Was macht ein Produktentwickler, wenn er ein neues Gerät bauen soll, aber auf jede zusätzliche Funktion verzichten muss? Er baut einen Kindle Oasis. Eineinhalb Jahre nach seinem Luxus-E-Reader Voyage führt Amazon einen noch luxuriöseren E-Reader ein – allerdings ohne jede neue Funktion.

Das ist mutig. Der Oasis hat dieselbe Software wie der Kindle Voyage oder der Kindle Paperwhite. Er lädt dieselben Bücher, Zeitungen und Magazine aus dem Amazon-Angebot, und er hat ein Display, das genauso gross und scharf ist wie das der bisherigen Kindle-Reader, mit Ausnahme des günstigsten Einsteiger-Gerätes.

Und doch ist der Oasis ganz anders. Wer den E-Reader ein erstes Mal in die Hand nimmt, kommt nicht umhin, sich über sein Gewicht zu wundern: Mit 131 Gramm wiegt er weniger als die meisten Smartphones – und mit 3,4 Millimetern an seiner dünnsten Stelle ist er nicht einmal halb so dick wie ein iPhone.

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Leichter als alle anderen

Nie zuvor hat Amazon ein solches Leichtgewicht als E-Reader gebaut. Er ist ein Fünftel leichter und fast ein Drittel dünner als andere Kindle. Doch das sind nur Zahlen. Wer seinen alten Kindle weiter nutzen will, sollte den neuen nicht in die Hand nehmen. Sein Design macht die bisherigen Modelle zu klobigen Vorgängern.

Obwohl er nur wenig wiegt, liegt der Oasis gut ausbalanciert in der Hand. An einer Seite ist das Gehäuse deutlich dicker, dort hat Amazon die Technik und den Akku untergebracht. Dadurch verfügt der Oasis über eine Art Griff. Der Daumen ruht dann neben dem Display und kann über zwei Tasten vor- oder zurückblättern.

Das Oasis-Display ist berührungsempfindlich und hat eine Diagonale von sechs Zoll, also 15 Zentimetern. Amazon selbst sagt, dies sei der «Sweet Spot», also die ideale Grösse zum Lesen. Tatsächlich wurde die Grösse bisheriger Kindle-Modelle mit einem Taschenbuch verglichen. Oasis kommt im Vergleich dazu eher einem Reclam-Heft gleich.

Drehfunktion für Linkshänder

Das liegt auch daran, dass der Rahmen um das Display dünner geworden ist. Nur dort, wo Handballen und Daumen ruhen, ist er etwas breiter, sodass nicht versehentlich Menüpunkte auf dem Display aktiviert werden.

Linkshänder können den Oasis auch in die linke Hand nehmen. Ein eingebauter Lagesensor dreht dann die Darstellung auf dem Display. Schrift auf dem Display erscheint mit 300 Bildpunkten pro Zoll, was zu einer ausreichend scharfen Darstellung führt. Buchstaben werden ohne jede Unschärfe dargestellt.

Heller als die Vorgänger

Wie schon beim Voyage wird auch beim Oasis das Display beleuchtet. Mit 60 Prozent mehr LEDs ist es aber heller geworden. Der Vorteil davon hält sich in Grenzen. Wer im Dunkeln liest, dämmt das Licht eher ab. Wer im Sonnenlicht liest, braucht sowieso keine zusätzliche Beleuchtung.

Das E-Ink-Display des Oasis wird von der Seite beleuchtet, dadurch blendet es nicht wie hintergrundbeleuchtete Tablets. Das Licht wird durch das Glas über das gesamte Display verteilt.

Die automatische Helligkeitsanpassung des Voyage hat es allerdings nicht in den neuen Kindle geschafft. Über das Menü ist aber die Schnelleinstellung für die Helligkeit leicht erreichbar.

Gemacht für das Lesen

Zum Glück widersteht Amazon der Versuchung, dem Kindle möglichst viele Funktionen zu verpassen. Das höchste der Gefühle ist ein rudimentärer Internet-Browser, der aber schon seit Jahren «Beta-Browser» genannt wird. Was Amazon damit sagen will: Sie sollen lesen, nicht browsen.

Trotz seines geringen Gewichts ist der Oasis äusserst stabil geraten. Er lässt sich kaum verbiegen, was daran liegt, dass das Kunststoff-Gehäuse von innen während der Produktion galvanisiert, also mit einer Metalllegierung überzogen wurde.

Für die Leichtigkeit und Kompaktheit des neuen Kindle opfert Amazon die Akkulaufzeit. Der Oasis hält mit einer Akkuladung nur wenige Stunden durch. Für einen Transatlantik-Flug dürfte es schon nicht mehr reichen.

Kurzatmig ohne Hülle

Aus diesem Grund legt Amazon jedem Oasis eine Hülle aus echtem Leder bei, in die ein weiterer Akku verbaut ist. Das Konzept ist überzeugend: Der Kindle schnappt mit einem Magnet-Mechanismus in die Hülle ein, die ihn dann über integrierte Pins wieder auflädt.

Der Hüllen-Akku wird mit aufgeladen, sobald der Kindle an das Ladekabel angeschlossen wird. Beide Akkus zusammen sollen nach Amazon-Angaben genug Strom liefern, um zwei Monate lang lesen zu können.

Das gilt jedoch nur bei einer täglichen Lesezeit von einer halben Stunde – bei Beleuchtungsstufe zehn und ausgeschalteter Drahtlosverbindung. Mit der Hülle wiegt der Kindle knapp 240 Gramm. Wird die Hülle aufgeschlagen, wacht der Kindle automatisch auf und schaltet sich ein. Ist der Deckel einmal nach hinten umgeschlagen, wird er an der Rückseite mit Magneten festgehalten.

Noch nie so nah am Papier

Fazit: Mit seinen E-Readern war Amazon noch nie so nah am Papier wie mit dem Kindle Oasis. Das neue Modell ist qualitativ hochwertig verarbeitet und fühlt sich schlichtweg gut an. Das Design liegt gefällig in der Hand. Dieser Vorteil verschwindet zum Teil, wenn der Kindle in seiner Hülle steckt. Und doch schaffen es E-Ink-Displays noch nicht, wie echtes Papier zu wirken. Das gilt auch für den neuen Kindle.

Der Oasis ist zugleich der teuerste Kindle, den Amazon im Angebot hat. Er kostet mit WLAN-Empfang 290 Euro. Das Modell mit Mobilfunkempfang, mit dem weltweit Bücher ohne zusätzliche Übertragungskosten über die Mobilfunknetze aus dem Amazon-Angebot geladen werden können, kostet sogar 350 Euro. Man hätte für diesen Preis den Kindle zumindest noch wasserdicht machen können. Der in Deutschland am weitesten verbreitete E-Reader Tolino verfügt über dieses Feature.

Der Oasis bindet seine Nutzer an das Amazon-Ökosystem mit einem eigenen digitalen Rechteschutz. Wer E-Books bei Händlern wie Thalia oder Hugendubel kauft, kann sie auf einem Kindle nicht lesen.

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