Es ist, als hätte auf der Karte eine unsichtbare Hand das Lineal angesetzt: Die Trennlinie zwischen Rüschlikon und Thalwil ist so scharf gezogen wie die Grenzen der ehemaligen Kolonialstaaten Nordafrikas – gemessen an den Wohneigentumskosten. Der Marchstein bildet die Grenze, an der Quadratmeterpreise von über 12 200 auf solche von zuweilen unter 10 000 Franken prallen. Anders als die Goldküste ist das linke Seeufer heterogen. «Kilchberg und Rüschlikon spielen preislich in einer eigenen Liga. Danach kommen Thalwil, Horgen und Oberrieden», sagt Daniel Dahinden, Präsident der Immobilienentwicklerin BH Holding in Horgen. Zwar ist die Wohneigentumsquote im Vergleich zum rechten Seeufer tief und liegt sogar unter dem Schweizer Mittel. Doch auch hier stiegen die Bodenpreise rasch. «Lag der Preis an einer Lage mit Seesicht in Horgen vor wenigen Jahren bei 2000 Franken pro Quadratmeter, kostet er heute 3000 bis 3500 Franken», sagt Dahinden. «In Kilchberg, Rüschlikon und Oberrieden liegen die Preise bei 5000 Franken und mehr.»

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Die Diskrepanz ist unter anderem der Anbindung geschuldet. Horgen ist verkehrstechnisch weniger gut in Richtung Zürich und Zug erschlossen als Thalwil. «Zudem ist Horgen eine grosse Gemeinde, was auch eine grössere Vielfalt der Lagen mit sich bringt, was zu tieferen Durchschnittspreisen führt», sagt Jacqueline Schweizer, Beraterin bei Wüest & Partner. Ausserdem ist der Steuerfuss höher als in Nachbargemeinden, ein Hemmschuh für gutbetuchte Zuzüger. Diese lassen sich seit Jahren gerne am rechten Seeufer nieder.

An der Schmerzgrenze. Anders als an der – scherzhaft so genannten – Pfnüselküste leuchtet die Karte für Wohneigentumspreise an der Goldküste von der Stadtgrenze bis nach Meilen fast durchwegs dunkelrot. Preise über 12 200 Franken pro Quadratmeter sind die Regel. Nicht mehr alle sind bereit, solche Preise zu bezahlen; selbst wenn sich die Sonne allabendlich im See spiegelt und Ferienfeeling aufkommen lässt. Das zeigt das Projekt Holengass oberhalb von Meilen. Dort bietet die Immobilienentwicklerin Allreal 17 Wohnungen der «Extraklasse» feil. Das permanente Feriengefühl kostet je nach Wohnungsgrösse 1,4 bis knapp 3 Millionen Franken. Bezugstermin war im Herbst 2012. Reges Treiben gab es in der Holengass nie. Neun Wohnungen stehen leer, acht sind verkauft. Der Quadratmeter kostet zwischen knapp 12 000 und etwas mehr als 14 000 Franken. Das ist zu viel. Die Fantasiepreise der Vorjahre werden heute kaum mehr bezahlt, beobachtet Allreal-Sprecher Matthias Meier: «Aktuell besteht im oberen Preissegment ein Überangebot. Deshalb gestaltet sich der Verkauf von hochpreisigen Objekten sehr schwierig. Aber das zeigt, dass der Markt spielt.»

Allreal griff zur branchenuntypischen Brechstange: Die Immobilienentwicklerin senkte jüngst die Preise. Und das nicht etwa klammheimlich, sondern hochoffiziell und gut erkenntlich auf der Website des Projekts. Mitbewerber dürften die Nase rümpfen. Preissenkungen im Luxussegment sind verpönt. «Beim Projekt Holengass in Meilen haben wir die Preise individuell um 10 bis 15 Prozent gesenkt», bestätigt Meier. Kein schlechter Deal. Die Drei-Millionen-Wohnung gibt es im besten Fall gut 440 000 Franken günstiger. Und auch jene, die bereits gekauft haben, sollen nicht darben. «Die bestehenden Käufer entschädigen wir mit einer freiwilligen Rückvergütung im Umfang von bis zu 5,8 Prozent des Kaufpreises», so Meier.

Leer stehende Eigentumswohnungen in Meilen, Herrliberg oder Erlenbach sind heute keine Seltenheit mehr, beobachtet Claude Ginesta, CEO von Ginesta Immobilien: «Eine Neubauwohnung kann heute nach Bezugstermin auch mal leer stehen. Bis die Objekte verkauft sind, dauert es heute viel länger als noch vor zwei Jahren.» Je weiter die Gemeinden von der Stadt entfernt sind, desto mehr Leerstände gebe es.

Was für das rechte Seeufer gilt, ist mittlerweile auch für das linke der Fall. Ob Rüschlikon, Kilchberg oder Horgen: «Es besteht ein Überangebot, wir haben längst in einen Käufermarkt gedreht», sagt Immobilienentwickler Dahinden. Das heisst: Die Preise sind nicht mehr in Stein gemeisselt. «Heute versuchen die Käufer, den Preis zu verhandeln, was ihnen teilweise auch gelingt.»

Verhandeln wie im Basar. Nicht bloss das Überangebot führt dazu. Vielen Interessenten fehlt das nötige Bargeld. Die Banken traten zuletzt auf die Bremse, finanzieren nicht mehr jedes Projekt und schätzen die Immobilien oft tiefer ein als die vom Markt vorgegebenen Kaufpreise. Die Folge: Die ersehnte Hypothek deckt nur einen kleinen Teil des Preises. «Viele Banken stehen unter Druck, da sie früher zu lasche Hypotheken verteilten. Nun überschiessen sie in die andere Richtung», so Ginesta.

Trotzdem scheint die Aussicht, den Preis verhandeln zu können, viele Interessenten auf die Immobilienportale zu locken. Bei Homegate klickten im August neun Prozent mehr Interessenten ein Inserat für eine Eigentumswohnung im Bezirk Meilen an (Herrliberg, Erlenbach, Küsnacht, Meilen, Zollikon) als im Vorjahr. Rund drei Prozent mehr waren es für den Bezirk Horgen (Thalwil, Rüschlikon, Kilchberg, Horgen). Den Immobilienbasar in den Seegemeinden haben die Immobilienentwickler selbst verschuldet. Sie überschwemmten den Markt mit zu grossen und zu teuren Eigentumswohnungen, die sie nur schwer loswerden. Zwar sind frei stehende Häuser weiterhin gesucht, aber «alle Eigentumswohnungen über zwei Millionen harzen mehr oder weniger», sagt Dahinden. Dass bei der Mittelschicht trotz tiefer Zinsen die Millionen nicht locker sitzen, ignorieren die Anbieter; und das Segment der Hochverdiener ist endlich. Mit dem strengeren Regime der Banken verschärft sich die Situation. Doch die Immobilienfirmen lernen. «Wir stellen heute einen Trend zu kleineren Wohnungen fest», sagt Ginesta. 3½-Zimmer-Wohnungen von 90 bis 100 Quadratmetern zu maximal zwei Millionen Franken verkauften sich recht gut. Alles andere liegt länger brach.

Schleppender Verkauf. In Horgen, einen Steinwurf vom Seeufer entfernt, baut Specogna Immobilien 24 Luxuswohnungen. Nach einem Jahr sind elf Wohnungen verkauft, zwei in Vorbereitung. Das sei «zufriedenstellend», sagt David Gränicher von Wüst und Wüst, die den Verkauf organisiert. Kaufinteressenten nähmen sich heute bis zum definitiven Entscheid länger Zeit. Dass der Verkauf wegen der angrenzenden Kläranlage schleppend verlaufe, verneint Gränicher. Dass auch der Bauherr einziehen werde, bestätige dies, so Gränicher. Die Anlage habe «weder visuell noch durch Immissionen einen spürbaren Einfluss auf das Projekt» – wohl aber einen psychologischen.

Doch der spielt in den meisten Fällen keine Rolle. Was zählt, ist der Preis. Ob in Rüschlikon, Kilchberg oder Meilen: Er ist nicht mehr sakrosankt. Das Beispiel Allreal könnte Schule machen.

 

  • Teil 2, BILANZ 21/2013: 
    Immobilienkompass für die Regionen Bern und Basel
  • Teil 3, BILANZ 22/2013: 
    Immobilienkompass für die Regionen Luzern und Zug
Andreas Güntert
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