Der Name gehört abgeschafft. «Höhere Berufsbildung», das hört sich verstaubt an, ist altbackenes Beamtendeutsch. Während sich Behörden und Berufsverbände streiten, ob sie endlich Titel wählen sollen, die international verständlich sind, haben die Fachhochschulen längst reagiert. Sie verleihen Bachelor- und Master-Titel und nennen sich «Hochschulen für angewandte Wissenschaften» oder noch besser «Universities of Applied Sciences». So wissen Manager in internationalen Unternehmen, was sie von Kandidaten für offene Stellen halten sollen.

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Das nämlich ist eines der Probleme der höheren Berufsbildung. Wie soll ein Manager aus Grossbritannien oder den USA wissen, was ein Logistiker mit Diplom oder ein Logistikleiter mit Diplom kann? Was man nicht kennt, will man nicht haben. Das zeigt auch eine Studie des Forschungs- und Beratungsunternehmens Ecoplan im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Wen die Rekrutierungsverantwortlichen für eine Anstellung empfehlen, hängt wesentlich von deren eigenem Bildungshintergrund ab.

Vorliebe für Hochschulabsolventen

«Bei 25 Prozent aller Rekrutierungsverantwortlichen mit Berufsbildungstitel besteht eine starke Präferenz für Titel der höheren Berufsbildung, nur bei 3 Prozent für Hochschultitel. Personen mit Hochschulabschluss hingegen haben für das gleiche Anforderungsprofil nur zu 11 Prozent eine starke Präferenz für Titel der höheren Berufsbildung und zu 29 Prozent für Hochschultitel», heisst es in der Studie.

Vor allem im Bereich Kommunikations- und Informationstechnologie (ICT), der mehr als andere global ausgerichtet ist, zeigt sich die Vorliebe für Hochschulabsolventen. «Dank unserer Erhebungen wissen wir, dass im Berufsfeld der ICT 20 Prozent der Beschäftigten über einen Abschluss der höheren Berufsbildung verfügen und 43 Prozent über einen Hochschulabschluss», sagt Jörg Aebischer, Geschäftsleiter der ICT Berufsbildung Schweiz.

«Aus der gleichen Studie wissen wir, dass bis 2022 rund 15 000 Personen mit einem Abschluss der höheren Berufsbildung und 42 000 mit einem Hochschulabschluss nachgefragt werden. Daraus lässt sich schliessen, dass der Bedarf an Ingenieuren grösser ist als an eidgenössisch diplomierten Informatikern.» Dieser Titel bekommt nun einen neuen Namen: Die Informatiker heissen künftig ICT-Manager. Ob sich damit die Nachfrage ändert, weiss kein Mensch.

Qualifikation steigt

Bei Google in Zürich gelten für praktisch alle ausgeschriebenen Stellen dieselben Voraussetzungen: ein Hochschulabschluss als Bachelor oder Master oder sogar eine Promotion. Was für die Informationstechnologie gilt, lässt sich auch als Trend in der Industrie feststellen. Die Beschäftigten in der Schweiz verfügen über immer höhere Qualifikationen. Arbeitsplätze für niedrig Qualifizierte werden aufgrund der hohen Lohnkosten ins Ausland verlagert. Das wäre durchaus eine Chance für Absolventen der höheren Berufsbildung. Vorausgesetzt, die Rekrutierer kennen deren Titel überhaupt.

Rudolf Strahm ist ein vehementer Verfechter der Berufsbildung. «Die Absolventen von Eidgenössischen Berufsprüfungen, Höheren Fachprüfungen und Höheren Fachschulen können meist mehr als Bachelors von deutschen und französischen Massenuniversitäten. Aber sie unterliegen in den grossen Firmen und auf dem freien Arbeitsmarkt einer Inländerdiskriminierung, weil sie keine äquivalenten Titel führen dürfen», sagte er in der «Schweizerischen Gewerbezeitung».

Titel zählt zu Beginn am meisten

Strahm geht von einem Drittel aller Lehrabgänger aus, die eine höhere Berufsbildung absolvieren. Der Bildungsökonom Stefan Wolter schätzt die Zahl der Lernenden, die einen tertiären Abschluss schaffen, auf 30 Prozent. Zu ihnen gehören jene, die sich parallel zur Berufslehre oder danach auf die Berufsmatura vorbereiten, sich damit die Aufnahme an einer Fachhochschule erarbeiten und schliesslich als Bachelor oder Master FH hervorragende Karrierechancen haben.

Darauf kommt es an: Der Titel zählt am meisten zu Beginn einer Berufslaufbahn. Danach zählen andere Kriterien, wie die Ecoplan-Studie zeigt. «Wichtiger sind beispielsweise die Berufserfahrung – 4,5 auf einer Skala von 1 (unwichtig) bis 5 (sehr wichtig) – und die Teamfähigkeit/Sozialkompetenz (4,5).»

Begehrte Controller

Die Bedeutung der höheren Berufsbildung hängt von der Branche und dem Fachbereich ab, in dem die Absolventen arbeiten. Besonders begehrt sind Wirtschaftsprüfer, Experten für Rechnungslegung und Controlling, Treuhand- oder Sozialversicherungsexperten. Zu diesen Titeln gelangen die Kandidaten entweder über Vorbereitungskurse, etwa an Kaufmännischen Berufsschulen, oder in abgekürzten Verfahren als Hochschul-Bachelor. Die UBS hält fest: «Gerade im Bereich Accounting/Controlling oder IT gibt es höhere Berufsbildungen, die gegenüber der akademischen Ausbildung sicher keine Nachteile im Auswahlprozess erfahren.» Swiss Life bestätigt: «Sowohl Kandidaten mit einer höheren Berufsbildung als auch Akademiker mit entsprechender praktischer Erfahrung haben gute Chancen.»

Dafür spricht, dass mehrere Absolventen der höheren Berufsbildung in der Geschäftsleitung schweizerischer Unternehmen sitzen. Martin Senn, CEO von Zurich Insurance, hat eine Handelsschule absolviert. Ueli Dietiker, Mitglied der Swisscom-Konzernleitung, ist Wirtschaftsprüfer ohne Hochschulabschluss, ebenso Thomas Aebischer, Finanzchef von Holcim. Sogar UBS-Chef Sergio Ermotti hat als Bankfachexperte einen Abschluss der höheren Berufsbildung.

Allerdings hält gerade in internationalen Unternehmen der Trend zu Hochschulabsolventen an. ABB schreibt auf Anfrage: «Der Einstieg in Rechnungslegung, Controlling und verwandte Gebiete erfolgt oft über ein Traineeprogramm, zum Beispiel im Bereich Finance. Potenzielle Kandidaten kommen erfahrungsgemäss eher von Universitäten.»

Führungspositionen nur mit einem Hochschulabschluss

Die Ecoplan-Studie von 2013 hält deutlich fest: «In 65 Prozent der befragten Unternehmen gibt es bestimmte Führungspositionen, die nur mit einem Hochschulabschluss ausgeübt werden können.» Befragt wurden 886 Rekrutierer aus allen Branchen. «In mehr als der Hälfte der Unternehmen kann ohne universitären Bildungsabschluss keine Geschäftsleitungsfunktion übernommen werden. Mit einem Bildungsabschluss der höheren Berufsbildung ist in einem durchschnittlichen Schweizer Unternehmen maximal eine Führungsfunktion auf Stufe Abteilungsleitung möglich.»

Auch beim Lohn gibt es Grenzen für jene, die ihre Laufbahn mit einer Berufslehre angefangen haben. Zahlen des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 2012 zeigen zwar, dass das Gehalt von Arbeitnehmern mit einem Abschluss der höheren Berufsbildung 34 Prozent über dem Medianwert aller Beschäftigten liegt. Allerdings verdienen Absolventen einer Fachhochschule 47 Prozent, jene einer Universität 66 Prozent mehr als der Durchschnitt. Laut Ecoplan-Studie hat der Titel der Beschäftigten in 72 Prozent der befragten Unternehmen einen Einfluss auf die Lohnstufe. «In einem Drittel der Unternehmen können gewisse Lohnstufen gar ausschliesslich mit akademischen Titeln – Universität oder Fachhochschule – erreicht werden.» Aber da oben ist die Luft ohnehin dünn. Nur ein winziger Teil aller Beschäftigten erreicht diese Gipfel. Darunter tummeln sich sowohl Absolventen einer höheren Berufsbildung wie Bachelors und Masters.

Funktionierendes Teamwork

Das weiss auch Lino Guzzella, vormals Rektor und heute Präsident der ETH Zürich. Am Industrietag 2014 erzählte er von seiner eigenen Erfahrung als Ingenieur bei Hilti in Schaan. «Ich leitete dort eine Gruppe, bestehend aus Elektronikern, Mechanikern, Fachhochschulabsolventen und ETH-Ingenieuren. Der ETH-Ingenieur studierte den Markt; er analysierte und formulierte das Problem. Und er entwarf die prinzipielle Lösung. Der Fachhochschulingenieur verband dann diese theoretischen Ideen mit der Praxis und baute zusammen mit den Elektronikern und Mechanikern einen Prototyp und testete diesen.

Dieses Teamwork funktionierte, weil alle Akteure die gleiche Sprache sprachen, sich permanent miteinander austauschten und ihr grosses Fachwissen und ihre Erfahrung einbrachten und diese Beiträge von allen respektvoll und zielorientiert umgesetzt wurden.» Auch von Berufsleuten, denn «im Betrieb lernen die jungen Menschen eine Profession von der Pike auf, und dies auf dem neuesten Stand des Berufes, weil die Betriebe unter ständigem Konkurrenz- und daher Innovationsdruck stehen.»

Mehr Transparenz

Rudolf Strahm würde Guzzella nicht widersprechen. «Es braucht zwar Ingenieure, Erfinder, Innovatoren, Manager, aber es braucht auch Fachkräfte, welche die Präzisionsarbeit beherrschen und die Innovationen ausführen. Präzision lernt und lehrt man nicht an der Universität. Präzision, Exaktheit, Zuverlässigkeit sind genau die Werte, welche die hohe Konkurrenzfähigkeit der modernen Exportindustrie ausmachen.» Doch der Schlüssel zur Karriere sei Weiterbildung, sagt Strahm, und «wir brauchen mehr Transparenz, was die vielen einzelnen Diplome und Titel wert sind.» Es ist Zeit, dass die Behörden, das Parlament und die Berufsverbände endlich aktiv werden.