Geht es um Frauenquoten, gibt es für Alice Stümcke kein Wenn und Aber. Die Chefin des Möbelherstellers de Sede ist «absolut für die Einführung einer Frauenquote in Schweizer Unternehmen». Inga Beale sieht die Sache ähnlich kompromisslos: «Ich bin für eine Frauenquote», sagt die Engländerin, die als Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der Zurich Financial Services zu den ranghöchsten Frauen in der Schweizer Wirtschaft zählt. Stümcke will die Quote, weil sie die Hoffnung aufgegeben hat, dass sich die chronische Untervertretung der Frauen in Spitzengremien von selbst behebt. Beale glaubt zwar, dass Frauen an die Spitze von Firmen vorrücken werden, bezweifelt aber, dass es in nützlicher Frist passiert. Für beide steht das Schlagwort Frauenquote für Beschleunigung und Initialzündung.

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Sie könnten glatt als Vorkämpferinnen für eine neue Frauenbewegung antreten. Nur, wer macht mit? Vermutlich nicht viele. Stümcke und Beale stehen mit ihrem klaren Ja zur Frauenquote allein auf weiter Flur. Von über 20 angefragten Unternehmerinnen, Managerinnen, Verwaltungsrätinnen und Professorinnen sind sie die einzigen, die eine Quote klar befürworten. Die Werberin Danielle Lanz hält sie demgegenüber für «unnötig», Regula Fecker, Werberin des Jahres 2010, sogar für «kontraproduktiv». Kommunikationsprofi Beatrice Tschanz findet Quoten «diskriminierend», Ökonomieprofessorin Monika Bütler «einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit». Monika Ribar, die als CEO von Panalpina mehr als 13  000 Beschäftigten vorsteht, will kein «Gesetzesdiktat».

Die meisten Stimmen sind moderat, klingen konziliant. «Taten statt Quote!», bringt es Nadja Lang, stellvertretende Geschäftsführerin von Max Havelaar Schweiz, auf den Punkt. Ida Hardegger, Unternehmerin und Verwaltungsrätin, hält die Quote für die Ultima Ratio, falls Unternehmen ihre Chefetagen nicht bald einmal angemessen durchmischen. Genauso sehen es die Wirtschaftsprofessorin Sita Mazumder und die Headhunterin Doris Aebi, VR-Vizepräsidentin des Migros-Genossenschafts-Bundes. Ihre Botschaft ist eindeutig: Falls Firmen nicht auf freiwilliger Basis mehr Frauen an ihrer Spitze installieren, müssen sie mit Gesetzen dazu verpflichtet werden.

In einer öffentlichen Erklärung plädieren die 60 Spitzenmanagerinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, welche die «Generation CEO»-Initiative lancierten, für eine «entschlossene Selbstregulierung der Unternehmen bei der Erhöhung des Frauenanteils in Konzernleitungen und Verwaltungsräten». Das «mutige, aber realistische» Ziel lautet, den Anteil von Frauen in den Konzernleitungen von heute 2,5 Prozent zügig in Richtung 20 Prozent zu erhöhen.

Letzte Chance. Die grosse Mehrheit ist sich einig: Für die Unternehmen ist die letzte Chance gekommen, Frauen aus freien Stücken und ohne gesetzliche Vorschrift in die Spitzengremien aufzunehmen. Aber wird sie auch genutzt?

Fast 50 Jahre sind vergangen, seit die Amerikanerin Betty Friedan im Buch «Der Weiblichkeitswahn» die allgemeine Berufstätigkeit der Frauen forderte, und inzwischen ist gewiss einiges passiert. Frauen haben die Hälfte der Arbeitswelt erobert und erringen die Mehrheit aller akademischen Diplome. Regierungen in aller Welt haben Gleichstellungsgesetze geschaffen, und einzelne Vorzeigemanagerinnen und Spitzenpolitikerinnen führen Frauen vor Augen, dass im Prinzip alles möglich ist. Nur in den Chefetagen wurde die kritische Masse noch nicht erreicht. Hier sind Frauen in Top-Positionen noch eine Randerscheinung (siehe Grafik im Anhang). In den Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Unternehmen liegt der Frauenanteil gemäss einer Studie der Unternehmensberatung Guido Schilling bei 4 Prozent, davon tragen indes nur die Hälfte der Frauen operative Verantwortung. Lediglich zwei dieser Firmen werden von Frauen geführt: ABB Schweiz von Jasmin Staiblin und Panalpina von Monika Ribar.

Es zeigt sich, dass die Frauenförderungsprogamme, welche die Unternehmen vor Jahren pflichtschuldigst installierten, in den Chefetagen wenig verändert haben. «Sie waren zwar redlich und gut gemeint, doch der durchschlagende Erfolg blieb in allen grossen Unternehmen leider aus»: Das räumt nicht eine verbitterte Frauenrechtlerin ein, sondern ein hochrangiger Vertreter der Corporate World. Thomas Sattelberger ist Personalchef der Deutschen Telekom, eines 65-Milliarden-Euro-Unternehmens. Sattelberger weiter: «Es zeigt auch, dass es ohne verbindliche Vorgaben in Firmen keine Gleichberechtigung geben wird.»

Frauenquote bei Telekom. Gesagt, getan. Die Deutsche Telekom prescht vor und führt als erstes börsenkotiertes deutsches Unternehmen eine Frauenquote ein. Bis Ende 2015 sollen 30 Prozent der mittleren und oberen Führungspositionen mit Frauen besetzt sein. Der Vorstandsvorsitzende, René Obermann, verspricht sich neben der Erweiterung des Talentpools langfristig eine höhere Wertschöpfung. «Mehr Frauen in Führungspositionen ist ein Gebot der gesellschaftlichen Fairness und vor allem eine handfeste Notwendigkeit für unseren Erfolg», sagt er. Oder kurz und bündig: «Mit mehr Frauen an der Spitze werden wir einfach besser.»

So unverhohlen hat schon lange kein Firmenchef mehr den Frauen den roten Teppich ausgerollt, in Deutschland nicht und schon gar nicht in der Schweiz. Nachahmer sind noch keine bekannt, wenngleich da und dort in den Personalabteilungen angedeutet wird, der Druck sei gestiegen. Zumal nicht nur Frauen, sondern auch andere Stakeholder das Thema für dringlich halten, etwa die Aktionäre. Einer der Gründe für die schwache Frauenvertretung in den SMI-Firmen ist laut Actares, der Aktionärsvereinigung für nachhaltiges Wirtschaften, dass die Definition von Quoten und verbindlichen Zielvorgaben abgelehnt wird. Gemäss Actares wären «strategische Vorgaben hilfreich, wonach der prozentuale Frauenanteil in der Unternehmensführung innerhalb einer bestimmten Zeit zu verdoppeln ist».

Der Pharmakonzern Roche operiert seit neustem mit Zielvorgaben, will sie aber nicht an die grosse Glocke hängen. Firmenchef Severin Schwan gab das Ziel aus, bis 2014 20 Prozent der Top-Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Der Anteil liegt derzeit bei 13 Prozent. Nimmt man die 120 Leute, die bei Roche laut Geschäftsbericht als Top-Führungskräfte bezeichnet werden, wären das bis in vier Jahren weltweit 24 Frauen. Von einer Quote zu reden, wird tunlichst vermieden. «In einem innovationsgetriebenen Unternehmen wie Roche muss der Fokus auf mehr Vielfalt gerichtet werden», heisst es beim Pharmariesen. Da die generelle Förderung der Vielfalt ein sehr breites Gebiet umfasse, sei das Augenmerk im ersten Schritt bewusst auf Frauen gerichtet.

Ohne Aufhebens hat auch der Nahrungsmittelmulti Nestlé die Frauenvertretung an der Spitze erhöht. Mit Carolina Müller-Möhl, Naina Lal Kidwai und Titia de Lange sitzen seit der Generalversammlung vom April drei Frauen im Verwaltungsrat, die Frauenquote beträgt nun 25 Prozent. Mit Petraea Heynike hat der Multi überdies seit einem Jahr die erste Frau in der Konzernleitung. Zielvorgaben gibt es keine, aber Nestlé startete 2008 ein Programm, um den Ausgleich der Geschlechter und den Frauenanteil im Management zu beschleunigen. Der Prozess, heisst es, werde mehrere Jahre dauern.

Drei Frauen brauchts. Eine Frau in der Unternehmensspitze zu haben, ist vielerorts immer noch das höchste der Gefühle. Die Credit Suisse hat seit Anfang Jahr mit Pamela Thomas-Graham das erste weibliche Konzernleitungsmitglied, bei der Swisscom beginnt im Herbst Kathrin Amacker als erste Frau im obersten Führungsgremium, bei Roche sitzt mit Silvia Ayyoubi eine Frau im Topmanagement. Damit Frauen in einem Führungsgremium angemessen vertreten wären, bräuchte es aber mindestens drei Frauen. Das stellt auch Carolina Müller-Möhl fest, die erste und dienstälteste Verwaltungsrätin bei Nestlé, die inzwischen auch bei Orascom und der NZZ-Gruppe im Kontrollgremium sitzt: «All die positiven Aspekte gemischter Führungsteams kommen erst ab einer kritischen Masse von drei weiblichen Teammitgliedern zum Tragen.» Erst dann würden Frauen nicht mehr an ihren Attributen, sondern an Argumenten gemessen, zitiert Müller-Möhl eine wissenschaftliche Studie. Deren Titel ist Programm: «Critical Mass on Corporate Boards: Why Three More Women Enhance Governance».

Gemäss Müller-Möhl ist die Untervertretung weiblicher Topkader nicht die Folge eines Mangels an geeignetem Personal, wie oft beklagt wird. Die Ursache liege vielmehr darin, dass bei der Rekrutierung von Managerinnen und Verwaltungsrätinnen die Bereitschaft, sich «out of the box» umzusehen, kaum vorhanden sei. Dabei existieren seit geraumer Zeit Beratungsfirmen und Netzwerke wie GetDiversity oder der Female Board Pool der Universität St. Gallen, die auf Ausbildung und Vermittlung von Verwaltungsrätinnen spezialisiert sind.

Die Argumente, die für eine höhere Einbindung der Frauen in Leitungsgremien sprechen, werden mit jedem Tag schlagkräftiger. Studien zur Diversity generell und zu Frauen im Speziellen sind zahlreich. Die Boston Consulting Group schlägt im Buch «Women Want More» den Bogen zwischen der Tatsache, dass Frauen zwei Drittel der Haushaltsausgaben verantworten, und deren Untervertretung im Management von Unternehmen. Für Diskussionen sorgte Ernst & Young am World Economic Forum 2009 mit einer Studie, die den wesentlichen und nachweislichen Beitrag der Frauen zur Wirtschaftswelt und zum ökonomischen Wachstum hervorhebt.

Frauen bringen Profit. McKinsey schliesslich untersuchte jahrelang den Zusammenhang zwischen der Organisation eines Unternehmens und dessen finanzieller Performance und stellte fest: Unternehmen mit drei oder mehr Frauen im Senior-Management-Team schneiden besser ab. «Why Women Matter» belegt eindrücklich, dass Firmen erfolgreicher sind, wenn Frauen an entscheidender Stelle mitmischen. «Die Untervertretung der Frauen ist nicht nur ein Imageproblem», mahnen die Verfasser, «sie hat einen realen Einfluss auf die Performance.»

Trotzdem bewegt sich wenig – so wenig, dass sich Politiker in ganz Europa bemüssigt fühlen, den Firmen auf die Sprünge zu helfen. Die 60 Managerinnen der «Generation CEO»-Initiative sind überzeugt, dass eine Quote in der Wirtschaft eingeführt werden wird, wenn die Unternehmen keine glaubwürdigen Schritte einleiten. Tatsächlich will die deutsche Familienministerin Kristina Schröder per Gesetz eine Quote von 20 Prozent erzwingen, falls die Firmen sie bis 2015 nicht von sich aus erreichen. Ähnliche Vorstösse kommen von allen Seiten oder liegen bereits als Gesetzentwurf vor – von Finnland und Schweden über die Niederlande und Belgien bis Frankreich (siehe Übersicht unter 'Weitere Artikel'). Die EU-Kommission plant, im Herbst eine Initiative zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungspositionen zu starten. Möglich ist, dass sie nicht nur eine Empfehlung abgibt, sondern auch Quoten per Verordnung festlegt, welche die Mitgliedstaaten umsetzen müssen.

Bundesrat gegen Quote. In der Schweiz liegt eine Motion für ein Quotengesetz in den Schubladen der Parlamentarier, eingereicht von der grünen Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. Sie verlangt eine Frauenquote von 40 Prozent für Firmen mit mehr als 200 Beschäftigten. Es wäre der dritte Anlauf für eine Quotenregel in der Schweiz. Doch die Chancen stehen erneut schlecht. Die Antwort des Bundesrats, der drei Frauen zählt, war abschlägig. Eine Geschlechterquote, so die Regierung, sei ein Eingriff in die Autonomie der Unternehmen. Die Motion dürfte in einer der nächsten Sessionen behandelt werden. «Wenn es Druck auslöst, sodass die Firmen freiwillig vorwärtsmachen, bin ich froh», so Prelicz.

Auftrieb geben die Erfahrungen in Norwegen. Nachdem per Gesetz eine Quote von 40 Prozent in Verwaltungsräten der kotierten Unternehmen eingeführt worden war, kam die Feminisierung der Top-Kader erst richtig in Gang. Der Anstoss ging 2003 vom damaligen konservativen Wirtschaftsminister Ansgar Gabrielsen aus, der Frauen nicht aus Gründen der Emanzipation, sondern aus reinen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen stärker einbinden wollte. Da sich auf freiwilliger Basis nichts tat, drohte die Regierung mit Konsequenzen: Firmen, welche die Quote bis 2008 nicht erfüllten, würden aufgelöst. Alle machten mit.

Ein Wermutstropfen ist, dass fast kein Übertragungseffekt stattgefunden hat. In den hohen operativen Chargen sind Frauen genauso untervertreten wie zuvor – was beweist, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen Frauen fördern müssen.

Um nicht von den Politikern an die Kandare genommen zu werden, geht die Deutsche Telekom nun voran. Die Erhöhung des Frauenanteils auf 30 Prozent im mittleren und oberen Management klingt nicht nach Hexerei, sondern nach einfacher, klarer Order. Erstens: Das Thema ist Chefsache. Zweitens: Die Ziele sind allen bekannt. Drittens: Bei Auswahlprozessen, Neueinstellungen von Hochschulabsolventen, in Talentpools und bei Entwicklungsprogrammen für Führungskräfte müssen stets mindestens 30 Prozent Frauen vertreten sein. Wenn das ein Konzern mit 260  000 Beschäftigten schafft, schaffen es auch alle andern.

Iris Kuhn Spogat
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