Die Einkommensungleichheit hat in den letzten Jahrzehnten vielerorts zugenommen. Spitzenverdiener erhalten einen immer grösseren Anteil am Gesamteinkommen. Dies hat starke Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wie sich etwa anhand der „Occupy Wall Street“-Bewegung oder am Nobelpreis für Angus Deaton für seine Forschungen zu Armut und Wohlfahrt zeigt.

Als wichtigste Ursache gelten Globalisierung und technischer Fortschritt. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien, die globale Aufspaltung der Wertschöpfungsketten, die Auslagerung von arbeitsintensiven Produktionszweigen und die zunehmende Automatisierung mittels Robotern seien für die steigende Einkommensungleichheit verantwortlich.

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Innovation befördere die Ungleichheit, legen deshalb viele Beobachter nahe: Neue Technologien erhöhen Einkommen und Wohlstand für wenige, nicht für alle. Die Ansicht wird durch Forschungsergebnisse gestützt, die zeigen, dass Innovation die Einkommensverteilung verändert. Der technische Fortschritt macht routineintensive Tätigkeiten obsolet und setzt mittlere Einkommen unter Druck. Dagegen profitieren Unternehmer und Manager überproportional stark von den Innovationserträgen.

Auf der anderen Seite legt die Theorie jedoch nahe, dass Innovation die soziale Mobilität fördert. Die „schöpferische Zerstörung“ im Sinne des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter ist ein Prozess, bei dem innovative Unternehmen neu in den Markt eintreten und etablierte Unternehmen verdrängen. Dadurch entstehen neue Aufstiegschancen.

Mehr Patente = mehr Spitzeneinkommen

Wie verhält es sich also wirklich mit der Innovation? An diesem Punkt setzt eine Studie der Ökonomen Philippe Aghion, Ufuk Akcigit, Antonin Bergeaud, Richard Blundell und David Hemous an. Das 2016 publizierte Papier untersucht den Zusammenhang zwischen Innovation, sozialer Mobilität und Ungleichheit, gemessen anhand des Einkommensanteils des Top-1-Prozents in der Bevölkerung.

Zu diesem Zweck vergleichen die Autoren die Innovationskraft und Einkommensverteilung zwischen den amerikanischen Bundesstaaten nach 1975. Die empirischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Innovation die Einkommensverteilung beeinflusst, und dass Spitzenverdiener überproportional profitieren und einen zunehmenden Einkommensanteil verbuchen.

So verdoppelte sich zwischen 1975 und 2013 der Anteil der Spitzenverdiener (Top-1-Prozent) am Gesamteinkommen der USA von 8,8 auf 20,1 Prozent. Die Anzahl der Patente als Indikator für die Innovationskraft nahm parallel zu. Zwar belegt dies noch keinen kausalen Effekt, da die zunehmende Ungleichheit auch von anderen Faktoren abhängt. Dennoch deutet die Grafik an, dass patentierte Innovationen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Spitzeneinkommen einnehmen.

Quantifiziert man den statistischen Zusammenhang von Innovation und Einkommen, zeigt sich, dass eine einprozentige Erhöhung der Innovationskraft mit einem Anstieg des Einkommensanteils der Top-1-Prozent-Verdiener um 0,3 Prozent einhergeht. Bei den Top-0,01-Prozent-Verdienern ist der Zusammenhang sogar mehr als doppelt so stark. Patenterträge und ähnliche Innovationsgewinne verteilen sich also nicht gleichmässig auf die Bevölkerung, sondern gehen hauptsächlich an eine immer reicher werdende Oberschicht von Gewinnern.

Den kausalen Effekt schätzen die Forscher wie folgt: Steigt die Anzahl Patente pro Kopf in einem Bundesstaat um 10 Prozent, so steigert dies den Einkommensanteil der Top-1-Prozent-Verdiener um 2,4 Prozent. Vergleichbare Effekte zeigen sich, wenn man die Innovationskraft etwa anhand der Häufigkeit von Patentzitierungen misst. Die Ergebnisse legen nahe, dass durchschnittlich rund 22 Prozent des Anstiegs des Einkommensanteils von Spitzenverdienern im Zeitraum von 1980 bis 2005 auf den technischen Fortschritt entfallen.

Schwächer ist gemäss den Autoren aber der Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und der Einkommensverteilung der breiten Bevölkerung – wenn man die Ungleichheit also anhand von konventionellen Verteilungsmassen wie dem Gini-Index misst. Dieser stützt sich nicht allein auf die Spitzeneinkommen, sondern berücksichtigt die gesamte Verteilung. Die Verteilungseffekte von Innovation manifestieren sich daher fast ausschliesslich bei den Spitzeneinkommen: also bei Ingenieuren, Wissenschaftlern, Unternehmern, oder Managern. Die restliche Bevölkerung bleibt vom technischen Fortschritt relativ wenig berührt.

Gute und schlechte Innovation

Warum werden die überproportional wachsenden Spitzeneinkommen gesellschaftlich akzeptiert? Ein Grund könnte sein, dass Innovation mit mehr sozialer Mobilität einhergeht. Es entstehen neue Aufstiegschancen. Kinder von ärmeren Eltern können in einem innovativen Land einfacher und häufiger zu den besser Verdienenden aufsteigen. Die Arbeit von Philippe Aghion und seinen Kollegen stützt diese Interpretation: Die Korrelation zwischen der Anzahl der Innovationen und der sozialen Mobilität von unteren Einkommensgruppen ist positiv.

Die Studie zeigt jedoch auch, dass man dabei zwischen verschiedenen Arten von „Innovation“ unterscheiden muss: Zwischen „guter“ Innovation von Unternehmen, die neu in den Markt eintreten, und zwischen „schlechter“ Innovation in Form von Patenten, die eigentlich nur der Marktabschottung dienen. Aghion, Akcigit, Bergeaud, Blundell und Hemous zeigen, dass man hier genau hinschauen muss: „Innovation“ erhöht die soziale Mobilität gemäss ihrer Arbeit nämlich nur in jenen Regionen der USA, in denen es wenig Lobbying und Marktabschottung gibt.

Ihre Studie stützt damit Schumpeters alte Erkenntnis, dass die Innovationen neuer Unternehmen den Strukturwandel vorantreiben. Diese Innovationen schaffen nicht nur neue Formen der Wertschöpfung, neue Wachstumsbranchen und Arbeitsplätze, sondern verbessern auch die Chancen für sozialen Aufstieg. Nichtsdestotrotz trägt der technische Fortschritt zu höherer Einkommensungleichheit unter den Spitzenverdienern bei.

Michael Nuebler absolviert ein Masterstudium an der Universität St. Gallen. Mit der Initiative «Next Generation» ermutigt das Wirtschaftspolitische Zentrum der Universität St. Gallen ihre Nachwuchstalente, die Öffentlichkeit über Erkenntnisse der Wissenschaft zu informieren. Die besten Studierenden fassen wichtige Ergebnisse ausgewählter Publikationen in Fachzeitschriften zusammen.