Die Lausanner Kaderschmiede IMD hat die digitale Wettbewerbsfähigkeit von rund 60 Ländern weltweit verglichen. Die Schweiz kommt auf den Platz 5. Klar die Nummer 1 sind die USA. Vorne mit dabei sind auch Singapur sowie die nordischen Länder Schweden, Dänemark und Norwegen.

Aber wo ist das Land, das die Welt in Sachen Technologie staunen lässt und als neues Silicon Valley gilt? Man muss suchen, bis man das grosse China im Mittelfeld des Index entdeckt: auf Platz 30. Das Land, das bei selbstfahrenden Autos mächtig aufholt, in dem Self-Checkout-Läden die Norm sind und in dem User Zahlungen, Taxifahrten und Nachrichten in einer einzigen App abwickeln? Dieses Land soll bloss Mittelmass sein? Fast nicht zu glauben.

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Regulierung hemmen Wettbewerbsfähigkeit

José Caballero, Senior Economist beim IMD World Competitiveness Center in Lausanne, erklärt das Resultat: «China hat wie viele andere Länder bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit aufgeholt. Aber in unserem Index spielen einige Faktoren eine Rolle, nicht nur die Technologie».

China verfüge laut dem Index über einen gut ausgebildeten Nachwuchs. Aber die Auszubildenden und Studenten verfügen über wenig Erfahrung im Ausland – im Vergleich zu Studenten aus anderen Ländern. Zudem steckt der Staat noch immer relativ wenig Geld in die Bildung. Und in China sind Frauen mit einem Uni-Abschluss noch immer in der Minderheit.

Nicht nur bei der Bildung, sondern auch bei der Forschung habe China Nachholbedarf: Die Ausgaben für R&D pro Kopf lassen zu wünschen übrig. Der Bildungsbereich braucht in China also noch Nachhilfeunterricht: «Die Gründe für das Defizit in diesem Bereich liegen vor allem auch in den Sprachbarrieren», sagt Caballero

China tut sich aber auch schwer, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die digitale Wettbewerbsfähigkeit fördert: Die Einwanderungsgesetze sind streng, die Gründung eines Startups dauert länger als in anderen Ländern und auch die Rechte über geistiges Eigentum sind eingeschränkt. Zudem sind die Banken und Venture-Capital-Geber nicht sehr risikofreudig. «Der Staat unterstützt hingegen die technologische Entwicklung in China auf breiter Ebene», sagt Caballero. Aber China braucht auch mehr Wissen und Know-how von aussen: «Im Vergleich zu den USA kommen kaum ausländische Talente nach China», so Caballero.

Auch in Sachen Technologie ist das grosse Land gespalten: Einerseits gibt es einen rasanten, technologischen Fortschritt, aber auf der anderen Seite existieren noch nicht so viele Internet-User wie in anderen Ländern. Kein Wunder, bei 1,4 Milliarden Menschen.«Die Chinesen nehmen Technologie aber schnell an, vor allem die jüngere Generation ist sehr offen», sagt Caballero.

Es gehe beim IMD-Index aber nicht nur darum, ein Land im Umgang mit digitaler Technologie zu bewerten, sondern auch um die effektive Nutzung in der Bevölkerung. Dort bestehe in China nach wie vor ein Unterschied in den verschiedenenen Landesteilen und Bevölkerungsschichten. 

Der Staat und die Technologien

Dafür punktet das Reich der Mitte im IMD-Index bei der «Future Readiness». Dieser Wert zeigt auf, wie gut gerüstet ein Land für die digitale Zukunft ist. China befindet sich im oberen Drittel der Länder beim Anteil von Smartphones, bei der Agilität von Unternehmen, beim Online-Shopping oder der digitalen Partizipation am Staat.

Apropos Staat: Auch dort nimmt China eine Sonderrolle ein, die sich in den Zahlen niederschlägt: China nutzt viel Big Data, geht zahlreiche Partnerschaften im privat-öffentlichen Sektor ein und liegt in der Cybersicherheit ebenfalls vorne. Diese Faktoren sind natürlich von dem einmaligen Staatswesen beeinflusst. 

Die Zukunft klingt für das Land der Mitte aber vielversprechend. Aber noch ist nicht die ganze Bevölkerung vom «digitalen Fieber» aus Grossstädten wie Changdou oder Shenzen erfasst, sagt Caballero. «In Zukunft wird China aber all diese Faktoren noch beser ausbalancieren können.»