Im Dezember prognostizierten Sie in einer Analyse, die SNB würde ihre Wechselkursgrenze zum Euro aufgeben. Damit hatte kaum jemand gerechnet. Wie viel Glück war dabei, wie viel Können?
Brian Whitmer*: Man sollte hin und wieder mit seinen Prognosen richtig liegen. Aber ernsthaft: Ich schreibe über den Franken-Mindestkurs, seitdem die SNB ihn eingeführt hat. Ich denke, man kann die Märkte nicht ewig manipulieren. Und mein Standpunkt war schon immer, dass die Märkte mächtiger sein können als die Zentralbanken. Im Dezember sah man die Angst der Investoren bereits, als der Euro sich immer mehr der Wechselkursuntergrenze näherte.

Wie bewerten Sie den SNB-Schritt?
Es ist langfristig ein positives Signal, wenn man den Märkten die Möglichkeit gibt, sich anzupassen. Kurzfristig aber sind die Schmerzen für die Schweizer Wirtschaft und ihre Exporteure gross.

SNB-Präsident Thomas Jordan sagte, die Märkte würden möglicherweise überschiessen und der Euro gegenüber dem Franken wieder an Wert verlieren.
Kurzfristig ist das bestimmt möglich. Langfristig glaube ich aber, dass der Euro weiter sinken wird. Denn die Euro-Zone ist in einer sehr schwachen Verfassung und es wird schlechter werden. Da sind wir sehr pessimistisch. Ich denke, in fünf bis zehn Jahren dürfte die Euro-Zone ganz anders aussehen, einige Länder wie Griechenland dürften den Währungsraum verlassen haben.

Welche Optionen hat die SNB nun?
Sie könnte wieder starten, Euro zu kaufen. Ich denke aber, das wäre unklug. Der Euro macht schon heute die Hälfte der SNB-Bilanz aus. Das richtige Mittel wäre, die Märkte ein Gleichgewicht finden zu lassen.

Die Europäische Zentralbank stemmt sich nun mit einem grossen Anleihekaufprogramm (QE) gegen die Deflation und will die Wirtschaft ankurbeln. Wie wirksam wird das sein?
Es ist ein Akt der Verzweiflung. Ich denke nicht, dass dieses Programm erfolgreicher sein wird als andere, die wir schon gesehen haben. Nehmen Sie Japan, wo QE ebenfalls kaum gewirkt hat. Noch sehen wir viel Optimismus. Aber die Psychologie hat sich angesichts der hohen Schulden verändert. Dieser Trend startet gerade erst, die wirkliche Panik kommt noch. Ich denke, wir werden eine massive Flucht aus riskanten Papieren hinein in sichere Anlagen sehen. Und wenn die Aktienmärkte nach unten gehen, werden wir solche QE-Programme einmal dafür verantwortlich machen, dass sie uns in die Deflation getrieben haben.

Als Konsumenten profitieren wir von fallenden Preisen. Was ist das Problem an Deflation?
Das Problem sind die hohen Schulden, die mit sinkenden Preisen zunehmen. Deflation macht die Schuldenlast beschwerlich – vor allem in Europa, wo die Verbindlichkeiten so hoch sind. Aber auch in den USA.

Heute scheint man aus der Deflationserfahrung der 1930er-Jahre gelernt zu haben und reagiert darauf.
Ich denke, «reagieren» ist das richtige Wort. Zentralbanken treiben nicht die Trends an den Märkten, sondern sie reagieren nur darauf.

Wenn man ihnen zuhört, bekommt man ein wenig Angst. Müssen wir uns Sorgen machen?
Je nachdem, wo sie stehen. Wenn sie erwarten, dass die Aktienmärkte nach oben gehen – dann vielleicht. Ich denke, eine grosse Korrektur wird kommen. Die Märkte sind heute mit Schulden aufgepumpt. Und die Zentralbanken haben keine Munition mehr – nichts kann die Wirtschaft mehr beleben.

In den USA herrscht beinahe wieder Vollbeschäftigung. Woher kommt Ihr grosser Pessimismus?
Die ökonomischen Daten sind gut, das stimmt. Man kann sich günstig verschulden und die Börsen sind auf einem Hochpunkt. Warum also so pessimistisch? Diese Frage hätte man auch 2007 stellen können. Alles sah gut aus. Aber wir gehen in unserer Analyse davon aus, dass die Märkte den ersten Schritt machen und die ökonomischen Daten darauf reagieren. So war es 2000 und 2007. Es gibt Muster von Optimismus und Pessimismus, die wiederkehren.

Die Märkte reagieren also nicht auf Fundamentaldaten?
Genau das würde ich sagen. Im März 2007 sahen die Fundamentaldaten fantastisch aus – die Firmengewinne etwa oder die Hauspreise. Die Märkte schienen durch die Decke zu gehen, doch dann folgte der Absturz. Andersherum im März 2009: Da sahen die Fundamentaldaten schlecht aus, die Märkte hatten den Rückgang aber bereits hinter sich.

Können Sie noch ein Beispiel geben?
Nehmen sie Rohstoffe, Öl zum Beispiel. 2008 schien mit einem Ölpreis von 160 Dollar pro Fass klar, dass der Welt das Öl ausgeht. Heute liegt der Ölpreis gerade einmal noch bei 50 Dollar. Ähnlich sieht es mit Gold aus, das 2011 einen Höhepunkt erlebte und seitdem stark verloren hat. Ich denke, hier sehen wir wieder einen deutlichen Anstieg.

Wo sollten Anleger ihrer Ansicht noch investieren?
Sicherheit ist für uns enorm wichtig. Trifft unsere Prognose ein, sind sichere Währungen wie der Franken eine gute Wahl. Das gilt auch für den Dollar, trotz der hohen Schulden.

* Brian Whitmer ist Analyst beim amerikanischen Prognosehaus Elliott Wave. Im Dezember schrieb er in einer Analyse (Dokument verlinkt, siehe Seite 5/6), dass die SNB ihre Bindung an den Euro aufgeben werde, um die ihre «verbliebenen wertvollen Vermögenswerte zu schützen». Der Name des Instituts leitet sich von den sogenannten Elliott-Wellen ab – ein Analyseinstrument, das Ende der 1920er Jahre entwickelt wurde. Damit versuchte der Erfinder Ralph Elliott mithilfe von psychologischen Faktoren das Verhalten von Finanzmärkten zu verstehen.

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