Die letztlich unvorhersehbare, sprunghafte technologische Entwicklung bei gleichzeitig zunehmender Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologie haben die Unternehmen mit sich ständig verkürzenden Produktlebenszyklen und steigendem Entwicklungsaufwand konfrontiert, in anhaltenden Innovationsdruck versetzt und zu den bekannten organisatorischen Massnahmen gezwungen. Damit haben sich für viele Menschen, die sich in abhängiger Beschäftigung befinden, in den letzten Jahren die Bedingungen des Beschäftigtseins und des Arbeitens erheblich verändert. Wenngleich die westlichen Industrieländer unterschiedlich stark betroffen sind und branchenabhängig zu differenzieren ist, so sind einige Trends doch unverkennbar.

Lebensläufe von Stellensuchenden werden häufiger durch geringe Kontinuität gekennzeichnet sein: Wechsel von Berufen, Parallelität von Tätigkeiten in unterschiedlichen Feldern, Auflösung der klaren Trennung von Berufs- und Privatsphäre, Gleichzeitigkeit von abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit und anderes mehr (siehe auch Beispiele in den beiden Personenporträt-Kästen). Eine Inter-pretation in Richtung Sprunghaftigkeit und Unreife der Personen, die hinter derartigen Lebensläufen stehen, wäre voreilig, sind solche Berufsbiografien doch in den meisten Fällen Reflektion der Umstände und nicht freiwillige Wahl. Was nun sind diese Umstände?

Mehrfache Labilisierung statt souveräne Flexibilität
Das Angebot an so genannten Normalarbeitsverhältnissen, also Vollzeitanstellung auf zunächst unbestimmte Zeit, sinkt; statt dessen werden Teilzeit- und Projektanstellungen angeboten, Werkverträge und zeitliche Begrenzungen sind an der Tagesordnung. Unternehmensfunktionen, die nicht zum Kerngeschäft gehören, werden ausgegliedert; nicht selten sind die Betroffenen weiterhin für das Unternehmen tätig, neu jedoch als so genannte Scheinselbstständige (Zukunftskommission der Freistaaten Bayern und Sachsen 1996, 1997).

Der 9-bis-18-Uhr-Job gehört bald ganz der Vergangenheit an, chronometrische und chronologische Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Arbeit zu unge-wöhnlichen Tages- und Nachtzeiten und am Wochenende gilt nicht mehr als ungewöhnlich. Im Gegenteil, der ehemals legitime Anspruch auf Regelmass von Dauer und Lage der Arbeitszeit hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Die Ansprüche an die Organisation des privaten Lebens steigen.

Doppelbödige Forderung nach Kooperationsbereitschaft Die ungewisse Kontinuität von Anstellung und Auftragslage zwingt die Beschäftigten, nach Möglichkeit mehrere Anstellungen zugleich einzugehen oder sich überschneidende Aufträge anzunehmen. Die Gleichzeitigkeit mehrerer Engagements führt zu erheblichen Belastungssituationen, verringert fast zwangsläufig die innere Beteiligung am einzelnen Auftrag und die Konzentration auf diese.

Die Unternehmen reagieren auf die Forderungen der Märkte mit einer partiellen Veränderung der Arbeitsorganisation. So werden die klassischen Strukturen zwar nur selten radikal verändert, in aller Regel aber werden sie ergänzt durch temporäre Organisationsformen: Zusätzlich zum normalen Tagesgeschäft werden Projekte gestartet, Task-Forces ernannt, Qualitätszirkel und Lernwerkstätten initiiert, inner- und überbetriebliche Netzwerke eingerichtet und so weiter. Sie sollen Sonderaufgaben und Entwicklungsvorhaben bewältigen, Ablaufprobleme be-arbeiten und Innovationen hervorbringen (Kühl 2000).

Damit notwendig verknüpft ist das Kooperieren in netzwerkartigen, sehr oft abteilungsübergreifenden Strukturen und das Zusammenwirken von Vertretern ganz verschiedener Funktionen und Berufe (vgl. Rüegg & Achtenhagen 2000).

Noch nicht überall erkannt ist jedoch, dass auch die Erweiterung der Kooperationsformen spezifische Anforderungen stellt: Die Konfrontation mit den Perspektiven und «Dialekten» anderer Funktionen und Berufe ist lehrreich und anstrengend zugleich, er-gebnisverantwortliches Kooperieren bringt organisatorische, dispositive und betriebswirtschaftliche Fragestellungen mit sich, die in den üblichen Berufsausbildungen nur selten erworben werden konnten. Vielfältige und häufig wechselnde Kooperationen im Arbeitsalltag stellen die Beschäftigten einerseits vor die Notwendigkeit, Arbeitsrollen und Interaktionsmuster, Problemverständnisse und Lösungswege immer wieder neu und explizit auszuhandeln; für Menschen, die dies in ihrer bisherigen Arbeitsbiografie nicht erlernt haben, ist dies keineswegs trivial.

Psychologisch gesehen viel schwieriger zu handhaben ist jedoch die doppelbödige Forderung nach Kooperationsbereitschaft. Unstrittig ist zunächst, dass die meisten Aufgaben nur durch konstruktive Zusammenarbeit zu bewältigen sind; die Preisgabe des eigenen Wissens sowie das Vertrauen in die fachliche Kompetenz und persönliche Integrität des Partners sind unerlässliche Voraussetzungen gelingender Kooperation. Eine derartige Haltung gefährdet jedoch das einzige Kapital der Beschäftigten. Die Forderung ist paradox: Das eigene Wissen und Können soll denjenigen offenbart werden, die nach erfolgreicher Problemlösung wieder zum inner- oder überbetrieblichen Konkurrenten werden. Den Ausweg daraus nannte Sennett (1998) die «Maske der Kooperativität», das berechnende Vorspielen von Kooperationsbereitschaft und damit die Instrumentalisierung der (Arbeits-) Beziehung.

Die «Guten» werden es besser haben, aber sie sind die Minderheit
Natürlich bieten die oben skizzierten Entwicklungen ungeheure Chancen: Einblick in fremde Aufgaben und Berufe, der Wechsel der Kooperationspartner ist lernhaltig; die ständige Konfrontation mit neuen Problemen erlaubt das Erproben neuer Rollen, die Erweiterung der eigenen Kompetenzen und das Entdecken ungekannter Vorlieben. Das eigene Curriculum lässt sich anreichern, die Attraktivität für den Arbeitsmarkt steigern. All dies gilt insbesondere für Beschäftigte, die bereits mit hochkarätigen Karten spielen: für gut ausgebildete, zeitlich und örtlich fle-xible, von Familienpflichten möglichst verschonte, karriereorientierte, bewegliche, junge Menschen. Diese werden derartige Arbeitssituationen anders nutzen können als Menschen, die nicht über die erwähnten Attribute verfügen; Letztere allerdings sind die Mehrheit.

Die neue Ökonomie bringt viele Sicherheiten ins Wanken
Für diese Mehrheit gerät vieles ins Wanken. Solange Menschen einen beträchtlichen Teil ihrer Identität aus ihrem Beruf und ihrer Arbeitstätigkeit beziehen, solange erschwert ein unfreiwilliger Wechsel des Berufes, der zunehmend zur Normalbiografie gehören wird, diesen Rückgriff.

Analog gilt dies für die zunehmend eingestreuten Perioden unfreiwilliger Erwerbslosigkeit. Menschen stehen vor der Notwendigkeit, entweder die Konstruktion ihrer beruflichen Identität wiederholt neu vorzunehmen oder aber andere Quellen für das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung zu benutzen; Letzteres ist gleichbedeutend mit dem Abzug von auf die Arbeitswelt gerichteter psychischer Energie (Friedrich-Ebert-Stiftung 1998).

Zentral sind die Folgen für das personengebundene «Kapital»: Konnten wir bislang mehrheitlich darauf zählen, dass sich mit zunehmender Dauer der Berufstätigkeit Erfahrung und Wissen wie von selbst verlässlich akkumulieren, so ist dies nun in dreifacher Weise in Frage gestellt.

Zunächst macht jeder Berufswechsel mindestens einen Teil der beruflichen Qualifikation überflüssig. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt tut ein Übriges, indem er individuelles Wissen rasch veralten lässt.

Schliesslich zeigt es sich immer häufiger, dass die Beschäftigten heute kaum noch damit rechnen können, dass sich einmal erworbene Berufserfahrung als dauerhaft brauchbar erweist: Basisinnovationen differenzieren vorhandenes Wissen nicht mehr einfach aus, sie ersetzen es schlicht und einfach. Permanentes Lernen ist somit notwendig für das berufliche Überleben, es ist zugleich äusserst riskant, da die nächsten Schritte auf der individuellen Laufbahn zum gegebenen Zeitpunkt nicht eindeutig bekannt sind.

Die individuelle Verantwortung wird markant zunehmen
Die individuelle Verunsicherung in Resignation münden zu lassen, kann keine Lösung zu sein, das «Lernen auf Verdacht» ist ebenfalls keine subjektiv befriedigende Alternative. In diesen Entscheidungen kann dem Einzelnen kaum Unterstützung gegeben werden. Bewährte Laufbahnmuster können noch nicht empfohlen werden, die klassischen Beratungskonzepte sind auf die Situation kaum vorbereitet.

Die individuelle Verantwortung für die Zukunftssicherung ist nicht nur gewachsen, sie wird notwendigerweise vermehrt im Nicht-Arbeitsbereich realisiert. Der Sorge um Anschlussbeschäftigung oder dem Erwerb neuen Wissens kann nur schlecht am aktuellen Arbeitsplatz nachgegangen werden. Die Grenzen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, zwischen Erwerbsarbeit, Investitionen in Ausbildung und in die Pflege des persönlichen und beruflichen Netzwerkes sind kaum noch auszumachen.

In Unternehmen: neue Unsicherheitszonen statt Problemreduktion
Auf den ersten Blick scheinen die Unternehmen mit den oben skizzierten Entwicklungen mehrere Sorgen zugleich losgeworden zu sein: Die Beschäftigten treten als eigenständige und selbstverantwortliche Subjekte auf, die über den Verkauf ihrer Arbeitskraft verhandeln, diese dem attraktivsten Arbeitgeber gegen angemessenes Honorar zeitweilig zu Verfügung stellen, längerfristige Verpflichtungen bleiben erspart und so weiter.

Die Beziehung scheint symmetrischer geworden zu sein; der Begriff des Lebensunternehmertums wird nicht umsonst hoch gehandelt. Für die Unternehmen entscheidender ist jedoch, dass sich bei näherer Betrachtung durchaus gewichtige Pferdefüsse zeigen, kristallisieren sich doch drei Unsicherheitszonen heraus:

1. Unsicherheitszone: Engagement und Loyalität
Unabweisbar stellt sich die Frage, wie das unerlässliche Engagement und die unabdingbare Loyalität der Beschäftigten auf Dauer hergestellt werden können. Wenn Unternehmen die Kontinuität der Anstellung nicht sicherstellen und ihren Beschäftigten eine entsprechende Perspektive nicht mehr eröffnen können, wie können sie dann eine bisher selbstverständliche Leistungsbereitschaft erwarten? Wie sollen bisher hochprioritäre Faktoren wie beispielsweise Vertrauen und Identifikation, auf die eine Unternehmung handkehrum unbedingt angewiesen ist, legitimerweise verlangt werden? Kein Zweifel: Der psychologische Kontrakt ist asymmetrisch geworden. Hier sind die Führungskräfte mit Anforderungen konfrontiert, für die sie auch nicht einmal in Ansätzen vorbereitet sind.

2. Unsicherheitszone: Qualifikation und organisationale Wissensbasis
Schon lange ist unklar, wie eine Unternehmung ihre Wissensbasis zuverlässig aufbauen und nachhaltig absichern soll. Diese Frage ist unter den neuen Voraussetzungen drängender geworden. Denn einerseits sind Unternehmen auf eine hohe und spezifische Qualifikation ihrer Beschäftigten angewiesen. Kann nun andererseits eben diesen hochqualifizierten Beschäftigten kein dauerhafter Verbleib in der Unternehmung zugesichert werden, so ist es im unternehmensseitigen Interesse, diese Qualifikation rasch zum Besitz der Unternehmung zu machen.

In der Sicherstellung dieses Übergangs besteht jedoch bekanntlich eines der bislang nur höchst unbefriedigend gelösten Probleme des Wissensmanagements (Götz 1999). Dass dieses Ansinnen der Unternehmung von den Beschäftigten überaus skeptisch betrachtet wird, ist angesichts der zuerst geschilderten Unsicherheitszone nachvollziehbar.

3. Unsicherheitszone: Unternehmensidentität und -grenzen
Angesichts vielfältiger Vernetzung, angesichts fluktuierender Belegschaften und angesichts des Einbezugs von Kunden und Mitbewerbern in die internen Prozesse werden die Grenzen des Unternehmens selbst zunehmend durchlässiger und schwerer erkennbar (Baitsch 1999).

Um jedoch eine klare Identität aufzubauen, um das Innen eindeutig vom Aussen zu trennen, sind Unternehmen gezwungen, sich durch andere Massnahmen von ihrer Umwelt abzugrenzen und für Interne wie für Externe eindeutig erkennbar und unverwechselbar zu werden. Hier entstehen für das Management Aufgaben, für die sie in der Regel keine geeigneten Werkzeuge haben.

Organisationale Massnahmen, Flexibilisierung und Individualisierung der Arbeits- und Vertragsverhältnisse, aber auch die Vernetzung mit dritten Leistungserbringern, die allesamt den Unternehmen grössere Unabhängigkeit hätten schaffen sollen, erweisen sich als trojanische Pferde; sie erzeugen neue und schwer steuerbare Komplexität, sie bewirken unversehens ein Kippen in neue Abhängigkeiten.

 

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