Zürich-Altstetten, Schlotterbeck-Areal: Auf dem Gelände der ehemaligen Grossgarage warten 108 Eigentumswohnungen auf ihre Bewohner. In Korridoren und Wohnungen riecht es nach frischer Farbe. Hier hört man noch Staubsauger, dort heult der Elektroschrauber eines Fensterbauers. Maler, Installateure und Putzequipen verleihen den neuen Wohnungen ihren letzten Schliff.

Wir testen die Immobilien-Bewertungs-App Quanto (siehe Box unten rechts) zuerst an einer soeben verkauften 4,5-Zimmer-Maisonette-Wohnung: Das Apartment bietet Sicht ins Grüne, moderne Ausstattung und etwas mehr als 100 Quadratmeter Netto-Wohnfläche. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Die überdurchschnittliche Raumhöhe und roh belassene Betondecken verraten, dass es sich hier um eine Umnutzung handelt: Eine Gewerbeliegenschaft hat sich zur urbanen Wohnsiedlung gewandelt. Urs Tschudi von der Bauherrschaft zeigt uns den notariell beurkundeten Vertrag für «unsere» Wohnung: Kaufpreis: 1,475 Millionen Franken. Für Zürich weder extrem günstig noch wirklich teuer.

Wie Quanto funktioniert

Quanto ist einfach zu bedienen: Mit dem Smartphone ein Bild von der Loggia aus in Richtung Küche machen, Wohnungsgrösse, Zimmerzahl und das Baujahr 2017 eintippen und schon erscheint das Ergebnis auf dem Display. Die App gibt einen Schätzpreis von 1,33 bis 1,815 Millionen Franken an. Mehrere Versuche zeigen, dass die App und das GPS zur Lagebestimmung in der Loggia und in der Küche funktionieren.

Hält man das Handy aber zu nahe an eine Wand oder ein Fenster, kommt die Meldung, man habe kein Gebäude, sondern ein Fenster fotografiert. Auch bei Spielereien – wenn man die Kamera etwa auf den Wellensittich oder die Katze hält – meldet Quanto, dass keine Immobilie im Bild sei.

Einwandfrei und besonders zuverlässig funktioniert die App, wenn man die Wohnung mit 20 oder 30 Metern Abstand von aussen fotografiert und danach die Angaben wie die Fläche ergänzt. Ob drinnen oder aussen: Das Preismodell ermittelt für unsere Testwohnung immer die gleiche Preisbandbreite.

Nimmt man die Mitte dieser recht grossen Bandbreite, liegt die App mit rund 1,57 Millionen leicht über dem Wert im Kaufvertrag. Der erste Eindruck: Die App taugt für die Praxis. Jeder Laie kann damit vor Ort eine Schätzung vornehmen. Die geschätzte Bandbreite ist im grünen Bereich, lässt aber keine Bewertung auf 100 000 oder gar 50 000 Franken Genauigkeit zu.

Der Lift führt uns in den 11. Stock des benachbarten Wohnturms. Dieser Teil des Schlotterbeck-Areals stellt den Neubauteil dar. Die oberen Geschosse bieten sehr viel Licht und Aussicht. Wir sind zwar nicht am noblen Zürichberg, dem hippen Seefeld-Quartier oder gar am exklusiven Ufer des Sees, aber es ist auf den ersten Blick doch eine hübsche Neubauwohnung. Sie bietet mittleren Standard, Weitsicht über die Stadt und gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Diese 3,5-Zimmer-Stockwerkeinheit mit 94 Quadratmetern kostet laut Verkaufsliste 1,79 Millionen Franken.

App weit unter dem Kaufpreis

Der Mehrpreis gegenüber der ersten Wohnung legitimiert sich durch die schönere Aussicht und exklusivere Lage innerhalb der Siedlung. Bei dieser Testwohnung liegt die App allerdings mit einer Bandbreite von 1,166 bis 1,58 Millionen Franken weit unterhalb des angegebenen Kaufpreises. Zu weit? Offenbar scheint das hinterlegte Bewertungsmodell die Besonderheit der Wohnung nicht richtig einschätzen zu können. Anderseits: Die genannten 1,79 Millionen Franken sind noch nicht untermauert, weil es ja eine der ganz wenigen noch nicht verkauften Wohnungen ist.

«Klar, dass der Kreis der Interessenten für diese Wohnung etwas kleiner ausfällt», so Urs Tschudi von der Bauherrschaft des Schlotterbeck-Areals. Er gibt sich aber sicher, dass der Preis marktgerecht ist. Zugleich räumt er ein, dass der von der App ausgegebene Schätzwert ziemlich genau die Grössenordnung spiegelt, die die Banken vor Ort abgesteckt haben. Wer diese Wohnung bei einer üblichen Belehnung von 80 Prozent über eine Hypothek finanzieren wollte, hätte einen etwas höheren Anteil eigener Mittel einschiessen müssen. Das lässt immerhin auch den Schluss zu: Die App scheint ähnlich zu ticken wie dieHypothekarbanken.

Test in der Greencity

Zum nächsten Test fahren wir mit der S-Bahn ins Neubaugebiet von Greencity am südlichen Stadtrand von Zürich. Ein Dutzend Baukräne ragen in die Luft. Nebst mehreren Bürogebäuden und Wohnhäusern mit zahlreichen Miet- und Kaufobjekten wurde hier kürzlich der Rohbau des Wohnhauses Wolo fertiggestellt. Da die Vermarktung bereits abgeschlossen ist, lässt sich über die offizielle Preisliste der Bauherrschaft ein zweiter Test machen.

Wir fotografieren eine günstige Erdgeschosswohnung von aussen. Sie ist ruhig gelegen, Ausrichtung direkt auf den künftigen Spinnereiplatz und den Tuchmacherkanal. Offizieller, beurkundeter Preis bei 88 m2 Fläche netto und natürlich ohne Garagenplatz: 826 000 Franken. Wir ergänzen mit den Objektangaben: Quadratmeter, Zimmerzahl, Baujahr.

Hier in Greencity liegt die App eindeutig zu hoch: Die Angabe der Bandbreite von 961 000 bis 1,308 Millionen Franken ist unbefriedigend. Die obere Grenze, die die App nennt, würde einem Quadratmeterpreis von fast 15 000 Franken entsprechen. Selbst mit einigen einfachen Erfahrungs- und Vergleichswerten würden auch Laien bald herausfinden, dass dies zu hoch gegriffen ist.

Erste indikative Schätzung

Roman Ballmer vom Beratungsunternehmen Iazi, welches die Daten für das Modell liefert und in dem die App entwickelt wurde, sagt: «Es geht mit der App um eine erste indikative Schätzung.» Das Preismodell, das Iazi seit 1994 verfeinert und weiterentwickelt habe, stütze sich ausschliesslich auf reale Transaktionsdaten auf dem Markt. Bei dieser sogenannten hedonischen Schätzungsmethode werden die Immobilien quasi in ihre einzelnen Merkmale «zerlegt»: Der wichtigste preisbestimmende Faktor ist der Standort, dann kommen Objekteigenschaften wie die Grösse oder das Baujahr.

Laut Roman Ballmer sei diese Methode bei den Schweizer Hypothekarbanken heute Standard. «Bloss mit dem Unterschied», so Ballmer, «dass man sich bei der App auf ganz wenige Faktoren beschränkt, während das Vollmodell für die Banken rund zwanzig Parameter einer Wohnung erfasst.» Erfahrungsgemäss liege die Schätzgenauigkeit mit dem Vollmodell bei plus/minus 10 Prozent. «Im Durchschnitt werden die Marktwerte auch mit der App richtig geschätzt, im Einzelfall ist aber wegen der Reduktion auf lediglich vier Faktoren mit einer erhöhten Schätzungsunsicherheit zu rechnen», räumt der Experte ein.

Für Michael Blaser (Blaser Gränicher AG), der den Verkauf von «Wolo» in Greencity federführend begleitet hat, ist der Ausreisser bei dieser einen Standardwohnung nicht plausibel: «Mir erscheint das Ganze eher als Spielerei. Gerade bei einer Überbauung wie Greencity, wo eine Menge aktueller Marktdaten verfügbar sind, ist eine solche grosse Abweichung vom tatsächlichen Verkaufspreis kaum entschuldbar.» Als Experte stösst er sich daran, dass das Schätzprogramm keinen klar definierten Richtpreis nennt, sondern lediglich eine ungefähre Bandbreite.

Schlotterbeck-Turm

Schlotterbeck-Areal in Zürich (oben, links): Der Turm ist das Wahrzeichen. Schätzpreis durch App: 1,33 bis 1,82 Millionen Franken. Kaupreis: 1,48 Millionen Franken

Quelle: ZVG

Tools für Laien

Sowohl Michael Blaser als auch Urs Tschudi vom Schlotterbeck-Areal bemängeln, dass mit einem Preisrange in einer Grössenordnung von 35 bis 40 Prozent wohl den wenigsten Kaufinteressenten gedient sei. «Die meisten Leute werden ja nicht beurteilen können, ob ihr Objekt nun eben eher im unteren oder im oberen Bereich anzusiedeln wäre», so Blaser. Allenfalls seien solche Tools der digitalisierten Immobilienwelt für Laien nützlich, um wenigstens einen ganz groben Anhaltspunkt zu erhalten. Anderseits wäre es doch verfänglich, weil sich dann mehr Leute mit «reinem Halbwissen berufen fühlen», komplexe Bewertungen vorzunehmen, warnt Blaser.

Vorbehalte meldet auch Lorenz Heim vom VZ Vermögenszentrum an: «Bei Beratungen oder auch Finanzierungen kommen wir zu wesentlich besseren Resultaten, wenn die Angaben vollständig von Fachleuten erfasst und die Ergebnisse dann auch auf ihre Plausibilität hin hinterfragt werden.» Als Schwäche von Quanto erkennt er, dass die Qualität der Lage innerhalb eines Gebäudes oder einer Siedlung vom System nicht berücksichtigt werde.

Der Einwand von Lorenz Heim dazu lautet: «In der Praxis macht es für die Preisbestimmung zum Beispiel einen unglaublichen Unterschied, wo genau dieWohnung liegt. Eine Stockwerkeinheit mit Blick an eine Wand oder Hecke im Erdgeschoss ist ja etwas ganz anderes als dieoberste Wohnung, die vielleicht See- oder Alpensicht bietet.»

Nach drei Testwohnungen in zwei ganz unterschiedlichen Siedlungen lautet unser Fazit: Quanto muss die Erfassung von Objekteigenschaften noch verfeinern. Aber die App kündigt an, was die Digitalisierung in der Immobilienschätzung bringt: Informierte Laien fordern Spezialistenwissen heraus. Doch wer als normaler Käufer sichergehen will, bei einem Immobiliengeschäft nicht übervorteilt zu werden, muss sich zwingend gründlicher informieren. Dafür gibt es professionelle Immobilienbewerter. Es kommt auch die Beurteilung einer Bank infrage. Oder man fängt an, selbst Vergleichswerte zu sammeln.

Die Apps Quanto der Bank Cler und HomeScan der Basler Kantonalbank BKB sind identisch. Beide Anwendungen stützen sich auf das gleiche Preismodell des Beratungsunternehmens Iazi. Die App ist kostenlos und funktioniert auf iPhones und auf Android-Handys. Die hinterlegten Marktdaten spiegeln die Preise von selbstgenutztem Wohneigentum. Bewertungen von Anlageobjekten sind nicht möglich. Voraussetzung für eine erste Einschätzung ist lediglich ein Bild vor Ort. Die Orts- beziehungsweise Bilderkennung ist vor allem wichtig, um die Lage einer Immobilie exakt zu erfassen (über das GPS des Handys).

Nachträglich können die Eingaben zur Zimmerzahl, Nettowohnfläche und das Baujahr präzisiert werden. Sofern ein Neubau schon so weit ist, dass zumindest ein Rohbau fotografiert werden kann, eignet sich die App auch für einen Kauf ab Plan. Daneben können natürlich auch bestehende Objekte, inklusive Ferienwohnungen, bewertet werden.