Der 15. Januar 2015 wird Lars Martin Klieve noch lange in Erinnerung bleiben. Der Leistungsausweis des Finanzvorstandes der Stadt Essen im Ruhrgebiet verschlechterte sich an jenem Tag auf einen Schlag massiv. Schuld daran ist die Schweizerische Nationalbank, die den Euro-Mindestkurs aufhob. Denn Essen hat 450 Millionen an Franken-Krediten in den Büchern stehen. Sie zurückzuzahlen ist seit dem SNB-Entscheid Dutzende Millionen Euro teurer geworden. Das ist umso bitterer, da die Stadt schon jetzt finanziell angeschlagen ist. Im Interview mit handelszeitung.ch erklärt Klieve, was das für Folgen hat.

Wo und wie haben Sie vom Ende des Mindestkurses erfahren?
Lars Martin Klieve: Ich hatte am vergangenen Donnerstag Urlaub. Darauf hat die Schweizerische Nationalbank allerdings keine Rücksicht genommen. Mich hat das über eine E-Mail aus meinem Büro erreicht.

Wie ging es Ihnen in diesem Moment?
Ich war wie vor den Kopf geschlagen, weil ich damit überhaupt nicht gerechnet hatte. Wie fast alle Welt war ich davon ausgegangen, dass die Nationalbank weiter am Mindestkurs festhält. Ich hatte überhaupt nicht auf dem Schirm, dass das in Gefahr sein könnte. Im Gegenteil. Es gab ja noch in der selben Woche Aussagen, in denen die 1.20-Kursgrenze als wichtigstes Instrument der Geldpolitik der Nationalbank bezeichnet wurde.

Wie lang hält die Stadt Essen schon die Kredite in Franken?
Die Kredite wurden 2002 aufgenommen und in der Eröffnungsbilanz zu einem Kurs von etwa 1.60 bilanziert. Ich habe hier 2009 angefangen. Aber ich will mich da gar nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn man lange genug im Amt ist, sind die Vorgänger-Entscheidungen auch die eigenen. Ich hatte ja auch alle Zeit der Welt, dass wir uns von den Krediten trennen. Statt dessen haben wir sie immer wieder verlängert, in der Erwartungen, dass wir nicht unter 1.20 fallen können.

Warum die Entscheidung für den Franken?
Zwischen Franken und D-Mark gab es eine jahrzehntelange Stabilität, wie es sie sonst nirgendwo gegeben hat. Und die Verzinsung lag in Franken deutlich tiefer. Gegenüber diesem Zinsvorteil wurde das Risiko von Kursschwanken als geringer betrachtet. Und man konnte sich nicht vorstellen, dass die Schwäche mal in der eigenen Währung begründet liegen würde. Der Euro sollte stark werden wie die Mark, aber das hat nur bis 2008 gehalten. Dann hat die Weltwirtschaftskrise und die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum den Euro sehr unter Druck gebracht.

Und war in den vergangen Jahren nicht absehbar, dass es den Mindestkurs nicht für immer geben wird, gerade unter dem Euro-Skeptiker Thomas Jordan an der Spitze der Nationalbank?
Hatten Sie daran gedacht?

Nicht so plötzlich. Aber dass der Mindestkurs nicht für ewig gilt, das schon.
Was gilt schon ewig? Aber ich dachte, dass es im Eigeninteresse der Schweiz liegt, dass die Nationalbank diesen Kurs hält, weil der Export sich nun dramatisch verteuert und die Schweiz als Tourismusland umgeben ist von Euro-Ländern. Ich dachte, die Schweizer wären da die sichersten Verbündeten. Dass die Nationalbank das aufkündigt, hatte ich nicht erwartet.

Hab Sie das Gefühlt, sich verspekuliert zu haben?
Ich finde, das ist ein hartes Wort in diesem Zusammenhang. Denn wir haben ja nicht auf den Franken gesetzt, um Spekulationsgewinne einzufahren, sondern gerade weil wir Stabilität wollten. Im Nachhinein muss man sagen: Der Pathologe an der Leichenbahre weiss alles, leider zu spät.

Sie haben im Finanzausschuss über die Kredite beraten. Was ist das Ergebnis, wie geht es weiter? Denn die Kredite stehen in diesem Jahr zur Verlängerung aus.
Eine im Februar fällige Tranche von 60 Millionen Franken soll zunächst kurzfristig verlängert werden. Im März wird dann im Rahmen einer weiteren Finanzausschusssitzung entschieden. Da sämtliche Franken-Kredite noch im laufenden Jahr fällig sind, stehen uns dann alle Handlungsmöglichkeiten von Verlängerung bis Ausstieg offen.

Fürchten Sie, dass der Kurs nach dem EZB-Entscheid am Donnerstag und der Griechenland-Wahl am Wochenende noch weiter sinken könnte?
Es gibt jetzt keine sichere Position mehr. Und mit dieser Unsicherheit werden wir leben müssen.

Was bedeutet das Ganze für Ihre Stadt?
Wir werden am 31. Dezember 2015 wie immer einen Jahresabschluss machen und die Kredite über 450 Millionen Schweizer Franken bewerten müssen. Und wenn der Kurs dann noch so steht wie heute, würde unser Jahresabschluss um 66 Millionen Euro belastet und unser Eigenkapital entsprechend schrumpfen.

Muss die Stadt dann an anderer Stelle sparen?
So stelle ich es mir nicht vor. Denn dann müssten wir ja bei jeder Wasserstandsmeldung Sparmassnahmen auflegen oder sie zur Disposition stellen. Und ich habe nicht das Interesse, nach der Volatilität des Euro oder des Franken Haushaltpolitik zu machen.

Hat das Ganze persönliche Konsequenzen für Sie?
Die Fragen werden bestimmt kommen. Aber wenn Sie meinen, ob es einen Rücktritt geben wird: Das sieht das Recht für kommunale Wahlbeamten gar nicht vor. Ich kann nicht, wie zum Beispiel ein Minister, zurücktreten. Man kann mich wohl abwählen, aber dafür sehe ich bisher keine Anhaltspunkte.

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