150 Stellen bei ABB in Genf, 235 Stellen bei Roche im aargauischen Kaiseraugst, 180 Stellen bei Meyer Burger in Thun: Das sind nur drei aktuelle Beispiele von Arbeitsplätzen, die ins Ausland verschwinden. Mehr als jedes sechste Schweizer Unternehmen hat zwischen 2012 und 2015 die Produktion oder Teile davon ins Ausland verschoben.

Das geht aus dem European Manufacturing Survey - Schweiz (EMS-CH) hervor. Für die Schweiz hat die Hochschule Luzern (HSLU) 770 repräsentativ ausgewählte Firmen ab einer Grösse von 20 Mitarbeitenden befragt. Seit Beginn der Befragungen 2001 haben jeweils zwischen 15 und 23 Prozent der Firmen Stellen ins Ausland verlagert.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Automatisierung spricht für Schweiz

Eine Trendwende ist zwar noch nicht ersichtlich, doch es gibt einen Lichtblick. Denn die Automatisierung erlaubt es, auch in der Schweiz günstiger zu produzieren. Es braucht also weniger Mitarbeitende insgesamt, weil Routine-Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden können. Gefragt sind hingegen qualifizierte Fachleute, die diese Maschinen programmieren und bedienen können.

Und hier sehen Experten die Schweiz gut aufgestellt. «Der Vorteil der Schweiz ist die hohe Ausbildung», sagt Stefan Pfister, Chef der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG Schweiz. Laut einer KPMG-Publikation könnte die «digitale» Arbeit noch ein Drittel dessen kosten, was heute die Arbeit in Niedriglohnländern kostet. Und das, während gleichzeitig Qualität und Produktivität verbessert werden.

«Ich sehe eine ausgeprägte Tendenz, dass dank neuen Technologien wieder in Europa und der Schweiz produziert wird», sagt auch Matthias Ehrat von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Laut Ehrat tätigen Unternehmen derzeit Schlüsselinvestitionen in der Schweiz, holen die Teilefertigung und den Einkauf zurück und integrieren diese in die Schweizer Werke.

Ein Paradebeispiel für eine Rückverlagerung ist das Berner Traditionsunternehmen Wander. Das Unternehmen in britischem Besitz stellt seit diesem Jahr seinen Ovo-Brotaufstrich wieder komplett in Neuenegg BE her. Bisher lieferte es das Rohmaterial nach Belgien, wo es zum heutigen fertigen Produkt verarbeitet wurde.

4 Prozent kommen zurück

Bereits heute kann es sich also für Unternehmen lohnen, wieder in der Schweiz zu produzieren. Laut der EMS-Umfrage führen 4 Prozent der Unternehmen Rückverlagerungen durch - in der Fachsprache auch Reshoring genannt. «Es kommen vor allem kleinere Unternehmen zurück, die hauptsächlich aus Kostengründen ausgelagert haben», sagt HSLU-Professor Bruno Waser, Studienleiter bei EMS-CH.

Anders sieht die Lage bei international tätigen Unternehmen aus. Denn ihre Motivation dafür, im Ausland zu produzieren, ist eine andere: Sie wollen möglichst nah bei ihren Absatzmärkten sein.

Die Kosten sind für die meisten Firmen aber weiterhin der Hauptgrund dafür, ihre Produktion auszulagern, wie Waser sagt. Der starke Franken habe in den letzten Jahren die Kostenunterschiede noch verstärkt und damit die Auslagerungen befeuert. So haben seit 2012 die Auslagerungen zu- und die Rückverlagerungen abgenommen. «Der starke Franken hat dem Werkplatz massiv geschadet.»

Bei den Unternehmen, die zurückkämen, seien die Kostenvorteile oft nicht so gross ausgefallen wie erhofft, sagt Waser weiter. Zudem holten die Niedriglohnländer in Osteuropa und Asien bei den Löhnen und Lebenshaltungskosten auf. «Vor allem aber haben die Unternehmen oftmals mit der Qualität zu kämpfen und auch die Flexibilität ist nach der Auslagerung geringer», sagt Waser.

Langer Prozess

Überhaupt zieht die Wirtschaft ihre Lehren aus den Erfahrungen mit der Verlagerung. Während früher die Teilefertigung ins Ausland ausgelagert wurde und die Montage im Inland gemacht wurde, wollen die Unternehmen heute die Schritte, die zu einem Produkt gehören, zusammenhalten.

Der Vorteil dabei: Abstimmungsverluste werden reduziert, Transport und Logistik vereinfacht, wie Matthias Ehrat sagt. «Die Produktion von einfachen Produkten wird ganz ausgelagert, die Produktion von komplexen Produkten hingegen wird nun komplett hierzulande - in der Schweiz und in Süddeutschland - gemacht», sagt Ehrat.

Auch KPMG-Chef Pfister beobachtet, dass sich Unternehmen in jüngster Zeit vermehrt überlegen, die Produktion zurückzuholen. «Die Kostenvorteile werden kleiner», sagt er. Dazu biete die Produktion in der Schweiz Vorteile wie hohe Mitarbeiterloyalität, Rechtssicherheit und Datenschutz. Kulturelle Differenzen fielen weg. Gerade in Branchen mit hohem Innovationsgrad bestehe zudem die Gefahr, schnell zu veralten, wenn man nicht vor Ort produziere.

Rückverlagerungen geschähen allerdings nicht von heute auf morgen, sagt Pfister. Denn auch bei Schwierigkeiten im Ausland zögerten Unternehmen, die Produktion zurückzuholen. «Viele wollen ihren Investitionen im Ausland erst Zeit geben, sich auszuzahlen.»

Es sei oftmals schwierig, die Geschwindigkeit der Digitalisierung vorauszusagen. «Vor drei bis sechs Jahren ging es schneller, die Produktion auszulagern als auf die Automatisierung zu warten», sagt Pfister. Heute könne man allerdings die Ausmasse schon besser erfassen.

Wenig neue Arbeitsplätze

Die angefragten Experten sind sich allerdings einig: Viele Arbeitsplätze werden mit Rückverlagerungen nicht geschaffen. Denn diese sind gerade dadurch vorteilhaft, dass es dank der Automatisierung weniger Personal braucht.

Dennoch kann sich Reshoring positiv auf die Wirtschaft auswirken: «Die Firmen kaufen ihre Infrastruktur und Betriebsmittel beispielsweise in der Schweiz und beziehen die Vorleistungen und Dienstleistungen hier», sagt Waser. Und: Dank der Digitalisierung können auch bestehende Produktionsstandorte hier behalten und neue Firmen angezogen werden.

Bund fördert Rückkehr von Unternehmen nicht gezielt

In einigen Ländern will der Staat die Unternehmen mit Anreizen dazu bringen, wieder mehr im Heimatland zu produzieren. «Die politische Unterstützung ist nicht zu unterschätzen«, sagt KPMG-Schweiz-Chef Stefan Pfister. Die Schweiz hingegen ist zurückhaltend.

So buhlen in den USA viele Städte mit Steuervorteilen um die Unternehmen. Die Rückverlagerung, das sogenannte Reshoring, ist in den USA seit einigen Jahren ein Thema - auch schon bevor Donald Trump in den Präsidentschaftswahlen damit warb, Arbeitsplätze zurückzuholen. «In der Schweiz sind wir allerdings schon von der Kultur her zurückhaltend mit staatlicher Industriepolitik», sagt Pfister. «Zuerst schauen wir, dass es die Wirtschaft selber schafft.»

Tatsächlich steht das Thema hierzulande kaum auf der Agenda. Der Bundesrat betreibe keine Industriepolitik und damit auch keine explizite Förderung von Rückverlagerungen, schreibt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.

Entscheidend für die Unternehmen seien gute Rahmenbedingungen. Diese wolle der Bund kontinuierlich verbessern. Die Pflege der in der Schweiz ansässigen Firmen erfolge durch die Kantone beziehungsweise kantonalen Wirtschaftsförderstellen, die sich gegebenenfalls auch Rückverlagerungen annähmen.

Schweiz muss auf Bildung setzen

Einem staatlichen Anreizsystem skeptisch gegenüber steht auch HSLU-Dozent Waser. «Das ist politisch kaum durchsetzbar.» Und der Nutzen sei zweifelhaft. Wichtig sei es, gute Rahmenbedingungen für komplexe und anspruchsvolle Tätigkeiten zu schaffen. Diese werden heute häufig noch in der Schweiz behalten. Doch zeige sich, dass aufgrund mangelnder qualifizierter Fachkräfte einige Unternehmen bereits mit Auslagerungen von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten experimentieren.

Konkret schlägt Waser deshalb vor: In Bildung und Weiterbildung investieren. »Je schneller die Digitalisierung die Wirtschaft verändert, desto schneller muss sich auch die Qualifikation weiter entwickeln.» In den letzten Jahren sei bei der Weiterbildung viel Verantwortung an Mitarbeitende abgegeben worden - aus Spargründen sei die Unterstützung seitens der Firmen reduziert worden. «Das Potenzial liegt jedoch in der regelmässigen Aktualisierung der Mitarbeiter-Fähigkeiten durch neue Kompetenzen».

Zwar redeten die Politiker häufig darüber, wie wichtig Investitionen in die Bildung seien. Doch Bildungsinstitutionen, wie auch die HSLU, würden immer wieder Opfer kantonaler Sparaktivitäten. Auch Pfister plädiert für eine Stärkung der Bildung. Der Dialog zwischen Lehre und Wirtschaft müsse noch verbessert werden. «Dieser Prozess läuft - aber er muss sich beschleunigen.»

(sda/tdr)