Manchmal kam der alles entscheidende Anruf abends – oder am Sonntag. «Wir könnten uns vorstellen, dass Sie den Vorstandsjob machen. Bitte sprechen Sie mit Ihrem Partner. Entscheidung bis morgen.» Solche Telefonate waren lange Zeit einer der üblichen Wege, Kader in einen Topjob zu heben. Alles war diskret, es musste schnell gehen, Transparenz gab es kaum. «Diese Zeiten sind aber zum Glück vorüber», sagt Bjørn Johansson. Heute würden die Vorstandsjobs professioneller besetzt, mit Vorlauf auch für die Kandidaten, so der Zürcher Personalberater.

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Aber dunkel bleibt es auf diesem Karriereweg dennoch. Zwar sind die Regale im Buchhandel voll von Bewerbungsratgebern und Tippbüchern für Einsteiger und Young Professionals im Twen-Alter. Aber das Buch «Vorstand werden. Vorstand bleiben» muss erst noch geschrieben werden, obwohl das ein lohnendes Thema wäre. «Es gibt eine Menge von Fallen und verdeckten Hindernissen, an denen Vorstände scheitern, oft schon kurz nach ihrer Berufung», so Dorothea Assig und Dorothee Echter zu den Risiken. Die beiden sollten es wissen – sie sind seit Jahrzehnten als Coaches und persönliche Ratgeber bei den Topkadern unterwegs.

Die ersten Wochen in der Konzernspitze

Einer der Erfahrenen, der schon lange in der Topliga angekommen ist, ist Josef Felder. Er war knapp ein Jahrzehnt CEO der Flughafen Zürich AG, heute amtet er als Multi-Verwaltungsrat auf der anderen Seite. Er weiss, wie es war und ist, wenn etwa bei Crossair, Flughafen Zürich, Luzerner Kantonalbank oder Zigarrenmacher Davidoff die Topkader der nächsten Generation gekürt werden. Sein Rat an werdende Vorstände: «Führung auf der obersten Ebene ist heute Teamarbeit. Da muss es eine kulturelle Passung geben», sagt Felder.

Einzelkämpfer und Leute, die meinen, sie könnten und wüssten alles, seien wenig gefragt. Deshalb sei ein Neuling gut beraten, wenn er schon in der Anbahnungsphase herausfinde: Welche Kultur herrscht eigentlich in diesem Unternehmen – und passe ich da rein? «Dafür sollte man nicht nur mit dem VR-Präsidenten und dem Personalchef sprechen. Ein Gefühl bekommt ein Einsteiger erst, wenn er auch Leute aus der Linie befragt.»

Macher werden in der Krise gebraucht

Und muss der neue Vorstand ein Macher sein, der in den ersten hundert Tagen klärt, dass nur er die Richtung vorgibt und den Laden total umkrempelt? «Ja», antwortet Headhunter Johansson, «aber nur, wenn Krise herrscht und eine harte Sanierung ansteht.» Ansonsten gelte eher der weiche Einstieg als Weg der Wahl. «Nicht gleich am ersten Arbeitstag als Besserwisser aufschlagen und verändern um des Veränderns willen.»Das heisst zum Einstieg: Das Unternehmen verstehen lernen, alle Sinne dabei einsetzen. Zuhören, Hinschauen, Erspüren gehören zum Handwerkszeug jeder Führungskraft – für einen werdenden Vorstand aber ist deren Anwendung überlebenswichtig.

«Die Menschen im Unternehmen kennenlernen. Die Kultur verstehen. Den überlegenen Nutzen der Produkte wahrnehmen, mit Kunden reden», so lautet Johanssons Rat. Nicht umsonst machten Neue im Spitzenamt erst einmal eine Weltreise, um Niederlassungen, Werke und Kunden in Augenschein zu nehmen – zwanzig Termine pro Woche können ein enormes Wissen produzieren.

Do's and Don'ts in der Geschäftsleitung
Quelle: Screenshot

Vorsicht vor der «Dankbarkeitsfalle»

In stiller Demut sollte der neu berufene Vorstand nicht verharren. «Management ist der Beruf des Realisierens», gibt der St. Galler Vordenker Fredmund Malik seinen Anhängern mit auf den Weg – es geht also um das Erzielen von Ergebnissen. Deshalb sollten sich Neulinge im Management-Olymp vor einem Risiko besonders schützen: der «Dankbarkeitsfalle», die die Coaches Assig und Echter ausgemacht haben. Der neu Berufene ist so beseelt von seinem Glück, endlich die Topposition errungen zu haben, freut sich über das dicke Plus beim Salär und den Hubraum seines Dienstautos – und ist dem Verwaltungsrat so dankbar, dass er darüber seine eigenen Ambitionen und seinen Auftrag vergisst. «Klingt abwegig, kommt aber häufiger vor, als man denkt», berichten die beiden Münchnerinnen.

Da hilft es, wenn der oder die Neue an den VR denkt – und das Warum der Berufung eines Externen. «Bei Kandidaten, die von aussen kommen, setzt der VR auf das Neue. Der Externe hat die Aussensicht, er ist noch nicht vom Tunnelblick befangen, den jeder Manager zwangsläufig hat, der mehr als ein Jahr dabei ist», sagt Ex-Flughafen-CEO Felder. Das kann dann auch die Agenda prägen – Brachialmassnahmen sind zwar in den seltensten Fällen angezeigt, aber ein Neuer vom Markt habe in den ersten drei Monaten Narrenfreiheit.

Die Firma repräsentieren

Diesen Kredit sollte man als Neuvorstand denn auch ausschöpfen, sagt Headhunter Johansson – sprich: die Zeit nicht vertun, sondern planvoll vorgehen. Eine Agenda, schriftlich formuliert, lohnt sich, damit die Arbeit auf Kurs bleibt. «Planen Sie für Tag eins, für Woche eins, legen Sie sich zurecht, was Sie im ersten Monat erreicht haben wollen und was bis Ende des ersten Halbjahres erledigt werden sollte.» Das verhindert, dass der Neuberufene absäuft in kleinen Aufgaben, die ihm «dringend, dringend!» zurufen, es aber in den seltensten Fällen wirklich sind.

Denn mit dem Wechsel in den Spitzenjob geht auch eine Reformatierung der Agenda einher. Ging es im mittleren Kader vornehmlich darum, eine vorgegebene Agenda zu befolgen, Prozesse einzuhalten und Benchmarks zu erfüllen, weitet sich das Aufgabenfeld im Wortsinne. «Aussenbeziehungen sind an der Firmenspitze ein wichtiger Teil des Jobs», erläutern Assig und Echter, «und wir wissen aus unserer langjährigen Praxis: Neulinge neigen dazu, diesen Punkt zu unterschätzen.»

Da gehe es um Stakeholder-Beziehungen, um das Management der Kontakte zur Politik, um die Medien und nicht zuletzt um die Pflege der A-Kunden. «Das alles lässt sich nicht per E-Mail erledigen. Hier wird persönlicher Einsatz auf Augenhöhe erwartet», ergeht der Rat der beiden Vorstands-Coaches. Mancher VR prüft das bei seinen Führungskräften auch nach, etwa indem die Reisekostenabrechnungen gecheckt werden. Die sind ein Indiz für die Aufseher, wer von den Topleuten oft genug draussen ist und wer Zeit am Schreibtisch und in internen Meetings verbringt.

Sparringpartner und Vertraute

Und wie bekommt der Neue an der Spitze all diese Ansagen unter einen Hut? Ein bewährtes Mittel ist Delegieren. «Keiner erwartet, dass der Vorstand alles selbst macht. Lange Anwesenheiten mögen von Zeit zu Zeit nötig sein und werden erwartet – aber wer das ständig macht und nie vor 22 Uhr rauskommt, gilt als nicht gut organisiert», sagt das Ratgeberinnen-Duo Assig und Echter.

Ein weiteres Mittel, das dabei hilft, in der Fülle von Prioritäten zu navigieren, benennt Multi-VR Felder. «Als Vorstand sind Sie einsam», sagt er an die Adresse der Frischberufenen, «hier sollten Sie rechtzeitig eine Gegenkraft aufbauen: Holen Sie sich externen Rat.» Jeder gute Vorstand habe draussen Sparringpartner und Vertraute, mit denen er die Themen aus seinem Alltag durchsprechen kann.

Mitarbeiter können diese Rolle nicht übernehmen. Auch die Beziehung des Vorstandes zum VR-Präsidenten ist nicht frei von Befangenheiten. Zwar ist es sinnvoll, einen vertrauensvollen Kontakt zu etablieren und sich in Fragen des Geschäfts Rat zu holen. «Aber wenn es um Ängste, Entscheidungsnöte oder interne Eifersüchteleien geht, ist der VR kein guter Ansprechpartner», argumentiert Josef Felder.