Wenn der Audi RS5 schneller als 120 km/h fährt, hört man ein leises Surren. Ist das Geräusch verstummt, ragt ein gut anderthalb Meter breites Brett quer über den Kofferraum. Ein Heckflügel, der für die Insassen lebenswichtig ist.

Der RS5 sieht ziemlich durchschnittlich aus, kein Draufgängerauto mit eingebauter Vorfahrt, wie seine 450 PS vermuten lassen. Wenn er nicht rot lackiert auf der linken Autobahnspur entlanggaloppiert, sondern innerorts Kurs auf die Eisdiele nimmt, dann geht der RS5 fast unter. Wäre da nicht der Heckflügel, den man übrigens auch vorher, unterhalb von Tempo 120, ausfahren kann. Dann allerdings nur mit einem Knopfdruck.

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Der Audi RS5 ist einer der letzten seiner Art, aber sein Debüt liegt mittlerweile auch schon fünf Jahre zurück. Eine ausgeklügelte Aerodynamik und ausgereifte Fahrwerkstechnik haben ausladende Heckflügel bei modernen Fahrzeugen so gut wie überflüssig gemacht. Die Sportwagen von heute haben zwar Windleiter – nur sind sie integriert.

Dann strömt die Luft unter dem Heckabschluss hindurch und sorgt auf diese Weise für eine sichere Strassenlage. Bestes Beispiel ist Ferrari. Die Marke verzichtet beim neuen 488 trotz 670 PS auf etwas Flügelhaftes.

Wenn der Audi bedrohlich schwänzelt

Schon der Flügel des RS5 ist relativ dezent, verglichen mit den ofenrohrdicken Auspuffrohren links und rechts. Aber das Brett über der Heckklappe soll ja auch kein ästhetischer Blickfang sein. «Es war kein Flügel, der aus dem Designstudio kam und zu dem wir gesagt haben: Oh Mann, der sieht ja toll aus», sagt VW-Chefdesigner Walter de Silva. Es war umgekehrt. Die Ingenieure haben ihn in Auftrag gegeben. Denn gäbe es das Leitwerk am Kofferraumdeckel nicht, würde der Audi bei flotter Fahrt bedrohlich schwänzeln. Zu wenig Abtrieb am Heck. Das kann im schlimmsten Fall an der Leitplanke enden.

Man kennt das aus der Formel 1. Fällt bei einem Boliden das Heck mit seinen Flügeln ab, ist das Unheil nicht mehr abzuwenden. Der Wagen rast unkontrollierbar ins Seitenaus, kracht in eine Mauer oder prallt in einen Reifenstapel. Staubwolken, Carbonfaser-Splitter. Im Cockpit sitzt ziemlich bedröppelt der Pilot. Vor einer Sekunde war noch alles in Ordnung, in der nächsten fühlte er sich als Passagier in einem Luftkissenfahrzeug.

Heckflügel werden nur noch im Motorsport flächendeckend eingesetzt und auf den Strassen bei absoluten Hochleistungsmodellen. Beim fast 1000 PS starken Hypersportwagen McLaren P1 fährt der riesige Flügel um 30 Zentimeter aus und stellt sich so in den Wind, dass die Abtriebskraft bis zu 600 Kilogramm erreicht.

Es gibt ihn noch bei getunten Topversionen von Musle Cars wie dem Ford Shelby GT350-R Mustang mit mehr als 500 PS, rallye-tauglichen Serienfahrzeugen wie dem Subaru WRX STI oder aufgerüsteten Kompaktwagen wie dem Nissan GT-R Nismo oder dem Honda Civic Type R. Oder sie sind eine Reminiszenz an grossartige Flügelgebilde früherer Tage.

BMW präsentierte jetzt auf dem Concorso d'Eleganza Villa d'Este eine Hommage an den legendären BMW 3.0 CSL mit den Segnungen neuer Technologien wie Laserlicht und Reihensechszylinder mit Elektromotor-Boost ausgestattet – aber immer noch mit einem mächtigen Flügel.

Unerklärliche Unfallserie des Audit TT

Er war einst unverzichtbar, gerade bei Audi. Der Automobilhersteller ist, was mangelnden Abtrieb betrifft, gebrandmarkt. Den Modellstart des TT überschattete 1998 eine anfangs mysteriöse Unfallserie. Bei höheren Geschwindigkeiten brach das Heck aus. Das Kultmobil, halb Sportwagen, halb Designermöbel, musste daraufhin mit einem stabilisierenden Spoiler nachgerüstet werden. Heute hat der TT eine ausfahrbare Flügellippe, ähnlich wie der RS5, und diese Technik stellt einen wohl vertretbaren Kompromiss aus modernen Designvorstellungen und Sicherheitserwägungen dar.

Der nachträglich montierte Fortsatz beim ersten TT schadete dem Ruhm des Sportwagens nicht, im Gegenteil. Spoiler kamen damals gerade wieder auf. Flankiert von «Fast & Furious»-Filmen, in denen sich coole Jungs in tiefergelegten Schlitten rasante Autojagden liefern, und Computerspielen wie «Need for Speed» oder «Forza Motorsport», bei denen man neben 200 Modellen auch aus verschiedenen Heckflügelarten wählen kann, entdeckte die junge Autofahrergeneration das Tuning neu. «Man hatte wieder mehr Mut zum Heckflügel und stellte sein Auto bewusst zur Schau», sagt Paolo Tumminelli, Professor an der International School of Design in Köln.

Dass der erste Flügel einen Volkswagen zierte, ist eine Ironie der Automobilgeschichte, und es war eine Frontlippe. 1953 hatte Karl Meier vom Wolfsburger Zubehörlieferanten Kamei am VW Käfer ein Tiefensteuer auf Höhe der Stoßstange montiert, damit die Vorderachse des hecklastigen Autos mehr Druck auf die Strasse brachte. So sollte das Gefährt mehr Stabilität bekommen. Der Käfer sah aus, als sei ihm ein Bart gewachsen.

Während Techniker den Kniff genial fanden, grollten die Designer über die Geschmacksverirrung. Es gibt Sachen, die tut man nicht. Wenn der Hosengürtel braun ist, dann greift der Kenner ja auch nicht zu schwarzem Schuhwerk. Vornehmlich in der amerikanischen Hot-Rod-Szene wurden Flügel, die oben und unten umströmt werden, und Spoiler, die nur einseitig der Luft ausgesetzt werden, schliesslich kultiviert.

Die Kreationen sahen recht skurril aus, man sah ihnen ihren reinen Pragmatismus an, sollten sie doch nur die ureigensten Schwächen eines Sportwagens so gut wie möglich kaschieren: das Ausbrechen des Hecks. Die Optik war egal.

Kühlung für den Boxermotor des Porsche

Mitte der 60er-Jahre experimentierte Carlo Abarth mit einem Heckspoiler, damals noch mit dem Ziel, den Motorraum zu kühlen. 1972 wuchs auch einem Porsche 911 erstmals ein Spoiler, um den Carrera RS mit einem Gewicht von unter 1000 Kilogramm und 210 PS aus 2,7 Liter Hubraum zu bändigen. Er bekam einen steil stehenden Schott auf der Heckhaube, den Autofahrer alsbald als Enten-Bürzel identifizierten. «Vom Design her war der Spoiler eine ziemliche Zumutung», sagt Ian Callum, Chefdesigner von Jaguar. Wieder feierte Ingenieurskunst einen Sieg über das Design. Die vom Dach herunterströmende Luft wurde durch die grob geratene Barriere verlangsamt und gestaut, was einen größeren Anpressdruck an der angetriebenen Hinterachse erzeugte.

Ein willkommener Nebeneffekt war auch die bessere Entlüftung des im Heck platzierten Boxermotors. Der ausladende, tablettartige Spoiler des ersten, 260 PS starken 911 Turbo wirkte im Vergleich noch imposanter. Die Abrisskante aus weichem Polyurethan war ein Zugeständnis an den Unfallschutz. Die Gummileiste blieb lange ein fester Bestandteil des Spoilerkonzepts.

Mit den 80er-Jahren kamen die voluminösen Formen in Mode: Schulterpolster und Minipli. Bei den Autos hieß das: dicke Backen, Hutzen und Spoiler und Flügel in allen Variationen. Ur-Quattro, BMW M3, Ferrari F40. Das ausladende Leitwerk an einem Mercedes 560 SEC vom Tuner König wurde Pommes-Theke getauft. Mit dem 911 Carrera von 1989 erfand Porsche dann das ausfahrbare Leitwerk. Da war martialisches Flügelwerk eher out – zumindest im urbanen Umfeld.

Beim 964er-Modell schwenkte es daher erst ab Tempo 80 heraus, um unterhalb von 10 km/h in die Ruhestellung zurückzugleiten. Beim 993 von 1993, dem letzten luftgekühlten Elfer, beließen es die Porsche-Ingenieure bei der variablen Lösung, und mit dem Modell 996 erreichten sie eine Gesamt-Aerodynamik, die den Einsatz eines Abtriebverstärkers unter 120 km/h überflüssig machte, weshalb er nun auch erst bei diesem Tempo herausfuhr. Eine Ausnahme bildet der doppelstöckige, wie eine Skulptur geformte Spaltflügel des mühsam für die Strasse gezähmten Sportgeräts 911 GT3.

Dort entfaltet er ungleich mehr Anpressdruck als ein nur einteiliger Luftabweiser. Der Nachfolger erhielt einen zweiteiligen Flügel, bei dem die obere Schwinge erst ab Tempo 120 ausfährt. Beim aktuellen 911 GT3-RS haben die Aerodynamiker weiter an der optimalen Lenkung der Luftströme gefeilt. Neben einer Buglippe, die fast am Asphalt kratzt, gibt es einen massiven Heckflügel in den Ausmaßen eines Küchentischs und außerdem eine fast 30 Zentimeter breite Vertiefung, die über Haube und Dach verläuft. Dazu haben die Ingenieure wie bei Rennwagen eine Entlüftung in die vorderen Kotflügel geschnitten, die den Anpressdruck auf der Vorderachse erhöht.

1,2 Tonnen Anpressdruck bei Tempo 240

Der mit 500 PS stärkste Neunelfer für knapp 180'000 Euro wird nichts für das normale Spoilerpublikum sein. Wie überhaupt die «Manta, Manta-Fans» in die Jahre gekommen sind. Zwischen 50 und 60 ist das Interesse für sportliches Fahren am geringsten und schnellt in der Kategorie «ab 60 Jahren» wieder sprunghaft in die Höhe, sagte Ola Källenius, der ehemalige Chef des Mercedes-Tuners AMG. «Es gehört anscheinend auch im Alter dazu, mit einem sportlich eleganten Fahrzeug aufzutreten, solange dieses weiterhin auch Komfort und Qualität besitzt.»

Das mitunter etwas peinliche Äussere eines Spoilerautos ist das eine, die technische Redundanz das andere. Früher hatten die schnellen Autos noch überwiegend Starrachsen mit Blattfedern. Heute haben sie Raumlenkerachsen. Wenn also die Feder-Dämpfer-Abstimmung das Auto fester auf der Straße hält, wenn moderne Reifen mehr Haftung aufbauen und wenn die Aerodynamik des Unterbodens mehr Sogwirkung erzielt, haben Spoiler und Flügel ihre primäre Bestimmung verloren.

In der Formel 1 sind sie nach wie vor unersetzlich. Bei Tempo 120 produzieren Front- und Heckflügel sowie der Unterboden eines Rennwagens rund 300 Kilogramm Abtrieb. Da diese Kraft mit zunehmender Geschwindigkeit im Quadrat wächst, werden Rennwagen bei Tempo 240 mit 1,2 Tonnen auf die Strasse gepresst. 35 Prozent steuert der Heckflügel bei. So viel Kraft entfalten Strassenautos bisher nicht.

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