Sie platzen ohne Voranmeldung ins Klassenzimmer hinein. Drei Jungs und eine Blondine. Sie haben eine Botschaft: «Morgen Abend tritt YouTube-Star Money Boy auf», ruft einer, ein Zweiter skandiert: «Highlight der HSG-Startwoche! Casablanca-Bar! Eintritt nur 15 Franken!»

Die 19 Jungstudenten im Container-Klassenzimmer 22-107 schauen kurz irritiert auf, werden mit Flyers eingedeckt. Dann arbeiten sie weiter an ihrer ersten Fallstudie: «Ernährungssicherheit – Wege aus dem Hunger» (Presenting Partner: Syngenta). Die Lektion aus dem Party-Überfallkommando: Work hard, play hard. Und pay hard: «Hier gehts ja zu wie auf dem türkischen Basar», wundert sich die Luzernerin Viola Rutar, Jahrgangsbeste mit einer Maturanote von 5,68. «Schon am Tag 1 wollen uns HSG-Studenten ihre Semester-Zusammenfassungen und Karteikarten verkaufen.»

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Willkommen auf dem Rosenberg. Hier wird die Saat für die Manager von morgen ausgebracht. Die 19 Anfänger sind Teil der insgesamt 1370 Frischlinge (Vorjahr: 1243), die in der Startwoche die HSG, ihre neue Heimat, erklärt bekommen. Betreut von 150 Tutoren ziehen 60 Freshmen-Gruppen über den Campus. Der Einzug des olympischen Feuers. Oder der «Beginn des HSG-Brainwashings», wie Höhersemestrige frotzeln.

Die Class of 2011 beginnt ihr Studium mitten im Blindflug der Weltwirtschaft. Der Euro wackelt, Staatskollapse und Bankimplosionen drohen – und am Ende des Tunnels hockt eine Rezession. Easy. «Seit ich mich für Wirtschaft interessiere, herrscht immer irgendwo Krise», sagt Viola Rutar. Näher geht die Sache dem Frischling Alex Porsche: «Schon irre, das mit der Staatsverschuldung: Unser deutsches Steuergeld wird aufgeworfen – und die Griechen verballern es. Wo führt das noch hin? Keine Ahnung. Ich bleibe verhalten positiv.»

Jungstudent Sämi Inauen: «Es scheint wirklich, als sei die Weltwirtschaft in einer existenziellen Krise. Aber vielleicht sind ja wir diejenigen, die alles wieder zurechtbiegen.» Diese Hoffnung hegt auch HSG-Rektor Thomas Bieger: «Erkenntnisse sind der Hauptzweck Ihres Studiums», trichtert er den Neulingen in seiner Startwochenrede ein.

Ranking, Ranking, Ranking! Vor der Uni-Wahl haben die Frischlinge recherchiert: «Ich habe mir vier Unis angeschaut – die HSG war am besten organisiert», sagt Fränzi Burkart aus Adligenswil LU, Maturanote 5,64. «Die HSG hat einen Spitzenruf, ist international ausgerichtet und familiärer als die Uni Zürich», weiss Rutar. Tatsächlich: Mit 7000 Studierenden ist die HSG ein Winzling; an der Uni Zürich sind derzeit 26 250 Studierende eingeschrieben, an der ETH 17 000. Aber der Ruf! 
Gemäss Burkart schallt er weit über die Meere: « ‹Die HSG kennt man auch bei uns›, sagt mein Grossonkel, der in den USA lebt.» Nüchterner ging Porsche an die Sache: «Ich schaute mir die Rankings an. Für mich kam nur eine der Top-3-Unis im deutschsprachigen Raum in Frage.»

Porsche ist nicht allein mit seinem Vorgehen. In einer globalen Welt, die Hotels oder Konsumelektronik in Sekundenschnelle bewertet, ist auch das Bildungswesen kein abgeschotteter Markt mehr. US-Hochschulen werden mit denjenigen Deutschlands, der Schweiz, Singapurs und Südamerikas verglichen. Uni-Rankings sind zum Leistungssport verkommen: Welches ist die Top-Hochschule weltweit? Wer hat den besten BWL-Bachelor-Studiengang (siehe Seite 70)? «Der Umgang mit Rankings ist eine Gratwanderung. Gutes Abschneiden in einzelnen Vergleichen ist wichtig, aber wir müssen aufpassen, dass wir uns dafür nicht verbiegen», sagt Ulrike Landfester, die erste Frau im HSG-Rektorat.

Dass die HSG im Ranking der «Financial Times» für ihren Master-Studiengang SIM (Strategy and International Management) eben erst mit Platz eins (Vorjahr: 4. Rang) gekrönt worden ist, ist ein wichtiger Sieg. «Das ist unser Kerngebiet, da wären wir enttäuscht, wenn wir nicht ganz vorne wären», so die Prorektorin.

Landfester ist für die Internationalisierung der HSG zuständig. Ganz oben auf Rektor Biegers Agenda steht das Ziel, die Wirtschaftshochschule ausserhalb Europas bekannter zu machen, den Know-how-Transfer mit dem Ausland zu intensivieren. Mit zwei sogenannten Hubs in Singapur und São Paulo ist der Grundstein gelegt. Sie sollen unter anderem helfen, Studierende aus Zukunftsmärkten nach St. Gallen zu locken. Bisher war der Rosenberg kein globales Dorf. Von 2263 ausländischen Studierenden aus 80 Nationen kommen die meisten aus Deutschland (1387) und Österreich (171). Sogar aus dem Zwergstaat Liechtenstein (65) stammen mehr Studis als aus Boommärkten wie China (52) oder Indien (15).

Hafen der Big Boys. Das dürfte sich ändern. «Wir werden in zehn Jahren sicher deutlich mehr Studierende aus Asien und Südamerika bei uns haben», sagt Landfester. Am Ausländeranteil von maximal 25 Prozent für die grundständige Lehre – Assessment- bis Masterstufe – soll zwar nicht gerüttelt werden, doch die Schwergewichte innerhalb dieser Gruppe werden sich verschieben. Während in der Schweiz alle mit Matura nach St. Gallen dürfen, müssen Studierende aus anderen Ländern eine Zulassungsprüfung absolvieren. «Da können wir es uns leisten, wirklich die hellsten Köpfe auszuwählen, und die stammen heutzutage nicht mehr zwingend aus unseren Nachbarländern», meint Landfester.

Wie wichtig Asien für die St. Galler ist, zeigt sich in Singapur: Die HSG steckt dort mitten in der Gründung eines eigenen Instituts mit Schwerpunkt Business Development – ein Bekenntnis zur Wichtigkeit von Forschung und Lehre im Ausland und eine Einladung an die HSG-Absolventen, möglichst schon während des Studiums Auslandluft zu schnuppern. «Internationalitätskompatibel» (Landfester) sollen sie sein, wenn sie dereinst auf den Arbeitsmarkt drängen.

Man hat einen Ruf zu verteidigen. Legionen von Big Boys wurden hier geprägt. «Leitgenossen» («Manager Magazin») wie Joe Ackermann, Chef der Deutschen Bank, Swiss-Re-Präsident Walter Kielholz, SRG-Generaldirektor Roger de Weck, Swiss-Präsident Bruno Gehrig – eine endlose Liste. Darunter auch einige mit unschönem «Ex», der einstige UBS-CEO Peter Wuffli oder Ex-CS-CEO Lukas Mühlemann. Gelohnt hat es sich allemal. So zeigt die Alumni-Organisation auf ihrer Website, dass sich in der BILANZ-Liste der 300 reichsten Schweizer nicht weniger als 17 HSG-Alumni tummeln.

Nun muss sich der Jahrgang 2011 in die Reihe der Schwergewichte fügen. Von übertriebener Ehrfurcht ist an der Startwochen-Abschlussveranstaltung in der prall gefüllten Olma-Halle nicht viel zu spüren. Man lauscht den Worten des Rektors und witzelt derweil in den Reihen leise über den jüngsten UBS-Milliardenverlust – genauso wie über Viagra. Pauken und Credit Points sammeln steht jetzt noch nicht im Vordergrund. «Unser Tutor fragte uns zu Beginn, ob wir den Projektwettbewerb gewinnen oder ob wir Spass haben wollen», sagt Fränzi Burkart, leicht heiser von den ersten Partys. Aber sie hat das beruhigende Gefühl, im Uni-Kosmos angekommen zu sein, bereits ein kleines Netzwerk aufgebaut zu haben.

Das ist der Spirit of St. Gallen: Man wittert die Chance, dass alles möglich ist, dass eine Zeit anbricht, die das Leben prägt. Hier werden Netze gewoben, auf die man sich später verlassen kann. Was ihr gefalle, sagt Fabienne Herbstrith, «sind der Zusammenhalt, ein gewisser Stolz, ein positives Denken». Es sei kein Gegeneinander, «alle wollen es einfach schaffen». Der HSG-Spirit als Motor zur Top-Performance. Aber man muss auch einige Dinge klären, um nicht einen schlechten Ruf zu erlangen. «Meine Mutter ist Südkoreanerin. Aber keine Tigermutter», sagt Frischling Sämi Inauen. «Ich bin nicht direkt mit den Sportwagenbauern verwandt. Ich kam heute zu Fuss an die Uni, auf Porsche-Füssen», beteuert Jungstudent Alex Porsche.

Manchmal wecken die Bildungsverkäufer ungute Gefühle. Herbstrith: «Mich schreckte der HSG-Info-Tag fast ab. Für meinen Geschmack trug man zu penetrant vor, dass man die allerbeste Uni sei.» Einige Studenten haben das so verinnerlicht, «dass sie uns einfach duzen», erzählt eine mittelalterliche Mensa-Angestellte, «man merkt, wer welche Kinderstube hatte. Und wer mit Kindermädchen aufwuchs.»

Nach der Startwoche ist Leistung gefragt. Viele der Neuen überstehen das Assessmentjahr nicht. Wer zweimal nicht performt, wird ausgesperrt: die Verbannung vom Rosenberg. Es erinnert sich Studentin und Businessfrau Herbstrith, Mitgründerin der Zürcher Pnööö GmbH, die aus alten Veloschläuchen Handyhüllen und Etuis herstellt: «Ein Professor sagte uns früh: ‹Schaut einmal links und einmal rechts von euch: Einer schafft das Assessmentjahr – der andere nicht.›»

Fabienne Herbstrith schaffte es nicht. Jetzt startet sie mit der Class of 2011 ein zweites Mal. Die Zürcherin, 19-jährig, will ihre «persönliche Work-Life Balance» ändern, «im zweiten Anlauf muss mehr Work sein.» Was, wenn es noch einmal nicht klappt? Da ist er wieder, der HSG-Spirit: «Also daran denke ich doch jetzt gar nicht!»