Selma Kuyas über Corporate Influencer: «Wir sprechen heute vom Social-CEO»

Selma Kuyas wurde zweimal als «Linkedin Top Voice» ausgezeichnet. Auf der Plattform unterstützt sie Bewerbende bei der Stellensuche und mit ihrem Unternehmen hilft sie Firmen, ihren Auftritt auf Linkedin zu verbessern und Corporate-Influencer-Kampagnen aufzubauen. Sie ist eine Kennerin des Netzwerkens im Internetzeitalter. Im Interview mit der «Handelszeitung» spricht sie über das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Arbeitgeberin, über die Stimme der Angestellten im Netz und die Abgrenzung zu plumper PR. Frau Kuyas, nach Employer Branding und Instagram Influencer kommen jetzt die Corporate Influencer? Den Begriff der «Corporate Influencer» darf man nicht missverstehen, denn das Wort «Influencer» ist mittlerweile negativ behaftet. Wir kennen Influencer beispielsweise von Instagram: Eine Person, die ein Produkt vermarktet, am besten noch mit einem Rabattcode, und dafür Geld erhält. Das steht im krassen Gegensatz zu Corporate Influencern, die keine monetäre Vergütung erhalten. Was also ist ein Corporate Influencer? Ein Corporate Influencer erzählt auf den sozialen Medien von seinem Unternehmen und gibt Einblicke in den Arbeitsalltag. Aber er macht das aus einer persönlichen und intrinsischen Motivation heraus. Also zuvorderst der CEO, der sein Unternehmen im besten Licht zeigen will? Jede Person eines Unternehmens kann Corporate Influencer sein: die Geschäftsführerin, die Recruiterin, der Mitarbeiter im Vertrieb oder auch ein Praktikant. Die hierarchische Stufe spielt keine Rolle. Und wenn ein Corporate Influencer den Arbeitgeber wechselt, dann ist seine Glaubwürdigkeit weg? Nein, beim Corporate Influencing dreht es sich um die Person und nicht um das Unternehmen. Unternehmenskommunikation oder Werbekampagnen beziehen sich immer auf eine Marke. Ein Corporate Influencer gibt einer Marke – einem Unternehmen – zwar ein Gesicht, aber er verkauft sein Gesicht nicht an die Marke, sondern umgekehrt: Er baut die Marke unter sich auf, hat sich aber als Experte in einem spezifischen Bereich einen Namen gemacht. Warum sollte ich auf Linkedin von meinem tollen Arbeitgeber schwärmen? Wir befinden uns in einem Arbeitnehmermarkt: Fachkräftemangel, Great Resignation. Es gibt Studien, die zeigen, dass 70 Prozent der Angestellten sich nicht mehr verbunden fühlen mit ihrem Arbeitgeber. Gleichzeitig soll aber ihr berufliches Wirken einen Impact hinterlassen. Ein Corporate Influencer identifiziert sich genau damit, er oder sie möchte mit seiner Arbeit einen Einfluss haben, etwas bewegen und das Umfeld daran teilhaben lassen. Ein Beispiel? Telekom in Deutschland. Sie hat den Hashtag #Werkstolz gestartet. Dieser Hashtag wurde zu einem Community-Element: Die Mitarbeitenden von Telekom nutzen den Hashtag, um zu zeigen, dass sie stolz darauf sind, bei der Telekom angestellt zu sein. Sie möchten mit diesem Hashtag interne Kolleginnen motivieren und neue Kollegen gewinnen. Corporate Influencer machen also das Unternehmen transparent? Nicht transparent, sie machen das Unternehmen nahbar. Es ist ein Blick hinter die Kulissen, und das ist etwas, das professionelle Marketingkampagnen und Werbetexter nur bedingt mit Werbung schaffen. Fühlen sich PR-Abteilungen bedroht, weil Corporate Influencer die Kommunikation vorwegnehmen? Von Bedrohung zu sprechen, wäre falsch. Denn schliesslich verfolgen sowohl die PR-Abteilung als auch die Corporate Influencer das gleiche Ziel: das Unternehmensimage positiv zu fördern. Die Art und Weise, wie dieses Ziel erreicht wird, unterscheidet sich aber. Corporate Influencer geniessen in ihrer Kommunikation mehr Freiheiten – sogar Vertipper in einem Post werden verziehen. Das heisst: weniger PR, mehr Corporate Influencer. Wie kommt ein Unternehmen zum Liebessturm im Netz? Es gilt, die richtigen Leute zu finden: Sie müssen sich gut aufgehoben fühlen, sich von der Sache begeistert zeigen und auch ein Stück weit extrovertiert sein. Es ist Aufgabe des Unternehmens, Mitarbeitende für ein Corporate-Influencer-Programm zu begeistern. Wichtig ist aber, dass die Teilnahme auf Freiwilligkeit basiert.Linkedin: Mit diesen sieben Tricks erreichen sie mehr Präsenz Das Karrierenetzwerk Linkedin ist aus der Berufswelt nicht mehr wegzudenken. Stetig wachsende Nutzerinnen- und Nutzerzahlen – und fast niemand mehr, der sich einer Präsenz auf dem Portal verweigern kann. Entsprechend stark ist inzwischen der Wettbewerb auf der Seite. Die Anforderungen an das Profil steigen genauso wie die Ansprüche in der Netzwerkarbeit. Einfach Kontaktanfragen zu versenden, reicht längst nicht mehr. Lesen Sie mehr hier. Wer würde ein solches Corporate-Influencer-Programm betreuen: die Marketingabteilung, das HR? Organisatorisch gehören Corporate-Influencer-Programme in die Bereiche Marketing und Kommunikation oder Personalentwicklung. Solche Programme setzen aber eine Strategie, ein Konzept und Trainings voraus. Den Wissenstransfer, wie man ein Corporate-Influencer-Programm im Unternehmen etabliert, holt man sich am besten von externen Beraterinnen. Merkt man denn von aussen, ob ein Beitrag intrinsisch motiviert ist oder von der Marketingabteilung vorgegeben wurde? Absolut! Mein Mentor Klaus Eck redet in seinem Buch «Die neue Macht der Corporate Influencer» in diesem Zusammenhang von «Klonenkriegern». Vom Unternehmen her heisst es: Hier schaut, das ist der Unternehmensbeitrag, den ihr teilen und kommentieren sollt. Aber es steckt weder Emotion noch Authentizität dahinter. Wie sollen das Unternehmen angehen, die bereits einen angeknacksten Ruf haben? Es tut zu 100 Prozent jedem Unternehmen gut, Corporate Influencer zu haben. Jede Schreinerei, jeder Coiffeursalon und jedes Corporate. Heute finden viele CEO Gefallen daran, politische Statements abzugeben. Tun sie das nicht – wie bei Disney –, folgt ein Shitstorm. Kein Statement ist auch ein Statement. Dessen sind sich noch viel zu wenige CEO bewusst. Wir sprechen im Rahmen von Corporate Influencern heute vom Social-CEO: Die Geschäftsleitung, die in den sozialen Medien mit einem persönlichen Profil Stellung bezieht. Führungspersonen, die sich diesem Trend verweigern, schaden der Mitarbeiterverbundenheit und erschweren ihre digitale Sichtbarkeit. Also bei Kritik auf Social Media besser eine souveräne Antwort liefern? Genau. Und als Gewinner davonlaufen. Im Hinterkopf sollte man auch daran denken: Posts können immer gelöscht werden. Logisch, der Imageschaden ist schnell gemacht, aber es wird auch überbewertet, wie langlebig Social-Media-Posts sind. Der Schuss kann aber trotzdem nach hinten losgehen? Ja und nein, ein kritischer Post öffnet ganz neue Türen. Schaltet sich ein CEO bei einem kritischen Post mit ein, dann wird die Kommunikation beobachtet: Rechtfertigt sich der CEO? Oder ist es ein Merci für das Feedback, wir wollen davon lernen? Ich habe schon oft erlebt, dass so ein Shitstorm abgewendet werden konnte und das Image positiv profitiert hat. Tiktok-Video offenbarte: Google-Praktikant verdient in Zürich 9000 Franken pro Monat Ein Google-Praktikant liess aufhorchen mit einem Video mit Details zu seiner Arbeit und seinem Salär in Zürich. Der Tiktok-Nutzer «vungo96» berichtet über das Frühstück, den Snack, das Mittagessen mit grosser Salatbar und das Abendessen, das Mitarbeitenden bei Google gratis zur Verfügung stehe. Die Idee hinter seinem Kanal war, seine Erfahrungen mit anderen zu teilen, die auch so einen Job wollten. Indirekt publizierte er in einem weiteren Video auch seinen Praktikantenlohn, der im Internet für Furore sorgte. Den Artikel lesen Sie hier. Ein CEO ist sich Kritik gewohnt, eine Angestellte aber nicht. Kritik lässt sich nicht vermeiden, aber ein Unternehmen kann Corporate Influencer ausbilden, begleiten und coachen. Einer der Hauptgründe, weshalb viele Mitarbeitende sich zum Beispiel auf Linkedin nicht über ihre Arbeitgeberin äussern, ist die FOPO. FOPO? Die Fear of Public Opinion. Die Leute haben Angst vor der Bewertung von aussen. Werden sie aber vom Unternehmen befähigt und gestärkt, lernen sie damit umzugehen. Und wenn halt trotzdem Kritik kommt, dann ist da ein Kernteam, das aufzeigt, wie mit der Kritik umgegangen werden kann, und das mitfeiert, wenn ein Beitrag viral geht. Sie sagen, Corporate Influencer sind in der heutigen Arbeitswelt unverzichtbar? Aus meiner Sicht, ja. Was eine 5-Sterne-Google-Bewertung für Produkte ist, ist ein Corporate Influencer für Unternehmen. Sie agieren als verlängerter Arm des Vertriebs, sind die beste Stellenanzeige und stärken das digitale Image der Arbeitgebermarke. Ich garantiere, dass sich Unternehmen mit motivierten Corporate Influencer über viele Bewerbungen freuen dürfen.