Wir kennen alle die Situation. Teamleiter Hugo Huber bittet uns um einen Termin. Als er dann vor unserem Pult sitzt, beschreibt er ausführlich, wie sich jüngst seine Arbeit verändert habe und wie viel anspruchsvoller sie geworden sei.

«Und worauf wollen Sie hinaus?», fragen wir irgendwann.

«Ich finde», sagt dann Huber, «dass ich vom Teamleiter zum Bereichsleiter befördert werden sollte.» Dass damit auch eine Lohnerhöhung verbunden wäre, erwähnt er nicht speziell.

So funktioniert Hierarchie in den meisten Unternehmen: Teamleiter, Bereichsleiter, Abteilungsleiter.

Hierarchien verhindern Reibungsverluste

Hierarchien haben Vorteile. Sie sind Mechanismen zur Vermeidung von Konflikten und damit zur Vermeidung von Stress. Besonders gut sieht man das im Tierreich. Streit unter Mitgliedern einer sozialen Gruppe, etwa ums Futter oder um die Weibchen, kann durch Über- und Unterordnungen ohne unnötige Diskussionen gelöst werden. Hierarchien verhindern Reibungsverluste und sind aus diesem Grund effizient.

Das bekannteste Beispiel sind die Hühner und ihre Hackordnung. Hühner im Hof sind strikt durchnummeriert, vom Chefhuhn Nummer eins bis zum Unterhuhn Nummer zwölf. Ähnlich militärisch organisiert sind die Rudel von Wölfen und von Affenarten wie den Meerkatzen. Es gibt einen Leitwolf und einen Affen-CEO. Beim Futter und bei der Fortpflanzung haben sie den grössten Bonus und den höchsten Spesensatz.

Der Zürcher Arbeitspsychologe Felix Frei hat soeben ein kluges Buch publiziert («Hierarchie – Das Ende eines Erfolgsrezepts»), in dem er die Effizienz der Hierarchie in Frage stellt. In einer digitalisierten, also laufend neu strukturierten Welt scheinen ihm intelligente Vernetzungen erfolgversprechender als Rangordnungen, die in analogen Produktionswelten angezeigt sind.

Der Blick in die Zoologie gibt ihm recht. Tiere sind nicht blöd. Sie wissen seit je, dass Hierarchien dann ausgedient haben, wenn die Komplexität eines Unterfangens grösser ist als die Fähigkeiten der Chefs.

Wechselnde Leader

Am besten beobachten kann man das bei den Vogelzügen von Drossel, Fink und Star. Vogelzüge sind ein logistischer 
und führungsmässiger Challenge der Sonderklasse. Tausende von Mitarbeitern müssen auf einem gemeinsamen Kurs gehalten werden, bedroht von Winden, Regen, Temperaturstürzen und Raubvögeln.

In dieser Situation zerbricht im Organigramm die etablierte Hierarchie. Die Vögel sind in der Regel in der V-Formation unterwegs. Die vorne fliegenden Chefs des Schwarms ändern je nach Situation. Wenn es regnet, fliegen andere Manager an der Spitze als bei Sonnenschein; bei Rückenwind gibt es andere CEOs als bei Gegenwind; bei Bedrohungen durch Raubvögel übernehmen andere Leader als bei der Futtersuche. Einen Chef, der jede Lage beherrscht, haben Sie bei Drossel, Fink und Star noch nie angetroffen.

Es ist das Modell einer stetig und schnell ändernden Unternehmensrealität. Hier braucht es deshalb auch stetig und schnell ändernde Hierarchien. Die Vögel denken nicht in Kategorien der Hierarchie, sondern in Kategorien des permanenten Projektmanagements.

Als mein Teamleiter Hugo Huber damals Bereichsleiter werden wollte, habe ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, anstelle des Bereichsleiter-Jobs auch eine vorübergehende Projektleitung zu übernehmen. Er sagte Nein.

Damit war klar: Der Mann war ein reiner Hierarchist. Ich habe ihn nicht befördert.

Tiere wissen 
seit je, dass Hierarchien ausgedient haben, wenn 
die Komplexität eines Unterfangens grösser ist als die Fähigkeiten der Chefs.

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