Thierry Stern, Präsident und Besitzer von Patek Philippe, liess es sich nicht nehmen, die neuste Kreation der Genfer Luxusmarke persönlich vorzustellen und so ihre Bedeutung zu unterstreichen. Gezeigt wurde die neue Uhr mit der Referenz 5470P-00. Und mit diesem Stück, so sagte Thierry Stern, wolle die Marke Patek Philippe ihren Ruf als «Leader im Bereich der grossen Komplikationen» erneut unter Beweis stellen. Das «neue Masterpiece» – «mit der Arbeit dafür haben wir vor zehn Jahren begonnen» – sei deshalb auch kein «Single Shot», es werde in den laufenden Katalog integriert.

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Tatsächlich hat es die Uhr technisch in sich. Aber auch ästhetisch: Sie kommt – wie auch ein zweites aktuelles Vorzeigestück – im Calatrava-Gehäuse daher. Grund genug also, sich damit zu beschäftigen. Denn das 1976 lancierte Modell Nautilus mag zwar in Bezug auf Schlagzeilen in jüngerer Zeit die Nase vorn gehabt haben, die Calatrava-Form bleibt jedoch ganz generell das wichtigste Grundmodell von Patek Philippe. Schon aus historischen Gründen: Die Calatrava war 1932 die erste Uhr der Genfer Marke, nachdem sie von der Familie Stern übernommen worden war.

Ein ergötzlich anzusehender Sekundenzeiger

Wir kommen darauf zurück. Begonnen aber sei mit einem Blick in die Technik der neuen Uhr: Der Zehntelsekunden-Monopusher-Chronograph fällt mit seinen zwei Sekundenzeigern aus der Mitte des Zifferblattes auf. Der eine – weiss – stoppt die verstrichenen Sekunden. Der zweite – rot und aus Silizium – kann die vergangenen Zehntelsekunden anzeigen. Beide starten nach Betätigung des Drückers bei 2 Uhr gleichzeitig, der weisse ganz normal, der rote ist fünf Mal schneller und umkreist das Zifferblatt in zwölf Sekunden. Das ist zum Ersten ergötzlich anzusehen, zum Zweiten aber vor allem der Lesbarkeit geschuldet. Zwölf rote Balken stehen jeweils hintereinander für einen Ein-Sekunden-Sektor, die weissen Punkte dazwischen markieren gut sichtbar die verstrichenen Zehntelsekunden.

Man kann sich unschwer vorstellen, dass es auf dem Weg zu dieser Uhr einige technische Knacknüsse zu lösen gab. Der Zehntelsekunden-Chronograph, so Patek Philippe, «ist genauso aufwendig herzustellen wie ein Tourbillon, eine Minutenrepetition oder ein Schleppzeiger-Chronograph»: 396 Teile werden verbaut, 54 allein für den Zehntelsekunden-Mechanismus. 31 Patente schlummern im guten Stück, sieben davon sind neu.

Für technisch Interessierte sei kurz erwähnt, dass die Arbeit vorab vom bestehenden Schleppzeiger-Kaliber CHR 29-535 PS ausging. Die Frequenz musste dabei von vier auf fünf Hertz oder 36’000 Halbschwingungen pro Stunde erhöht werden, eine Premiere für Chronographen bei Patek Philippe. Sie erst macht es möglich, einen Zeiger pro Sekunde zehn Mal vorwärtsspringen zu lassen.

Für das Calatrava-Gehäuse sprachen zunächst technische Gründe: Man war, wie erwähnt, vom Werk im Schleppzeiger-Modell 5370 ausgegangen, weil es ebenfalls zwei Sekundenzeiger hat und sich mithin bestens als Ausgangslage eignete. Und diese Uhr ist natürlich ein Calatrava-Modell.

Die Calatrava ist die Reverso von Patek Philippe

Doch es gibt darüber hinaus eine starke symbolische Dimension. «Die Calatrava ist so etwas wie die Reverso von Patek Philippe», urteilt René Beyer, Inhaber der gleichnamigen Chronometrie an der Zürcher Bahnhofstrasse und profunder Connaisseur: «Sie ist zweifellos das wichtigste Modell der Marke.» Das zeige sich etwa daran, dass die grossen Komplikationen immer in einem Calatrava-Gehäuse daherkämen, die Nautilus hingegen sei bis vor etwa 15 Jahren eine reine Dreizeigeruhr geblieben. Überdies sei das Calatrava-Kreuz auch das Markenlogo von Patek Philippe, ein Lilienkreuz des gleichnamigen spanischen Ritterordens.

Man schrieb das Jahr 1932, als der englische Uhrmacher und Designer David Penney den Brüdern Charles und Jean Stern einen Entwurf präsentierte, der als Referenz Nr. 96 und allererste Calatrava-Uhr Geschichte schreiben sollte. Die Sterns, Besitzer der Zifferblattmanufaktur Fabrique de Cadrans Stern Frères, hatten die Genfer Marke eben übernommen und zeigten sich vom Entwurf ganz offensichtlich angetan.

Die Uhr, rund und nur 31 Millimeter gross, war stark vom Bauhaus inspiriert und hatte wegweisende Stilelemente: Sie baute neun Millimeter hoch und hatte eine flache polierte Lünette. Vor allem aber waren die Bandanstösse nicht angelötet, sondern – sich nach aussen verjüngend – als Bestandteil des Gesamtdesigns ins Gehäusedesign integriert. Weitere Merkmale waren ein übersichtliches elfenbeinfarbenes Zifferblatt, Stabindizes sowie eine kleine Sekunde bei 6 Uhr.

Die Calatrava startete den Erfolg von Patek Philippe

Das alles wies die Calatrava als ein klares Produkt der Form-follows-function-Schule aus und passte perfekt in den Zeitgeist. Sie befeuerte die Marke, die zwar schon immer hohes Ansehen genossen hatte, als Folge der Weltwirtschaftskrise aber finanziell in Schräglage geraten war. Und sie startete Patek Philippes Erfolgssaga. Heute gehört die Genfer Uhrenmanufaktur zum exklusiven Club der Milliardäre, jener sieben Schweizer Marken also, die mehr als eine Milliarde Franken Umsatz erzielen.

Eine glückliche Hand mit dem Klassiker bewies die Familie Stern, als sie den Schweizer Werber und Grafiker René Bittel mit dem Entwurf einer neuen Calatrava beauftragte. Die daraus entstandene Uhr mit der Referenz 3919, gerne «Uhr der Bankiers» genannt, eröffnete 1985 das zweite Kapitel der Calatrava-Saga und wurde zum eigentlichen Gesicht der Marke. Neben den römischen Ziffern auf dem blütenweissen Zifferblatt fiel die Uhr vor allem durch ihre Lünette auf – mit winzigen Pyramiden als «Clou de Paris»-Dekor.

René Bittel entwarf auch international geschaltete Werbeinserate für die Uhr – und muss wohl den Nerv der Zeit getroffen haben. Innerhalb von zwei Jahren stieg der Umsatz von Patek Philippe angeblich um 28 Prozent, die Zahl der verkauften Uhren kletterte im Jahr 1987 auf über 12’000 Stück. Neue Inserate mussten nun erklären, warum man die Nachfrage nicht decken konnte.

Mehrere Dutzend Varianten der Uhr hat es seit 1932 gegeben, zunächst nur für Herren, später auch als Damenuhr. Und an der eben zu Ende gegangenen Uhrenmesse Watches & Wonders erweiterte die Marke jetzt den Katalog um ein weiteres, neu gestaltetes Calatrava-Modell.

Eine Uhr für die Ewigkeit: weder ultramodern noch old-fashioned

Für den neuen Jahreskalender mit Anzeige einer zweiten Zeitzone – Referenz 5326G-001 – hat die Manufaktur ein komplett neues Gehäuse präsentiert, unverkennbar Calatrava zwar, aber mit resolut eigenem Charakter. Dazu trägt das Zifferblatt bei, welches von Cadran Flückiger im bernjurassischen St-Imier gefertigt wird, einem Zifferblattspezialisten, der seit 2004 zu Patek Philippe gehört. Das Zifferblatt ist anthrazitfarben mit einem feinen Schwarzverlauf zum Aussenrand und trägt eine leicht granulierte Struktur, die an die Gehäuse alter Fotoapparate erinnert. Vor allem aber zitiert die Uhr auf eine aufgefrischte Art ein Stück von René Bittels Entwurf: Die Gehäuse-Flanken sind mit einem mehrreihigen Clous-de-Paris-Muster guillochiert. Diese Ingredienzen werden künftig wohl Teil des ästhetischen Fundus der Marke, sie wurden jedenfalls auch für eine neue Dreizeigeruhr mit Datum verwendet, die Referenz 5226G-001.

Die Details fallen auf – und bezirzen Connaisseurs. «Die Calatrava war nie ultramodern und nie old-fashioned», sagt René Beyer. «Die Calatrava ist ganz einfach eine Uhr für die Ewigkeit.»

 

Dieser Text erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe von «Watch Around».