Die Schweiz ist seit diesem Sommer um mindestens einen Milliardär reicher – und zwar einen Deutschen: Carsten Koerl wohnt im schweizerischen Teufen und ist Gründer, Chef und Mehrheitseigner von Sportradar. Die Sportdaten-Firma mit Sitz in St.Gallen wurde kürzlich von einer Investorenrunde mit umgerechnet 2 Milliarden Euro bewertet. Allein Koerls Anteil ist über 1 Milliarde wert. Insgesamt 1 bis 1,5 Milliarden Franken ist der 53-Jährige damit schwer und dem Schweizer Wirtschaftsmagazin BILANZ zufolge einer der reichsten Deutschen in der Schweiz.
Der Öffentlichkeit ist der gebürtige Allgäuer nahezu unbekannt. Trotzdem kommen grosse Sportverbände und Wettanbieter kaum noch an ihm vorbei. Denn im Geschäft mit Sportdaten ist Koerl der Mächtigste.
Marktführer punkto Sportdaten
Die 2003 gegründete Firma ist globaler Marktführer in der Überwachung und Auswertung von Sportveranstaltungen in 13 Sportarten. Sie analysiert gegen 200'000 Spiele pro Jahr, von Basketball bis Tennis, von der NBA, NFL und NHL bis hin zur ITF, und generiert daraus jeden Tag rund 5 Milliarden Datensätze. Die Daten verwerten weltweit über 1000 Kunden, unter anderem Wettanbieter, Lotterien, Medien. Sportverbände wie IOC, DFB, Fifa und Uefa nutzen Koerls Überwachungssystem zudem, um Manipulationen zu verhindern.
Carsten Koerl hat Sportradar, den heute weltgrössten Anbieter von Sport- und Wettdaten, 2003 gegründet.
Das Geschäft wächst seit Jahren rasant, die operativen Margen bewegen sich um die 30 Prozent, denn Daten sind das neue Gold – auch im Sportbusiness – und Carsten Koerl weiss sie zu monetarisieren. Unter den 300 Reichsten der Schweiz zählt er in diesem Jahr mit einem Vermögenszuwachs von 1 Milliarde Franken zu den grössten Aufsteigern.
300 Reichste sind wieder reicher geworden
Und das in einem kompetitiven Umfeld: Der jährlich erscheinenden Rangliste des Schweizer Wirtschaftsmagazins BILANZ zufolge besitzen die 300 Reichsten, die in der Schweiz leben, zusammen 675 Milliarden Franken – so viel wie nie zuvor.
Fast jeder sechste von ihnen hat deutsche Wurzeln: Die 49 reichsten Exildeutschen kommen zusammen auf ein Vermögen von 98,4 Milliarden Franken, die Hälfte von ihnen sind Milliardäre. Allein die drei Vermögendsten besitzen zusammen 31,5 Milliarden Franken. Mit Abstand am vermögendsten unter den Deutschstämmigen ist die Familie Jacobs.
Jacobs sind die reichsten Deutschen
Die Nachkommen des einstigen deutschen Kaffeekönigs Klaus J. Jacobs haben ihren Reichtum in den letzten Jahren kontinuierlich vermehrt, im letzten Jahr um 2 Milliarden auf 12,5 Milliarden Franken. In der ganzen Alpenrepublik sind sie damit die Neuntreichsten. Der Grund heisst einmal mehr Barry Callebaut. Am weltgrössten Schokoladenhersteller ist die Familie mit 64 Prozent beteiligt. Auch sonst hat sich finanziell einiges getan bei den Jacobs: Im Herbst hat der Clan die weltweit grösste Privatschulkette Cognita erworben, für 2,5 Milliarden Franken. Also fast exakt jene Summe, die 2014 für den Verkauf der Familienanteile am Zeitarbeitskonzern Adecco erlöst wurde.
Einbussen in Höhe von 2 Milliarden Franken musste laut BILANZ hingegen Klaus-Michael Kühne hinnehmen. Im vergangenen Jahr noch der reichste Deutsche in der Schweiz, schafft es der Unternehmer dieses Jahr nur auf den zweiten Platz.
Klaus-Michael Kühne mit seiner Frau Christine.
Sein Aktienpaket von 53,3 Prozent am Logistikgiganten Kühne+Nagel hat innert Jahresfrist deutlich an Wert eingebüsst, ist aber immer noch rund 9,5 Milliarden Franken schwer. Vom Wohlstand des 81-Jährigen profitiert seine Heimatstadt Hamburg, an der nach wie vor sein Herz hängt: Der hanseatische Schweizer engagiert sich als Sponsor der eigenen Logistik-Universität und der Elbphilharmonie, als Geldgeber des trotz seiner Millionengaben abgestiegenen HSV oder als massgeblicher Investor bei Hapag-Lloyd. Jüngstes Steckenpferd ist das Luxushotel The Fontenay, das Kühne zum besten Hotel Hamburgs machen will.
Liebherr mit höchsten Umsatz der Firmengeschichte
Nicht minder betucht als Kühne ist mit 9,5 Milliarden Franken die Familie Liebherr, die den dritten Platz der Superreichen mit deutschen Wurzeln für sich einnehmen. In Bulle, einem Ort im französischsprachigen Teil der Schweiz, implementieren die Geschwister Isolde und Willi Liebherr nach und nach ihre teilhabenden Nachkommen ins Führerhaus des Baumaschinenkonzerns gleichen Namens. Mittlerweile sind von beiden je drei Sprösslinge in der Konzernleitung der Holding aktiv. Die Geschäfte laufen nach wie vor hervorragend: Im Vorjahr schaffte der Liebherr-Konzern mit 9,85 Milliarden Euro den höchsten Umsatz der fast 70-jährigen Firmengeschichte – ein sattes Plus von 9,5 Prozent.
Familie Liebherr: Jan Liebherr, Stéfanie Wohlfahrt, Sophie Albrecht, Philipp Liebherr, Patricia Rüf, Johanna Platt, Isolde Liebherr und Willi Liebherr (v.l.n.r.).
Die meisten reichen Deutschen sind fraglos wegen der generell tieferen Steuersätze einst in die Schweiz gezogen. Vor allem die Erbschaftssteuer hat manchen Grossunternehmer zum Auswandern bewogen – so etwa Molkereimogul Theo Müller im Jahr 2003.
Heute wird die kinderreiche Familie Müller mit ihren schwäbischen Wurzeln immer schweizerischer: Acht der neun Sprösslinge des Patriarchen leben inzwischen in Helvetia, vier verdienen ihren Lebensunterhalt in der prosperierenden Familienfirma, zu der Molkereiberühmtheiten wie «Müller-Milch» oder der «Joghurt mit der Ecke» zählen. Müllers Vermögen summiert sich auf 5 bis 6 Milliarden Franken – unter den reichsten Deutschen mit Wahlwohnsitz Schweiz nimmt er damit den vierten Rang ein.
Theo Müller mit seiner Frau Ines.
Einer der bedeutendsten Industrieinvestoren der Schweiz
Ein Vermögen von ähnlichen Ausmassen besitzt die Familie August von Finck – einer der bedeutendsten Industrieinvestoren der Schweiz. Gewohnt diskret steuern die eingebürgerten Schwyzer um den 88-jährigen Patriarchen ihr Portfolio, zu dem etwa eine massgebliche Beteiligung am Warenprüfer SGS sowie an der Industrie-Ikone Von Roll gehören. Ihre Mehrheitsbeteiligung an den Mövenpick-Hotels hat die Baronsfamilie kürzlich verkauft – das hat fast 375 Millionen Franken in die private Schatulle gespült.
Haben die Mövenpick-Hotelkette versilbert: August und Francine von Finck.
Knapp unterhalb der Fünf-Milliarden-Franken-Schwelle sieht BILANZ die Erben des deutschen Friseurs und Wella-Gründers Franz Ströher, gefolgt von Capri-Sun-Erfinder Hans-Peter Wild. Dessen Fruchtsafttüten-Klassiker bleibt ein Evergreen. Der Inhalt von deutlich mehr als sechs Milliarden Trinkpäckchen fliesst Jahr für Jahr in über 110 Ländern durch die Trinkhalme und sorgt so für ausreichende Gewinne. Auf dem Konto des Exildeutschen mit Bürgerrecht von Zug haben sich so insgesamt 3,5 bis 4 Milliarden Franken angehäuft. Auf der Rangliste der reichsten Deutschen macht das Platz 7.
Hans-Peter Wild.
Es folgen Otto und Felix Happel. Auch ihr Vermögen summiert sich auf 3,5 bis 4 Milliarden Franken. Während Senior Otto am Vierwaldstättersee weiter seine Happel Foundation alimentiert, hat Junior Felix mit seiner Luzerner Gesellschaft Porterhouse die kränkelnde Klinikgruppe Paracelsus gekauft. Der 36-Jährige will sie nun wieder gesund pflegen. Dessen Grossvater hatte einst den Maschinenbaukonzern GEA gegründet, den Vater Otto lange weiterführte.
Hat sich die Klinikgruppe Paracelsus geangelt: Felix Happel.
Auf Platz 9 folgen die Erben des 2017 verstorbene Massa-Gründer Karl-Heinz Kipp. Dieser war bis zuletzt deutscher Staatsbürger, während seine Tochter Ursula und ihre vier Kinder das Bürgerrecht von Arosa erwarben. Den Wahlschweizer zog es vor über 30 Jahren in die Schweiz, wo er einen dreistelligen Millionenbetrag in den Kauf von Hotelpalästen steckte und so zum grössten privaten Hotelinvestor im Land aufstieg. Zum 3 bis 3,5 Milliarden Franken umfassenden Vermögen zählen die FünfSterne-Superior-Herberge Eden Roc am Lago Maggiore, das Tschuggen Grand Hotel Arosa sowie das Carlton in St. Moritz.
Ebenfalls 3 bis 3,5 Milliarden Franken schwer ist Traudl Engelhorn, Witwe von Ex-Boehringer-Mannheim-Teilhaber Peter Engelhorn.
Männermodemacherin wohnhaft im Kanton Schwyz
Erstmals auf der Liste der reichsten Exildeutschen zu finden ist Stella Ahlers. Aus Zug steuert die 53-jährige Wahlschweizerin, die privat am Zürichsee im Kanton Schwyz residiert, die Modegruppe Ahlers. Gegen eine viertel Milliarde Euro an Verkaufserlösen bilanzierte die in Deutschland börsenkotierte Ahlers AG zuletzt. Prominenter als der Firmenname sind die darunter verwobenen Lizenzmarken: Pierre Cardin, Baldessarini, Otto Kern, Pioneer. Am Hemdenmacher Jupiter Shirt ist die Aktiengesellschaft mit 49 Prozent beteiligt. Das Vermögen der Männermodemacherin: 100 bis 150 Millionen Franken.
Männermodemacherin Stella Ahlers.