Machs noch einmal, Geberit! Nach 2020 landet der Sanitärkonzern schon wieder auf dem ersten Platz, wie bereits 2017, und auch in den anderen Jahren finden sich die Herren über Dusch-, WC- und Rohrsysteme aus Jona auf den vorderen Rängen im Schweizer Geschäftsberichte-Rating.

Gähn, Geschäftsberichte? Vielen muten die text- und zahlenlastigen Printprodukte wie Relikte aus einer verstaubten Vergangenheit an, Richtung späte achtziger Jahre. Doch weit gefehlt: Erstens wandern immer mehr Inhalte vom Druckwerk in Online-Reports, die technisch oft opulent auftreten, dazu Videos und Tools zur individuellen Zusammenstellung von Datenmaterial anbieten. Und zweitens: Wenig verrät so viel über eine Firma und ihre Interna wie ein Geschäftsbericht; hier destillieren sich inhaltliche Botschaften, aber auch Egos und Einflusssphären. Man muss nur hinschauen: Wer spricht zu den Lesern – auch der CEO oder nur sein Vorgesetzter, der Verwaltungsratspräsident? Wer darf ein strategisches Grusswort schreiben, wer muss via Interview die Finanzergebnisse herunterbeten? Wem gebührt das grössere Foto, der längere Text? Wer gibt im Gruppenbild der Konzernleitung den Zampano? Sicher, das sind weiche Faktoren – aber solche Dinge geben erstaunlich oft Einblick in die wahren Machtverhältnisse.
 

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Klassensieger Geberit überzeugt durch Funktionalität

Sieger Geberit liefert diesbezüglich jedoch wenig Anschauungsmaterial. Nüchtern in Auftritt und Sprache, folgt sein Annual Report einem einzigartigen Konzept: einem Dreiklang aus Kurzbericht und Jahreschronik in Print sowie ausführlichem Geschäftsbericht, der nur online publiziert wird. Diesem Arrangement hält Geberit bereits seit mehr als einem Jahrzehnt die Treue, und bis heute hat es nichts von seiner puristischen Modernität eingebüsst.

Ausserdem entwickelt es sich kontinuierlich weiter, «wie ein Porsche 911», sagt Juror Jürg Trösch, Partner des Kommunikationsdienstleisters Linkgroup, der die aktuellen Neuerungen immerhin «mit einem Wechsel der Baureihe in der Modellentwicklung» vergleicht. Neu etwa präsentiert sich die Chronik, bisher im Kleinformat als Hardcover mit bedrucktem Leinen bezogen, «magaziniger» als Taschenbuch in der gängigen Grösse DIN-A5 und liegt damit bündig auf dem Kurzbericht.

Diese Chronik soll Kleinaktionären das Innenleben des Konzerns und die weite Welt des Sanitärwesens näherbringen. Geberit entstammt ja dem unsichtbaren Bereich im Bad «hinter der Wand», wo sie sich mit ausgeklügelten Installationen für Profi-Handwerker die Marktführerschaft erarbeitet hat und dank stetiger Innovationen auch hält – und seit einigen Jahren auch in den Sichtbereich «vor der Wand» expandiert. Was davor und dahinter alles im Angebot ist, wie neue Verbindungsteile für Wasserrohre den Monteuren das «Verpressen» und das «Fitting» einfacher machen, wie das «wandelnde Lexikon der Keramikproduktion» im schwedischen Werk Bromölla namens Dan Olsson den Formenbau für Waschbecken revolutioniert und in welchen Museumstoiletten man sich an Geberit-Sanitärmöbeln erfrischen kann – klassisches «Storytelling». Der Online-Teil gefällt durch aufgeräumtes Design und hohe Funktionalität – etwa dank einem Organigramm, das sämtliche Namen der Stelleninhaber zeigt, vor allem aber dank schnörkel- und marketingfreier Sprache in den wohltuend kompakten Texten. Britta Simon, Aktienanalystin bei der Bank Julius Bär, lobt zudem «die wachsende Transparenz über die Zeitachse». Geberit publiziere zum Beispiel klare Ziele und schiebe keine Geschäftsbereiche zwischen den Segmenten hin und her, sodass sich die Zielerreichung auch gut überprüfen lasse.

Geberit ist also kein Überraschungssieger. Dass dahinter auf dem Podest zwei folgen, erstaunt dafür umso mehr. Allerdings handelt es sich um zwei regionale Institute, die gar nicht anders können, als die Sprache ihrer Kunden zu sprechen – und nicht um Grossbanken mit ihrem komplexen Geschäftsmodell inklusive Asset Management und Investmentbanking, das umfangreiche Darstellungen der Risiken verlangt. Da haben es die St. Galler Kantonalbank (SGKB) und die liechtensteinische VP Bank einfacher. Aber das alleine ist es nicht: «Authentisch», «transparent» oder «zielgruppengerecht aufbereitet» waren wiederkehrende Stichworte in der Jury-Diskussion zu den Berichten dieser beiden Institute. Die SGKB etwa verzichtet in ihrem sympathischen, gut verständlichen Bericht auf Imagestories, liefert aber eine Karte mit dem Filialnetz sowie eine Liste mit den Beförderungen im Kader – so geht Nähe zum Kunden. Damit schob sich die SGKB mit klarem Vorsprung auf den zweiten Rang.

Die VP Bank gibt sich etwas unpersönlicher – aber sie richtet sich ja immerhin an die Bevölkerung eines Staates, nicht nur eines Kantons! Dass sie Eingang ins BILANZ-Geschäftsberichte-Rating fand, liegt an ihrer Kotierung an der Schweizer Börse. Während nicht alle Juroren die Gestaltung mit teils unverständlichen Illustrationen schlüssig fanden, erfährt die glasklare Darstellung des Geschäftsmodells und des Corona-Krisenmanagements fast so viel Lob wie die ganz konkreten, mit Zahlen versehenen Zukunftsprognosen bis ins Jahr 2026. So viel offenherzige Selbstverpflichtung ist selten, gerade für eine Bank.
 

Die besten Schweizer Geschäftsberichte – ein aufwendiger Findungsprozess

Damit der Findungsprozess der besten Schweizer Geschäftsberichte nicht in geschmäcklerischem Aneinanderreihen persönlicher Eindrücke steckenbleibt, liegt ihm ein ausgefeilter Mechanismus zugrunde, an dem gleich drei Jurys beteiligt sind. Ausgangspunkt ist die Wissenschaft, genauer Professor Alexander Wagner vom Institut für Banking und Finance der Universität Zürich, samt seinen beiden Mitarbeitern Sascha Behnk und Leandro Künzli sowie 37 Studierenden – sie bilden die Vorjury «Value Reporting», die sämtliche Geschäftsberichte aus Anlegersicht durchleuchtet, ob sie vollständig und angemessen den Zustand des Unternehmens darstellen und damit als Grundlage für Investitionsentscheide taugen.

geschäftsbericht rating 2021, jurierung endrunde GB-Rating finale Runde der Jurierung, im Six Convention Center Zürich

VIEL MATERIAL: Die 13-köpfige Schlussjury sichtet nicht nur die gedruckten Geschäftsberichte, sondern auch die Online-Ausgaben.

Quelle: Nik Hunger für BILANZ

Nebenbei prüfen die Juroren, ob die grössere Gruppe der Stakeholder, darunter Kunden, Lieferanten, Hausbank oder Beobachter wie Journalisten und Ratingagenturen, adäquate Informationen finden, auch über neuere Themen wie Nachhaltigkeit, aktuell zudem über den Umgang mit der Corona-Krise – und das alles sowohl in den gedruckten wie den Online-Reports. Eine zweite Vorjury bewertet die Gestaltung der Berichte. Geleitet von Jonas Voegeli, Designer und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, und seinem Co-Präsidenten Jiří Chmelik von Noir Associates, sezieren elf Profis der Schweizer Designszene die visuellen Botschaften der Berichte: Wie stellt sich das Unternehmen dar, welche Inhalte und Emotionen möchte es vermitteln? Mit welchen Mitteln? Und: Gelingt das?

Die Ergebnisse der beiden Vorjurys, welche insgesamt 250 Einzelkriterien prüfen, fliessen jeweils in Ranglisten für Print und Online, die dann zu einem Gesamtranking zusammengerechnet werden. Insgesamt wurden Berichte von 238 Firmen untersucht: alle im Schweizer Index SPI kotierten, dazu die grössten nichtkotierten, sodass unabhängig von einer Börsenpräsenz die 50 umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz sowie die grössten Banken und Versicherungen vertreten waren. Die besten zwölf Firmenberichte aus dem Gesamtranking wandern dann vor die Schlussjury. Sie bildet das breite Spektrum der Stakeholder ab, ist besetzt mit Vetretern der Vorjurys, hinzu gesellen sich PR-Berater, Dozenten, Unternehmenskommunikatoren, Finanzanalysten, Wirtschaftsprüfer, Unternehmer oder ein Journalist. Hier diskutieren alle gleichberechtigt die Reports von Grund auf neu und ermitteln am Ende in geheimer Abstimmung die drei Gesamtsieger.

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VIEL MATERIAL: Die 13-köpfige Schlussjury sichtet nicht nur die gedruckten Geschäftsberichte, sondern auch die Online-Ausgaben.

Quelle: Nik Hunger für BILANZ

Damit nicht genug: Eine vierte Jury, angesiedelt an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, bewertet die Textqualität der bestrangierten zwölf Berichte. Mitarbeiterinnen und Studierende, geleitet von den Medienlinguistik-Professorinnen Aleksandra Gnach und Wibke Weber, wählten den Jahresbericht der Swiss Re an die Spitze. Dessen Sprache sei «transparent und ehrlich, zeigt auch Verwundbarkeit», sagt Weber, zugleich Mitglied der Schlussjury, und lobte speziell den «positiven» Brief an die Aktionäre. Dahinter reihen sich Chemiekonzern Clariant und die Zürcher Kantonalbank ein.

Die grundsätzliche Frage, was die Aufgabe eines Geschäftsberichts sei und wer der eigentliche Adressat, führte zu einer Richtungsdiskussion in der Schlussjury – zumal für die meisten Firmen, sofern sie nicht Schokoladenriegel verkaufen oder TV-Werbung betreiben, der Geschäftsbericht zentrales Kommunikationsmittel mit der interessierten Öffentlichkeit ist. Und während PR-Abteilungen diese Plattform gern zum Erzählen von allerlei Geschichten nutzen, betonte Michel Gerber, der beim Hightech-Konzern VAT sowohl Kommunikation als auch Investor Relations verantwortet, dass es am Anfang des Reports «dear Shareholder» heisse und eben nicht «dear Stakeholder».

Diverse Juroren beobachten ausserdem eine neue Zurückhaltung beim «Storytelling»: Clariant kastrierte ihren aufwendigen «integrierten» Report freiwillig zum Kurzbericht und verlagerte vieles ins Web, jener von Valora entwickelt sich vom verspielten zum normalen, und sogar Implenia, die gern bilderreiche Histörchen über Bauwerke und Mitarbeiterinnen druckte, hat erzähltechnisch abgerüstet. Womöglich ist die Selbstbescheidung Corona geschuldet?

geschäftsbericht rating 2020, jurierung endrunde GB-Rating finale Runde der Jurierung, im Six Convention Center Zürich

DIE MITGLIEDER DER SCHLUSSJURY: Stehend von links: Hans-Peter Nehmer (Juryvorsitzender), Präsident Harbour Club und Kommunikationschef Allianz Suisse; Michel Gerber, Chef Kommunikation und Investor Relations VAT Group; Stephan Hirschi, Director Sustainability PwC; Anke Gerding, Managing Partner Fineance AG; Britta Simon, Equity Analyst Bank Julius Bär; Bernhard Schweizer, Studiengangsleiter BSC Kommunikation an der HWZ Zürich; Jürg Trösch, Partner Linkgroup; Leandro Künzli, Mitarbeiter am Institut für Banking und Finance (IBF) der Universität Zürich; Mattia Conconi, Partner Gottschalk + Ash International; Dirk Ruschmann, Stv. Chefredaktor BILANZ; Andreas Jäggi, Andreas Jäggi Kommunikationsberatung. Sitzend: Alexander Wagner, Professor am IBF der Universität Zürich; Wibke Weber, Professorin am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW Zürich.

Quelle: Nik Hunger für BILANZ

Geschäftsberichte, urteilt Jurypräsident Hans-Peter Nehmer, im Hauptberuf Kommunikationschef bei der Allianz Suisse, seien in erster Linie «Glaubwürdigkeitsdokumente». Denn die härteste Währung, das Vertrauen der Investoren, sei ohne Glaubwürdigkeit nicht zu haben. Auf detaillierte Information setzen dabei die Besten im Teilranking Value Reporting, allen voran die UBS, die zur Selbstdarstellung rekordverdächtige 448 Seiten benötigt, oder die Swisscom mit ihrem textlastigen, aber bis in die Einzelheiten informativen Œuvre. Zwischen beiden postiert sich Clariant mit einem fast fotofreien Printerzeugnis, das zum Ausgleich mit zahlreichen mehr oder weniger schlüssigen Schaubildern hantiert. Aufsteiger des Jahres im Value-Ranking ist Aluflexpack aus Reinach, deren neuer Nachhaltigkeitsbericht einen Sprung um 73 Ränge brachte.

In der Teilwertung Design liegt HIAG Immobilien vorn, gefolgt von der Zur Rose Group und Bachem. Erfolgreichster Aufsteiger im Design ist die Versicherung Vaudoise mit ihrem puristischen, klar strukturierten Bericht, der einmal mehr beweist: Gute Gestaltung erhöht die Eingängigkeit der inhaltlichen Botschaften massiv.
Gleiches gilt für die Cracks des Keramikthrons. Juror Mattia Conconi, Partner der Designagentur Gottschalk + Ash, lobt die Bildsprache der Geberit-Chronik, weil sie «nicht so glatt und professionell» daherkomme, «so entsteht Glaubwürdigkeit». Das ist sie, die neue Nüchternheit.
Zum Gähnen ist in dieser dynamischen Kommunikations-Disziplin also gar nichts; am ehesten vielleicht die Wartezeit, bis sich endlich neue Wettbewerber aufmachen, die Dominanz der Seriensieger zu brechen; wie in der Formel 1, wo sich hinter Lewis Hamilton eine Garde hungriger Jungstars in Stellung gebracht hat. Wer also wird 2022 Geberit vom Thron stossen?

Alle Daten und Tabellen: Das komplette Geschäftsberichte-Ranking inklusive aller Teilkategorien und die Ergebnisse der Vorjahre finden Sie auf www.gbrating.ch, der eigenen Website des Rankings – dort können Sie zudem die Geschäftsberichte als PDF herunterladen.

Dirk Ruschmann
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