Bis zu ihrem ersten grossen Auftritt waren Kühe einfach nur Kühe. Sie standen auf der Wiese, machten vorne Muh und hinten Poo und gaben Milch. Dann kam Lovely. «Wir haben damals aus der schwerfälligen und etwas einfältigen Schweizer Milchkuh eine smarte Überkuh gemacht», sagt Matthias Freuler, Erfinder der Werbefigur. Praktisch über Nacht wurde aus dem wenig beachteten, pummeligen Tier eine Figur, die Witz und Seele hatte.

Das war im Jahr 1993. Schon ein paar Jahre später hatte die Schweiz eine neue Werbeikone. Mit TV-Spots, in denen Lovely tanzt, auf dem Mond landet, über die Ski-Schanze springt oder dem Cowboy auf die Beine hilft, wurde die schwarz-weisse Holstein-Kuh zu einer der beliebtesten Werbefiguren des Landes. Von diesem Glücksfall zehren die Schweizer Milchproduzenten (SMP) bis heute:Der Verband investiert jedes Jahr Millionen in die Lovely-Kampagne und deren Botschaft, dass Milch stark und gesund macht.

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«Lovely hat ihre Seele verloren»

Doch in der krisengeschüttelten Milchwirtschaft finden immer mehr Akteure, dass die Idee von der Kuh, die jedes Kunststück vollbringen kann, zu oft wiedergekäut wurde. «Die Lovely-Kampagnen stellen gesundheitliche Vorzüge der Milch ins Zentrum» kritisiert Emmi-Sprecherin Sybille Umiker. «Gefragt wären aus unserer Sicht aber Kampagnen, welche die Vorzüge von Schweizer Milchprodukten zeigen – etwa die grünlandbasierte und tierfreundliche Produktion.» Auch Freuler glaubt, dass es an der Zeit sei, Lovely in Pension zu schicken. «Dank modernster Animationstechnik kann Lovely zwar heute absolut jedes Kunststück vollbringen, aber dafür hat sie auch ihre Seele verloren.»

Als die SMP vor 23 Jahren auf Werber Freuler und seine Teamkollegen Hansjörg Zürcher und Eric Voser zukamen, hatte Milch ein Imageproblem. Verzweifelt hatte die Branche anfangs der 90er Jahre versucht mit anbiedernden TV-Spots den Konsum anzukurbeln – ohne Erfolg. «Statt die Milch zu bewerben, haben wir darum gleich die ganze Kuh in den Mittelpunkt gestellt», sagt Freuler.

Mit Fussball in die Herzen gespielt

Im allerersten Spot verblüffte Lovely– die Originalkuh kam aus England und hiess tatsächlich so – das TV-Publikum als Stepptänzerin. «Damals war Lovely noch eine echte Kuh, die im Studio stand, mal das Bein lüpfte, mal den Kopf drehte und ab und zu einen Browny fallen liess», erinnert sich Freuler. Ihr bescheidenes Können wurde dann in aufwändiger Arbeit zu einer artistischen Einlage animiert. «Die ersten Spots haben für damalige Verhältnisse so real gewirkt, dass wir öfters gefragt wurden, ob Lovely eigentlich tatsächlich dressiert sei.»



Auf die tanzende Lovely folgte die fussballspielende – und sie spielte sich damit auch endgültig in die Herzen der Schweizer. Nicht zuletzt auch weil das Timing perfekt war: Die erste Ausstrahlung fand nämlich beim letzten Qualifikationsspiel der Schweizer Nati für die WM 1994 in den USA statt. «In den Jahren danach haben die TV-Zuschauer fast darauf gewartet, was Lovely wohl als nächstes wieder anstellen würde», bemerkt  Freuler.

Auch heute noch mag es das Publikum, wenn Lovely das Kalb macht. In einem Markttest der «Werbewoche» erzielte der aktuelle TV-Spot, in dem Lovely mitsamt Actioncam auf einen Biketrail geschickt wird, höchste Sympathiewerte. Zweifelhaft ist allerdings ob die Botschaft auch ankommt. So sank der Milchkonsum auch im letzten Jahr -- und das obwohl SMP und Bund jedes Jahr Millionen ins Basismarketing für die Milch pumpen – im Jahr 2015 gut 26 Millionen Franken.


Preiszerfall an den Milchmärkten

Es war dann der Preiszerfall an den Milchmärkten, der die Kritiker auf den Plan rief. Nicht nur Emmi: «Werbung, die so stark auf die Gesundheit fokussiert, mag in einem geschützten Markt funktionieren», betont Stefan Kohler, Chef der Branchenorganisation Milch. «In Zeiten von Einkaufstourismus und offener Grenzen sollte die Werbung vermitteln, was die Schweizer Milch von ausländischen Konkurrenzprodukten abhebt.»

Infolge des schwächeren Grenzschutzes entwickelte die BO Milch, in der neben Produzenten auch Händler und Grossverteiler vertreten sind, diesen Herbst eine Mehrwertstrategie. Diese kommt zum Schluss, dass nicht länger die gesundheitsfördernde Wikung von Milch, sondern vielmehr das Tierwohl und die Naturnähe der Milchwirtschaft im Zentrum der Kommunikation stehen soll. «Die heutigen Eigenschaften von Lovely passen nicht zu diesen Werten», sagt Kohler lapidar.

Wie zeitgemässe Werbung für Schweizer Nahrungsmittel aussehen soll, macht derzeit die Fleischwirtschaft vor: Dort werden in der Werbung gesunde und glückliche Tiere gezeigt, die natürliches Futter und genügend Auslauf bekommen

«Never change a winning Cow»

Die SMP-Führung hält trotzdem eisern am Bewährten fest: «Wir wären dumm, wenn wir künftig nicht mehr auf Lovely setzen würden», sagt Stefan Arnold, der neue Marketingchef des Verbands. «Welche Schweizer Marke kann sonst auf eine so erfolgreiche Markenbotschafterin zurückgreifen?»

Schon jetzt ist klar, dass Lovely in der neuen Werbestrategie, an welcher die SMP in diesen Tagen arbeiten, eine prominente Rolle erhalten soll – aller Kritik zum Trotz. «Lovely steht direkt für Schweizer Milch und nie nur für etwas. Sie hat Mal Wunder gewirkt, mal einen Kick gegeben und mal die Knochen gestärkt. Ebenso gut kann sie im Rahmen des Tierwohls zeigen, wie gut sich der liebe Bauer um sie kümmert», sagt Arnold. Neu ausgeschrieben wird bloss der Werbeetat, den derzeit die Agentur Ruf Lanz betreut. Nach 23 Jahren Lovely soll weiterhin gelten: «Never Change a winning Cow.»

Weitere Lovely-Spots:

 

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