme miteinander vernetzt sind.

Dass Selbsthinterfragung sinnvoll sein kann, glaubt auch Axel Butterweck, Leiter des Einkaufs der Schweizer Post auf Konzernebene. Sein unternehmerisches Ziel lautet, die Dienstleistungen, die er bisher nur für die Post ausgeführt hat, auch Dritten anzubieten. Dazu gehören unter anderem Supply-Chain-Leistungen: «Die Post soll mit ihrem grossen Distributionspotenzial und mit dem Know-how vermehrt Drittkunden bedienen das kann sich um Beschaffungsleistungen sowie um die Auslieferung von Produkten handeln.»

Selbstreflexion statt Ego-Projekte

Butterweck, der dieses Jahr Kurse am SKU besucht hat, nennt dazu ein konkretes Beispiel: Die Berner Verkehrsbetriebe hatten mehrere Personen, welche die Kleidung der 650 Chauffeure verwalteten. Dies hat nun die Post übernommen. Schliesslich hat die Post das landesweit grösste Lager für Berufsbekleidung und ein Distributionsnetz, das es erlaubt, innerhalb von 24 Stunden jedem Haushalt ein Paket zukommen zu lassen. Ob es Uniformen für Pöstler oder für Bus- und Tramchauffeure sind, spielt keine Rolle.

Doch was hat dies mit systemischem Management zu tun? «Der systemische Ansatz besteht im ständigen Nachfragen nach Synergiepotenzialen, die bei der Einkaufstätigkeit der Post entstehen und von Dritten ausgeschöpft werden könnten», sagt Butterweck.

Kritiker wenden ein, dass das systemorientierte Management zu holistisch und möglicherweise auch chaostheoretisch ausgerichtet ist. Und dabei können sie sich auf ein traditionell wissenschaftliches Vorgehen berufen, welches besagt, einzelne Faktoren seien separat zu behandeln und Schritt um Schritt voran zugehen. Die systemisch orientierten Manager werden erwidern, dass diese Simplifikationen die komplexe Wirklichkeit nicht abbil-den.

Im Weiteren wird Unternehmertum oftmals mit einer eher draufgängerischen «Just do it»-Haltung in Verbindung gebracht. Selbsthinterfragung gilt gelegentlich als Schwäche, aggressives Handeln und Risikobereitschaft als Stärke.

Doch wenn strategische Entscheide nur Ego-Projekte einzelner Protagonisten sind und die daraus entstandenen Schäden in die Milliarden gehen, dann sei die Frage erlaubt, was an Selbstreflexion so schlecht ist gerade auf der Führungsebene.

1. Ausgangslage anschauen: Woraus besteht das System? Was sind seine Teile?

2. Komplexität und Dynamiken verstehen, ohne sie zu vernichten.

3. Lenkbarkeit definieren: Was ist überhaupt lenkbar und was nicht?

4. Controlling: Wie stark greifen wir ins System ein? Gehen wir über seine Regelmechanismen hinaus?

5. Strategie umsetzen.



Systemorientiertes Management nach SKU

Ein langer und komplexer Werdegang: Von der Systemtheorie zum systemischen Management

Die Systemtheorie ist ein interdisziplinäres Erkenntnismodell, in dem Systeme zur Erklärung komplexer Phänomene herangezogen werden. Die Systemtheorie geht auf Wissenschaftler heterogener Disziplinen zurück; etwa auf die chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela, die den zentralen Begriff der Autopoiesis prägten, der alles Lebendige bezeichnet, das sich aus sich selbst heraus reproduziert. Zu den Entwicklern der Systemtheorie gehören auch der Philosoph Ernst von Glasersfeld, der Physiker Heinz von Foerster, die beide den radikalen Konstruktivismus begründeten, sowie der amerikanische Soziologe Talcott Parsons.

Doch niemand hat die Systemtheorie weiter entwickelt als Niklas Luhmann. Der deutsche Soziologe verabschiedet sich vom ontologischen Denken, das die Welt in Subjekt und Objekt unterteilt, und er erstellt stattdessen eine Theorie der selbstreferenziellen Systeme, die sich autopoietisch reproduzieren. Seine Systemtheorie ist einer der Schwerpunkte am soziologischen Seminar der Universität Luzern. An der Universität St. Gallen haben Professor Hans Ulrich (19191997) und seine Jünger wie Peter Gomez, Gilbert Probst, Walter Krieg und Fredmund Malik aus der Systemtheorie und den kybernetischen Ansätzen von Stafford Beer eine Managementtheorie entwickelt. Am SKU (Schweizerische Kurse für Unternehmensführung) und am Malik Management Zentrum St. Gallen sind diese Theorieansätze zu einer Managementpraxis weiterentwickelt worden. (fm)