Die Rekrutierer greifen tief in die Trickkiste, um sich die Dienste vielversprechender Uni-Absolventen zu sichern. «Damit Sie nicht nur Ab, sondern auch solvent sind», wirbt der Treuhandkonzern PricewaterhouseCoopers in eigener Sache. «Theoretisch sind Sie jetzt fit, um bei Diax praktisch Karriere zu machen», lockt der IT-Konzern. Konkurrent Swisscom versucht es auf englisch: «Get in touch with your future», ebenso Nestlé mit der Anspielung: «More than just the world’s largest food company …»

Fünfzig Firmen und Organisationen, mehr als je zuvor, sandten Ende Mai an der Universität Bern ihre Lockrufe aus. An der jährlichen Firmenmesse, «Kontaktgespräche» genannt, werden weder Schokoriegel noch Handymodelle vermarktet. Vielmehr rücken sich Personalmanager vor gestylten, mit Hochglanzbroschüren beladenen Ständen ins rechte Licht. In der Rekrutierung von Nachwuchstalenten sind Inserate ein Mittel von gestern; um Kontakte zum begehrten Elitenachwuchs zu knüpfen, braucht es mittlerweile ausgewachsene Marketingkampagnen.

Heute bewerben sich die Unternehmen bei den Kandidaten, nicht umgekehrt. Denn Hochschulabgänger, zumal solche mit guten Noten, sind zu einer raren Spezies geworden. «Der Wettbewerb um die besten Talente ist hart, und er wird noch härter werden», sagt Swissair-Personalchef Matthias Mölleney, «die meisten der neu eingestellten Uni-Absolventen hatten noch mindestens eine weitere Jobofferte in der Tasche, bevor sie sich für uns entschieden haben.» Mölleney, vor einem Jahr von der Lufthansa zur Schweizer Airline gestossen, hat gut lachen. In einer Umfrage bei Schweizer Uni-Abgängern ging die Swissair-Dachgesellschaft SAirGroup dieses Jahr als beliebtester Arbeitgeber der Schweiz hervor. Jeder fünfte Befragte möchte nach dem Studium bei der SAirGroup einsteigen; der nationale Luftfahrtkonzern steht damit nach 1998 erneut an der Spitze. Auf dem Arbeitsmarkt hat das Unternehmen den Absturz einer Maschine vor der Küste Kanadas offenbar schadlos überstanden.

Mit der Umfrage hält das schwedische Institut «Universum» den Arbeitgebern jedes Jahr den Spiegel vor. Im «European Graduate Survey» küren über 5000 Hochschulabgänger aus 13 europäischen Ländern ihre beliebtesten Arbeitgeber; aus der Schweiz gaben 1585 Uni-Absolventen ihrem Wunscharbeitgeber die Stimme. Zum viertenmal in Serie führen die Unternehmensberatungsfirmen McKinsey, Andersen Consulting und Boston Consulting Group die europäische Rangliste an. Völlig anders liegen die Verhältnisse in der Schweiz. Im Gegensatz zu ihren ausländischen Kommilitonen, die die Beratungsfirmen als Sprungbrett nutzen, streben Schweizer Studenten direkt nach dem Examen in die internationalen Konzerne. Zusammen mit der SAirGroup bilden ABB und Nestlé denn auch das Spitzentrio.

Nestlé ist als einziger Schweizer Arbeitgeber auch bei den europäischen Studenten heiss begehrt. Der Nahrungsmittelkonzern pflegt die Nationalitätenvielfalt bewusst: «Vor allem die weltweite Präsenz und die multikulturelle Zusammensetzung unseres Personals - allein am Hauptsitz in Vevey sind 60 Nationalitäten vertreten - machen Nestlé für unternehmungslustige junge Leute zu einem attraktiven Arbeitgeber», ist Paul Broeckx, Chef Human Resources im Nestlé-Konzern, überzeugt. Interesse und Achtung für andere Kulturen hält er für besonders wichtig.

Grosse Umwälzungen gibt es in der Schweizer Hitliste im Vergleich zum Vorjahr keine, einige interessante Verschiebungen jedoch allemal: Swisscom, nach dem Börsengang im Aufwind, rückt von Rang acht auf Rang vier vor. Die Grossbanken UBS und Credit Suisse Group haben einige Ränge gutgemacht, ebenso der Pharmakonzern Roche, während der Reisekonzern Kuoni an Terrain verloren hat. Highflyer dieses Jahres ist die Treuhandgesellschaft PricewaterhouseCoopers, die es nach der Fusion rasch geschafft hat, sich auf dem Stellenmarkt als agiler Arbeitgeber zu profilieren. Figurierten die Vorgängerfirmen Coopers & Lybrand und Revisuisse Price Waterhouse vergangenes Jahr noch an 37. beziehungsweise 47. Stelle, liegt PricewaterhouseCoopers nun auf Platz 10. Acht Prozent der Befragten möchten dort arbeiten.

Die Manager in spe haben klare Vorstellungen von ihrem ersten Arbeitgeber: «Schweizer Studenten assoziieren ihren idealen Arbeitgeber mit Erfolg am Markt, interessanten Produkten und innovativen Lösungen», sagt Johan Winemar, Schweiz-Verantwortlicher von «Universum». «Von Unternehmen wie SAirGroup, ABB und Nestlé erhoffen sich die Studenten gute Referenzen, internationale Karrieremöglichkeiten und Weiterbildung.» Besonders der Wunsch nach Weiterbildung im Betrieb hat in den letzten Jahren laut Studie deutlich zugenommen. Die Unternehmen reagieren nach Kräften: Nestlé beispielsweise bietet in seinem internationalen Schulungszentrum in der Nähe von Vevey Jahr für Jahr rund 80 Kurse und Seminare für 1700 Kaderleute aus der ganzen Welt an.

Ob die Bildungsoffensive gegen das Job-hopping wirkt, ist zweifelhaft. Tatsache ist: Die Treue zum Arbeitgeber nimmt rapide ab. Die Einsicht, «wer nicht wagt, der nicht gewinnt», setzte sich mit dem Generationenwechsel durch. Die Schweizer Studenten, die heute und in den nächsten Jahren in die Arbeitswelt strömen, haben gänzlich andere Joberwartungen als die Baby-Boomer-Generation. Niemand will langjährige Verpflichtungen in Unternehmen mit aufwendigen Hierarchien eingehen; Mobilität kommt um Längen vor Loyalität. 40 Prozent der Schweizer Studenten nehmen sich vor, lediglich zwischen zwei und drei Jahren beim ersten Arbeitgeber zu bleiben, 40 Prozent haben noch keine Vorstellung von der Dauer ihres ersten Jobengagements. Laut einer McKinsey-Studie arbeitet ein durchschnittlicher Arbeitnehmer bis zur Pensionierung in fünf verschiedenen Firmen, in zehn Jahren sollen es sogar sieben sein. Die Unternehmer müssen sich mithin ständig fragen, ob ihre Investitionen in Mitarbeiter diese auch zufriedenstellen. «Universum»-Managerin Marie Persson empfiehlt schlicht: «Angestellte sollten erhalten, was sie wollen, und nicht das, was andere glauben, es sei gut für sie.»

Die Personalmanager müssen ihre Not in eine Tugend verwandeln und starre Jobprofile durch individuelle Angebote ersetzen. Balance zwischen Karriere und Privatleben lautet das vordringliche Ziel der Studenten, wobei das Streben nach Ausgewogenheit zwischen Beruf und Familie nicht etwa Teilzeitarbeit und früher Feierabend bedeutet. Der Durchschnitt der Befragten rechnet für die erste Stelle mit einer Arbeitszeit von 44,5 Stunden pro Woche - Ingenieure und Westschweizer Studenten erwarten indes tiefere Arbeitszeiten als Ökonomen und Deutschschweizer.

Den Ausgleich zwischen Beruf und Familie bewerkstelligen sollen vielmehr eine offene Arbeitsatmosphäre, flexible Arbeitszeiten und eine motivierende Arbeit; was für die Uni-Abgänger von heute zählt, ist also schlicht der Spass am Job. Der smarte Aufsteiger betrachtet den Job als eine Art Hobby und umgekehrt. Dass hohe Löhne und traditionelle Anreize wie ein Firmenauto nicht mehr allein als Argumente für die Wahl eines Arbeitgebers taugen, hat auch Swissair-Personalchef Mölleney festgestellt: «Wir können in unserer Branche keine Topsaläre zahlen, aber das Gesamtpaket inklusive der beruflichen Perspektiven gibt dann meist den Ausschlag.»

Dies beweist auch die Beliebtheit des IKRK, eines Arbeitgebers, wo moralische Werte weit mehr zählen als finanzielle. Hochschulabgänger erhoffen sich, mit einem Einsatz als IKRK-Delegierter, von denen das Hilfswerk jährlich rund hundert einstellt, ihrem Leben zumindest vorübergehend einen tieferen Sinn zu geben. Das IKRK macht darüber hinaus noch einen anderen Studententraum wahr: Es bietet Schweizer Identität und globale Ausrichtung zugleich. Während die europäischen Hochschulabgänger amerikanische Arbeitgeber bevorzugen - deutsche Konzerne etwa landen alle auf hinteren Plätzen -, favorisieren die Schweizer auffällig häufig hiesige Arbeitgeber.

Die Efforts zur Personalrekrutierung mit Präsentationen an Hochschulen und dem Ausbau des Internet-Auftritts haben sich für das IKRK ausgezahlt. Mehr und mehr merken Personalmanager, dass sie gar keine andere Wahl haben, als ungewöhnliche Wege auf der Suche nach klugen Köpfen zu beschreiten. Da werden Campuspartys an Eliteuniversitäten organisiert, grosszügige Trainee-Programme angeboten und schon bei der Einstellung Auslandaufenthalte versprochen. Erfolgreiche Unternehmen kontaktieren ihre potentiellen Arbeitskräfte lange vor ihrem Examen und versorgen diese so subtil wie generös mit Geschäftsberichten und Neuheiten aus der eigenen Firma. Attraktive Arbeitgeber rekrutieren zudem ständig und nicht erst, wenn eine Stelle frei wird.

Auch das Sponsoring von Lehrstühlen, im angelsächsischen Raum zur Image- und Kontaktpflege weit verbreitet, hält allmählich in der Schweiz Einzug. Der Grossverteiler Migros will an der Universität St. Gallen einen Lehrstuhl für Internationales Handelsmanagement stiften. Die neue Professur, benannt nach Firmengründer Gottlieb Duttweiler, soll bis April 2000 besetzt werden. Vorreiter in St. Gallen waren die deutschen Konzerne Bertelsmann und Nixdorf, die das Institut für Medien und Kommunikation mitfinanzieren.

Andernorts erklärt man talentfahndung gleich zur Chefsache, ganz nach dem Vorbild von Jack Welch, dem Chef des US-amerikanischen Konzerns General Electric, der die Kandidaten für die 500 Topjobs im Unternehmen persönlich interviewt. «Im verschärften Wettbewerb setzen wir primär auf persönliche Kontakte», sagt René A. Lichtsteiner, Personalchef von ABB Schweiz. Nicht nur er, auch Konzernchef Göran Lindahl persönlich soll Kontakte zum hochbegabten Nachwuchs pflegen; ebenso werden neu eingetretene Mitarbeiter ermuntert, ehemalige Kommilitonen nachzuziehen. Dennoch: ABB meldet einen Mangel an guten Ingenieuren und Informatikern. Zum Erreichen des erklärten Ziels, jährlich 500 der besten Hochschulabgänger weltweit zu rekrutieren, muss sich auch die Globalbank UBS einiges einfallen lassen. Im Wissen, dass der grosse Teil der Karrieristen ins Ausland strebt, setzt sie beispielsweise auf ein International Mobility Program, mit dem die Grossbank den sogenannten High Potentials schon früh die Chance zum Auslandeinsatz bietet.

Gründe für den Mangel an diesen High Potentials gibt es zuhauf. Nachdem die Baby-Boomer in die Jahre gekommen sind und die geburtenschwachen Jahrgänge ins Berufsleben vorstossen, ist für die nächsten Jahre mit einem Rückgang der Absolventenzahlen von gegen 20 Prozent zu rechnen. Neue Branchen wie Telekommunikation, Elektronik oder Software-Entwicklung machen den etablierten Konzernen die gut ausgebildeten Kräfte streitig. Kleine und mittlere Unternehmen sowie die Selbständigkeit sind zudem für viele Hochschulabgänger, die sich nicht auf den Stufen der Hierarchien in kräftezehrenden Machtspielen aufhalten wollen, zu einer attraktiven Alternative geworden. Dies in einer Zeit, in der sich der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt wegen der Währungsunion und der Globalisierung der Absatzmärkte ohnehin rapid verschärft.

Die Unternehmensberatungsfirma McKinsey warnt in ihrer Studie «War for Talent» vor einem «ernsthaften Mangel an potentiellen Managern». Schuld sind auch die Personalmanager selbst: «Talentförderung gehörte in den letzten zwanzig Jahren zu den am meisten vernachlässigten Pflichten in den Unternehmen.» Laut McKinsey wird nicht nur die Zahl der Uni-Absolventen zurückgehen, auch die Zahl der Manager, die in den vergangenen 15 Jahren ziemlich parallel mit dem Wirtschaftswachstum gestiegen ist, soll in den nächsten 15 Jahren sinken. «Auf höheren Stufen ist die Fähigkeit, schnelle Entscheide in Situationen höchster Unsicherheit zu fällen und die Unternehmen sicher durch den Wandel zu führen, kritisch geworden», warnen die Berater und rufen die Unternehmer dazu auf, der Rekrutierung und Entwicklung der High Potentials mehr Beachtung zu schenken. Denn nur wer heute die klugen Köpfe gewinnt, hat morgen im Wettbewerb die Nase vorn.

Ein Schweizer Vorzeigeunternehmen ist auf fast wundersame Weise resistent gegen Rekrutierungsprobleme: Nestlé. Der Nahrungsmittelmulti präsentiert sich zwar regelmässig an den Firmenmessen, doch eigentlich hätte er das gar nicht nötig. Jährlich treffen in Vevey gegen 7000 Gesuche um Anstellung ein, ohne dass jemand danach gefragt hätte. «Unser grösstes Problem», sagt Personalchef Paul Broeckx, «besteht darin, dass wir wegen unserer Beliebtheit von Kandidaten fast überrannt werden.»

Partner-Inhalte