Wenn eine sehr gesättigte und renommierte Branche sich mit den Herausforderungen der Digitalisierung beschäftigt, ist das entweder von Kleinreden oder von Panik geprägt. Zunehmend sieht man diese Verhaltensweisen auch in der Rechtsbranche: Die eine Seite ignoriert die neuen Möglichkeiten gekonnt und hält die eigenen Pfründe für sicher, die andere Seite bekämpft Legaltech-Anwendungen und -Anbieter mit Panik und ohne Optimismus.

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Die grosse Ausnahme in dieser Diskussion ist der Sammelband «New Suits – Appetite for Disruption in the Legal World», herausgegeben vom Stämpfli Verlag. Fünfzig Autoren analysieren darin die Chancen und Möglichkeiten von Legaltech, ausnahmsweise ohne Panik und Kleinrednerei. Sie beleuchten das, was kommt, mit nüchternem Interesse und zeigen sich hin und wieder begeistert von den Chancen.

Viel anderes bleibt den Rechtsberatern wohl auch nicht übrig. Eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) in Zusammenarbeit mit der Bucerius Law School in Hamburg zeigt, was passiert, wenn sich Legaltech-Anwendungen ausbreiten: Die Studienautoren behaupten, dass Computerprogramme künftig 30 bis 50 Prozent der Aufgaben von Junioranwälten übernehmen könnten. Darunter fallen das automatisierte Auswerten von Vertragswerken, Backoffice-Arbeiten oder das Management von Rechtsfällen.

Grosse und kleine Anwaltskanzleien könnten es sich nicht länger leisten, Legal Technology zu ignorieren, wenn sie weiter wettbewerbsfähig bleiben wollen, sagt Christian Veith, Senior Partner bei BCG und Mitautor der Studie. Kanzleien sind gezwungen, ihre bisherigen Geschäftsmodelle zu überdenken.

Aufbau von IT-Kompetenz

Nun lässt sich einwenden, dass Anwaltskanzleien vielleicht bei standardisierten Verfahren, etwa bei der Forderung nach einer Entschädigung von der Fluggesellschaft, durch junge Dienstleister unter Druck kommen könnten, aber doch niemals bei grossen, komplizierten Rechtsstreitigkeiten wie etwa im Wirtschaftsbereich. Ein Irrtum, wenn man bedenkt, dass sich auch bei grossen Wirtschaftsfällen viele Backoffice-Arbeiten besser durch Software als durch teure Anwaltsgehilfen erledigen lassen. Eine grosse Rolle spielen hier zudem die Themen Datensicherheit und Cloud. So fordern Kunden absolute Sicherheit für ihre Daten und gleichzeitig eine schnelle Verfügbarkeit beziehungsweise Analyse derselben. Standardisierte Cloud-Software ist für seriöse Kanzleien aufgrund von Sicherheitsmängeln ausgeschlossen. Es müssen eigene Lösungen zur Datenlagerung und -analyse entwickelt werden.

Das erfordert grosse Investitionen und den Aufbau von IT-Kompetenz in der Kanzlei. Auslagerungen könnten hier ein Wettbewerbsnachteil sein. Auch das Phänomen der intelligenten Verträge könnte für Veränderungsdruck sorgen: Hier verhandelt eine Software einen Vertrag zwischen zwei Parteien, die vorher grundlegende Bedingungen festgelegt haben. Standardverträge könnten auf diese Weise viel schneller geschlossen werden. Digitale Anwendungen würden die Mandatsarbeit effizienter gestalten, die Zusammenarbeit der Anwälte untereinander sowie mit den Mandanten verändern, schreibt der Rechtsanwalt Rüdiger Theiselmann in einem Linkedin-Meinungsbeitrag. Die bisher verbreitete E-Mail-Kommunikation wird durch vertrauliche Bereitstellung von Mandatsunterlagen und Austausch der Arbeitsergebnisse in hochverschlüsselten Datenräumen abgelöst.

Legal Hackers

Im Buch wird Legaltech aus allen erdenklichen Perspektiven beleuchtet. Die Herausgeber nehmen das Thema so breit auf, dass auch umfassende Kapitel zu Proptech (Digitale Tools in der Immobilienbranche) und Suptech (Digitale Methoden von Aufsichtsbehörden) Platz finden. Besonders herausragend die Beiträge «Legal Marketplaces and Platforms» von Christoph Küng, der die Entwicklung zu Booking-Plattformen von Anwälten schildert, und «Virtual Lawyering – Lawyers in the cloud» von Eva Maria Baumgartner.

Baumgartner zeigt, welche Chancen und Gefahren sich aus der zunehmenden Verlagerung von sensiblen Daten in die Cloud ergeben. Christian Öhner und Silke Graf machen in ihrem Beitrag neugierig auf sogenannte Laywer Bots, also Roboter-Rechtsberater, und Jameson Dempsey widmet sich in seinem Beitrag sogenannten Legal Hackers. Dass das Buch kein gewöhnliches ist, zeigt sich auch daran, dass eine eigene Spotify-Playlist für den Sammelband erstellt wurde. Darunter «Welcome to the Jungle» von Guns n’ Roses. Das Cover gestalteten der Billy-Idol-Gitarrist Billy Morrison und Tom Jerman, Grafikdesigner der Rockband Kiss.

All diese Marketingaktivitäten sollen wohl die Stimmung repräsentieren, die das Buch vermitteln will. Legaltech und die damit einhergehenden Chancen sollen von Anwältinnen und Anwälten positiver wahrgenommen und proaktiver genutzt werden. Denn klar ist: Kleinere Kanzleien könnten sich durch neue Kommunikations- und Datentransfersysteme schneller vernetzen und den Grosskanzleien, die bisher viele wichtige Aufträge aufsaugen, Konkurrenz machen. Arbeitsaufwand und Kosten lassen sich durch datenbasierteres Arbeiten genauer mitverfolgen. Es wird nicht mehr jede Fantasierechnung einer Kanzlei ohne Einspruch bezahlt werden.

Tatsächlich dürfte das eine der entscheidenden Fragen in der Diskussion um Legal-Tech werden: Kommen die Honorare der Anwälte unter Druck oder lassen sich die Honorare auch weiterhin rechtfertigen, weil eine neue Art von Expertise, etwa in Datenlagerung und sicherer Kommunikation sowie im Umgang mit Rechtssoftware, entwickelt worden ist?

Im Buch «New Suits» werden die Anwälte von heute schon mal in Stimmung für die neu heraufziehende Welt gebracht. Wer wissen will, was der Stand von Legaltech heute ist, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

Das Buch

«New Suits – Appetite for Disruption in the Legal Word», Herausgeber: Michele DeStefano und Guenther Dobrauz-Saldapenna, Stämpfli Verlag, 710 Seiten, 89 Franken.

Buchumschlag «New Suits»

Buchumschlag «New Suits»

Quelle: Stämpfli Verlag

«Das Leben ist schön.»

Stefan Mair
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