Im gelb-schwarzen Jubel war er nicht zu sehen. Natürlich war auch Hanspeter Kienberger im Stadion, als sich am Samstagabend des 28. April sein Berner Sport Club Young Boys nach langen 32 Jahren in einem bereits jetzt legendären Spiel gegen Luzern den Meistertitel sicherte. Aber er blieb im Hintergrund. Es gehe ja nicht um ihn, sagt er. Das «Herz», das sei die Mannschaft. Im Zentrum stünden die Spieler, der Trainer. «Wir anderen sind nur da, um ihnen gute Rahmenbedingungen zu verschaffen», um sicherzustellen, dass die Maschine reibungslos läuft.

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Er sei ruhig, diskret, zurückhaltend, sagen jene, die ihn besser kennen. Kienberger selbst bezeichnet sich gar als «Diener», eine Rolle, die der 56-Jährige aus seinem Berufsleben ableitet: Als Treuhänder und Wirtschaftsprüfer sei man da, um Firmen und Organisationen zu helfen. «Bei YB möchte ich einfach meinen Beitrag leisten, so wie alle.»

Keine Ahnung vom Geschäft

Die YB-Maschine lief nicht immer gut, sportlich nicht und vor allem wirtschaftlich nicht. Als Kienberger Ende Oktober 2012 Knall auf Fall von den beiden YB-Besitzern Andy und Hans-Ueli «Jöggi» Rihs ins Präsidium gesetzt wurde, ging in Bern wieder mal alles drunter und drüber. Der erst zwei Jahre zuvor eingewechselte CEO Ilja Kaenzig musste seinen Stuhl räumen, und mit ihm wurde auch der Finanzchef Daniel Seiler vor die Türe gestellt.

Kienberger hatte zwar in seiner Jugend etwas Fussball gespielt. Doch anders als seine Tochter, welche die Spiele in der Fankurve im Sektor D besucht, war er nach seinem Umzug vom Aargau nach Bern als 19-Jähriger nur ein gelegentlicher YB-Match-Besucher. Und vor allem: Er hatte keine Ahnung vom Geschäft, wie er freimütig einräumt. Er dachte, das Präsidium beim Fussballclub liesse sich mit einem Pensum von etwa zehn Prozent erledigen. «Ich hatte das völlig unterschätzt», sagt er heute. Und lacht. Eigentlich habe er eine «Lehre» angetreten. Und je mehr er sich einarbeitete, desto mehr Baustellen und Probleme fand er.

Hanspeter Kienberger

Hanspeter Kienberger kam Ende Oktober 2012 und hatte keine Ahnung vom Geschäft, wie er freimütig einräumt.

Quelle: Fabian Unternährer für BILANZ

Zurück in der Gewinnzone

«Hampi übernimmt die Leitung interimistisch», sagte Andy Rihs damals bei Kienbergers Inthronisierung. Nun sind mittlerweile knapp sechs Jahre daraus geworden. Vier Jahre hat Kienberger letztlich gebraucht, um die richtigen Leute am richtigen Ort zu platzieren. Und um den Club in die Gewinnzone zu führen. 2017 war es endlich so weit: YB schrieb zum ersten Mal seit Jahren wieder schwarze Zahlen. Und auch 2018 wird ein profitables Jahr.

Jetzt haben die Berner den Dreh raus. Kienbergers Team hat ein Geschäftsmodell entwickelt, das langfristig funktionieren sollte. Das geht, vereinfacht dargestellt, so: Der Fussballclub maximiert die planbaren Einnahmen aus der Schweiz, also die Ticketverkäufe, die Sponsorenbeiträge und die Vermietung von Stadionteilen für Kongresse oder andere Veranstaltungen. Damit allein lassen sich die Kosten für die Mannschaft aber nicht decken. Die Differenz muss mit Einnahmen aus dem – äusserst unberechenbaren – Transfer- und Europageschäft gedeckt werden.

Immer Europatauglich

Wobei das YB-Transfermodell auf folgender Logik basiert: Chefscout Stéphane Chapuisat und Sportchef Christoph Spycher spüren junge, talentierte Spieler auf, die YB günstig kaufen und später, wenn sich diese zu Leistungsträgern der Mannschaft entwickelt haben, im besten Fall für zweistellige Millionenbeträge weiterverkaufen kann. Voraussetzung für ein nachhaltig profitables Transfer- und Europageschäft ist, dass YB international mithalten kann. «Wir müssen deshalb alles daransetzen, dass wir eine europataugliche Mannschaft haben», betont Kienberger.

Der YB-Präsident datiert den Wendepunkt auf Anfang 2016. Damals verabschiedete der Verwaltungsrat die neue Strategie. Über Namen will Kienberger nicht mehr reden. Nur so viel: «Wir hatten zu Beginn jeweils Vertrauen in die Personen.» Gemäss BILANZ-Informationen hatte der Verwaltungsrat schon damals entschieden, sich von den beiden operativen Chefs, CEO Alain Kappeler und Sportchef Fredy Bickel, zu trennen.

Vor allem zu Bickel war das Vertrauensverhältnis zerstört. Er hat Fussballer mit derart fürstlichen Löhnen nach Bern gelockt, dass die Rechnung vollends aus dem Gleichgewicht geriet. Es werden im YB-Umfeld deshalb noch heute harsche Vorwürfe laut, wenn Bickels Name fällt. Fairerweise muss man auch erwähnen, dass der Verwaltungsrat die hoch dotierten Spielerverträge jeweils abgesegnet hatte. Auch Kienberger.

Der Unternehmer und YB-Vizepräsident Richard Gostony (r.) mit Chefscout Stéphane Chapuisat.

Der Unternehmer und YB-Vizepräsident Richard Gostony (r.) mit Chefscout Stéphane Chapuisat.

Quelle: Alexandra Schürch

YB-«Chaostage»

Spricht man mit YB-Kennern, dann schreiben diese den Turnaround im Wesentlichen zwei Männern zu: Kienberger und Richard Gostony. Der frühere Besitzer und heutige Verwaltungsrat der Beutler Fashion Group sitzt seit März 2014 im obersten YB-Strategiegremium und amtet seit 2016 als dessen Vizepräsident. Die beiden seien es gewesen, die auf die Entlassung von Bickel und Kappeler pochten, heisst es.

Im September 2016 war es so weit. Doch dann lief – jedenfalls kommunikativ – alles schief, was schieflaufen konnte, sodass diese Tage als «Chaostage» in die YB-Geschichte eingingen. Das Urteil des «Blicks»: «Weitere Köpfe müssen rollen.» Namentlich forderte das Boulevardblatt unter anderem die Rücktritte Kienbergers und Gostonys.

Den Verwaltungsrat verlassen haben dann aber die anderen: der frühere Marazzi-Mann Werner Müller, der Kommunikationsspezialist Peter Marthaler und die frühere Berner Finanzdirektorin Barbara Hayoz. Sie wurden ersetzt durch Rihs-Vertraute: den Kommunikationsberater Georges Lüchinger, der unter anderem für Rihs’ BMC Racing Team arbeitet, und den Finanzspezialisten und Schaffner-Verwaltungsrat Georg Wechsler.

Siegenthaler-Rücktritt war nicht geplant

Was nach aussen nach Chaos aussah, war durchaus geplant – jedenfalls im Wesentlichen. Nicht beabsichtigt war der Rücktritt von Verwaltungsrat Urs Siegenthaler, eigentlich ein Verbündeter von Kienberger und Gostony, der sich aber mit seinen Auftritten bei den YB-Fans derart unmöglich gemacht hatte, dass er auch für den Verwaltungsrat nicht mehr haltbar war.

In der Folge musste Christoph Spycher, der bis dahin Talentmanager gewesen war, den Posten als Sportchef sofort antreten – und nicht erst nach einer Übergangsfrist, wie dieser es sich eigentlich gewünscht hatte. Wanja Greuel, zuvor für Marketing und Verkauf verantwortlich, übernahm den CEO-Posten, dem vorher an den Rand gedrängten Chefscout Chapuisat wurde wieder mehr Gehör verschafft – und Nachwuchschef Ernst Graf wurde in den Verwaltungsrat gewählt, um dort nach Siegenthalers Abgang die sportliche Kompetenz sicherzustellen.

Keine Neuzugänge, sondern die Stärkung der internen Kräfte, hiess die Devise. Und sparen. Das aufgeblähte Fussballkader musste reduziert werden, teure Zukäufe wurden keine mehr erlaubt – bis die Rechnung wieder aufging. Und auch die Besitzerfamilien Rihs wieder Freude am Fussballclub hatten.

Christoph Spycher (l.) und Wanja Greuel

Christoph Spycher (l.) ist seit 2010 bei YB: zuerst als Spieler, seit Herbst 2016 als Sportchef. Wanja Greuel kam Anfang 2015 von Infront zu YB. Im Herbst 2016 stieg er zum CEO auf.

Quelle: ZVG

Der Teamplayer

Die Lorbeeren will Kienberger nicht für sich alleine einstecken. Er spricht lieber immer wieder von «Teamarbeit», von einem KMU mit rund 80 Vollzeitstellen, bei dem «alle gemeinsam am selben Strick ziehen», von der Wichtigkeit der «Kontinuität» und von der Hoffnung, dass alle zentralen Akteure YB möglichst lang treu bleiben – allen voran Greuel, Chapuisat und insbesondere Spycher. «Am liebsten würden wir unseren Sportchef einsperren», sagt Kienberger. Und er hofft natürlich, dass auch die Besitzerfamilien an Bord bleiben.

Wie es nun aber nach dem Tod von Andy Rihs weitergeht, ist offen. Konkrete Verkaufspläne liegen derzeit keine auf dem Tisch. Sollten aber die Familien irgendwann die Sport & Event Holding verkaufen wollen, zu der nebst YB auch das Stadion gehört, würden sie dies nur an verantwortungsvolle Besitzer tun. Darin ist sich Hanspeter Kienberger ganz sicher. «Die Familien Rihs wissen, dass es ohne viel Geduld, Herzblut und eine grosse Risikobereitschaft nicht funktioniert», sagt er. «Fussball ist ein einzigartiges Geschäft.»

Dann schwingt er sich aufs Velo, um vom Stadion zurück in sein Büro zu fahren, zur Treuhandgesellschaft Bommer + Partner im Berner Felsenauquartier, bei der er seit 1989 Partner ist. Velofahren, das ist sein Sport, nicht nur im Alltag, sondern auch in der Freizeit. So ist er im letzten August mit Thomas Binggeli, dem Thömus-Gründer und langjährigen Andy-Rihs-Freund, in 24 Stunden von Bern nach Paris geradelt. Ausdauer ist nicht sein Problem. Deshalb will Kienberger bei YB noch ein paar Jahre weitermachen, will nach all den Turbulenzen jetzt den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg geniessen. Aber natürlich immer im Hintergrund.