BILANZ: Wie viele Einwohner zählt Hethel?
Dany Bahar:
Keine Ahnung, aber eine Grossstadt ist es nicht.

Es sind 446 Einwohner und ebenso viele Truthähne. Wie gefällt es Ihnen in der britischen Provinz?
Gut. Die Landschaft ist unheimlich schön, das Dorf liegt in Norfolk acht Meilen von der Küste entfernt, die ist wunderbar und erinnert an britische Romantikspielfilme.

Der Lotus-Hauptsitz liegt im Niemandsland. Sind Sie deshalb ständig auf Achse? Letzte Woche in Los Angeles, diese Woche in Kuala Lumpur?
Ich bin sehr viel unterwegs, aber nicht, um Hethel zu entfliehen. Meine Familie und ich gewöhnen uns langsam an die Gegend und fühlen uns wohl. In Los Angeles war ich an der Motorshow, nach Kuala Lumpur fliege ich wegen Meetings mit unserem Mehrheitsaktionär Proton.

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Heute Hethel, vorher Maranello, Salzburg, Vaduz, Dubai, Wil, St.  Gallen, Surlej im Engadin, Istanbul. Dany Bahar, der rastlose Manager, stürmt durch die Welt?
Meine Frau hat mich schon kritisiert, bei erfolgreichen Managern sehe die Laufbahn anders aus: Zürich, London, New York. Im Ernst: Ich bin aus geschäftlichen Gründen viel umgezogen.

Also doch rastlos?
Zur Pensionierung niederlassen will ich mich noch nicht. Ich tendiere zu Jobs, in denen ich etwas aufbauen und bewegen kann. Und wenn etwas steht, suche ich den Wechsel. Dann ist der Kitzel, die Herausforderung, nicht mehr so gross.

Sie sind der Anreisser, nicht der Konsolidierer.
Wenn die richtigen Leute am richtigen Platz sind, die Strategie klar ist, die wichtigsten Entscheide umgesetzt sind und die Richtung stimmt, suche ich mir in der Regel eine neue Herausforderung. Die Aufgaben sind am Anfang spannend, aber nach einiger Zeit werden sie zur Routine.

Andere bleiben Jahre und wollen die Firma weiterentwickeln.
Ich wechsle nicht jeden Monat den Job. Bei Red Bull blieb ich fast vier Jahre, bei Ferrari drei. Aber meine Leidenschaft ist nicht das Aussitzen. Dinge zu wiederholen, langweilt mich.

Sie bleiben also nur ein paar Jahre bei Lotus?
Wenn wir den Turnaround hinkriegen, werde ich finanziell am Erfolg beteiligt sein. Dann wird Lotus mein letzter Job als Angestellter sein.

Und wenn es ein Fiasko wird?
Daran denke ich nicht. Und wenn es so weit käme, verliere ich meinen Job als CEO und suche mir einen neuen. Ich bin da sehr nüchtern und nehme es sportlich.

Sie halten ein 20-Prozent-Paket an Lotus, heisst es.
Ja, ich bin mit einem Aktienpaket bei Lotus investiert. Die Mehrheit gehört Proton.

Wie viel haben Sie bezahlt?
Es ist mit Proton vereinbart, dass über diese Zahlen nur intern gesprochen wird.

Ihr erster Arbeitstag bei Lotus?
Daran kann ich mich noch genau erinnern: Es war der 1. Oktober 2009 – der schrecklichste Arbeitstag meines Lebens.

Da kommt ein 36-jähriger Schweizer, der noch nie eine Firma führte, und will den Briten beibringen, wie man Autos baut?
Klar war das alte Management mir gegenüber nicht positiv eingestellt. Ich machte schon im Vorfeld klar, dass es nicht so weitergehen würde. Ich habe auch gesagt, dass ich die Marke neu positionieren will. Mein Augenmerk galt in erster Linie den Zahlen.

Lotus ist nicht rentabel.
Die letzten 15 Jahre schrieb die Firma nur Verluste. Also lautete meine Ansage folgendermassen: Entweder mein Weg, oder es gibt für euch keine Zukunft.

Da kam also einer, der meinte, er sei besser als alle andern?
Ich bin kein Besserwisser, und ich bin auch nicht Superman. Mir war stets klar, dass ich ein hoch qualifiziertes Team um mich scharen muss. Es gab bald sehr positive Entwicklungen.

Sie meinen den Rausschmiss des gesamten Managements?
Nein, viel wichtiger sind das mittlere Management und die Basis, die in der Regel bleiben. Diese Leute waren sehr verunsichert. Sie wussten nicht, dass ihre Firma seit Jahren defizitär war und der Absatz stockte. Ich sagte ihnen: «Leute, ich erzähle euch keine Märchen, das ist die brutale Wahrheit. Entweder wir brechen gemeinsam auf zum Erfolg, oder wir sterben in Schönheit.»

Kam die Botschaft an?
Wenn Sie heute, ein Jahr später, durch die Fabrikhallen gehen, weht ein ganz anderer Geist. Vom einfachen Karosseriespritzer, Spengler über den Monteur bis zum Ingenieur – von diesen Leuten geht eine unheimliche Energie aus. Sie merkten: Das ist unsere letzte Chance. Man spürt das direkt. Jeder will dabei sein, jeder will diese Legende des Automobilsports wieder erstrahlen lassen. Dass auch die Konkurrenz an den Erfolg von Lotus glaubt, hat sich in der Anstellung von Topmanagern gezeigt.

Sie holten 20 Leute aus der Automobilindustrie Europas.
Da sind Topleute von Topmarken – von Ferrari, Porsche, Mercedes, Aston Martin – zu uns gekommen. Die glaubten an dieses Projekt. Zusätzlich gewannen wir Bob Lutz als Berater.

Ihr Personalbudget muss unbeschränkt sein.
Wir zahlen marktübliche Löhne, aber keine Spitzenlöhne. Nein, die Motivation dieser Spitzenkräfte ist vergleichbar mit meiner Motivation. Ich hatte ein tolles Berufsleben bei Ferrari, die Karriere war vorgegeben. Aber man bleibt letztlich ein anonymes Rad eines Grosskonzerns. Bei Lotus sind wir ein kleines Team, das gemeinsam etwas bewegen und die Firma in eine neue Richtung lenken kann. Wir alle sind keine Theoretiker, sondern Manager, welche die Ärmel hochkrempeln. Nehmen Sie zum Beispiel Wolf Zimmermann, eine Ikone der deutschen Automobilindustrie, er war der Technische Direktor von Mercedes AMG, der Sportfahrzeugabteilung von Mercedes. Dort geht man nach 17 Jahren nicht weg, wenn man nicht eine Vision hat. Herrlich, mit wie viel Leidenschaft Wolf über Technik reden kann.

Wie viel kriegt Ferrari-Chefdesigner Donato Coco, damit er von einer heissen Marke auf eine schlappe umsteigt?
Glauben Sie mir: Es geht hier nicht primär ums Geld. Donato Coco ist bei uns nicht besser bezahlt als in Maranello. Er hat bei Ferrari in einem grossen Team gearbeitet, alle paar Jahre kam ein neuer Wagen heraus. Aber bei uns konnte er in einem Jahr fünf neue Autos entwerfen. Das hat er in seiner Karriere noch nie erlebt. Ein Wahnsinn. Wenn Sie ihn heute fragen, ob er vor einem Jahr etwas anders gemacht hätte, dann sagt er Ihnen, er hätte wohl seinen Vertrag noch schneller unterschrieben.

In der Regel dauert die Entwicklung eines Wagens mindestens zwölf Monate. Bei Ihnen solls fünfmal schneller gehen.
Klar ist unser Fahrplan sehr ambitioniert, aber wir sind mit Tempo unterwegs.

Nochmals: Fünf neue Modelle in fünf Jahren schafft keiner, Porsche arbeitet ein Jahr an einem Modell.
Richtig, es gab noch nie eine Autofirma, die fünf Prototypen herstellte, wie Lotus es für den Autosalon in Paris getan hat. Ausserdem werden die künftigen Lotus-Sportwagen nicht mehr viel mit den alten zu tun haben, ausser mit der Kernbotschaft: natürlicher, leichter, effizienter, ökologischer und preiswerter als die Konkurrenz. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen.

Proton will 1,2 Milliarden Franken in die Wiedergeburt von Lotus stecken. Genügt dieses Geld für alle Ihre Ambitionen?
Grosse Autofirmen geben gut eine Milliarde Franken für die Entwicklung eines neuen Wagens aus. Wir machen das für 200 bis 250 Millionen pro Stück. Da wir aus Ingenieurssicht eigentlich nur zwei bis drei Autos von Grund auf entwickeln, liegen die Kosten unserer Produkterneuerung unter einer Milliarde.

Sie operieren nur mit kleinen Stückzahlen, also wird ein Wagen teuer. Sie profitieren nicht von Skaleneffekten.
Wenn ich von unserem Businessplan nicht überzeugt wäre, sässe ich nicht hier. Wir produzieren heute 2400 Wagen, ab Ende 2012 werden wir alle zwölf Monate ein neues Fahrzeugmodell auf den Markt bringen. In fünf Jahren verkaufen wir 7000 bis 8000 Stück. Da Lotus nicht stark genug ist, um dieses Ziel mit einem einzelnen Modell zu erreichen, brauchen wir fünf Modelle, um auf diese Stückzahlen zu kommen.

Wann wollen Sie rentabel sein?
Das sollte 2015 der Fall sein, wenn wir die angesprochenen Stückzahlen erreichen. Da steckt ein exakter Businessplan dahinter. Unser Hauptaktionär ist börsenkotiert, alles wird detailliert geprüft. Man hat während 15 Jahren in die Firma investiert, nun will man einen Return sehen. Unser Ziel ist es, in ein paar Jahren auf Augenhöhe mit Ferrari oder Porsche zu fahren.

Sie stecken viel Geld ins Marketing. Fotomodell Naomi Campbell arbeitet nicht gratis.
Naomi ist eine Freundin unserer Marke, beim Design des neuen Lotus Evora gab sie sogar ein paar Tipps. Auch Brian May, der Gitarrist von Queen, ist einer unserer Markenbotschafter. Brian ist ein riesiger Autofan. In Los Angeles waren auch Demi Moore und Sharon Stone bei uns. Sharon fuhr vor bald 20 Jahren im Film «Basic Instinct» mit einem Lotus Esprit durch San Francisco.

Eben, Weltstars kosten.
Wir können nicht wie andere Marken Millionen für VIP auf den Tisch legen. Wir versuchen es mit einem Netzwerk aus Beziehungen und mit dem Reiz einer Legende. Sie erinnern sich: Auch Roger Moore als James Bond oder Julia Roberts in «Pretty Woman» fuhren einst einen Lotus. Das sind Anknüpfungspunkte.

Unter Ihnen soll Lotus leistungsfähiger und ökologischer werden. Kein Widerspruch?
Nein, auch die Sportwagen der Zukunft müssen ökologischer werden. Der Käufer will natürlich einen starken und lauten Motor, will Leistung, Technologie und Design. Aber in der Stadt ist Ökologie ein wichtiges Thema. Deshalb bieten wir unsere Modellpalette künftig mit Hybrid an, als einziger Autohersteller. Abgesehen davon ist unser CO2-Ausstoss im Vergleich zur Konkurrenz bereits heute sehr niedrig. Der Emissionswert liegt beim Evora unter 200 Gramm, die Konkurrenz liegt bei 250 Gramm, ein Ferrari über 300 Gramm. Unsere Effizienz haben wir den 700 Ingenieuren zu verdanken, die bei Lotus Engineering arbeiten und für alle Autohersteller innovative Technologien produzieren. Wir haben auch das Elektroauto Tesla entwickelt. Jährlich produzieren wir 1000 Stück davon, nur weiss das kaum jemand.

Sie wollen auch 30 Prozent günstiger sein als die Konkurrenz. Ein Marketingspruch?
Die Margen bei Sportwagen sind hoch, bei einem Aston Martin oder einem Ferrari sogar extrem hoch. Wir wollen etwas weniger verdienen, dafür aber einen neuen Markt erschliessen. Den Lotus Elise wird es bereits ab 39 000 Euro, den viertürigen Eterne ab 138 000 Euro geben.

Lotus, der Prokuristen-Sportwagen?
Warum nicht? Mir sind auch Prokuristen als Käufer lieb. Lotus hatte nie überrissene Preise, stets eine ehrliche Preisgestaltung.

Vor Lotus waren Sie bei Ferrari zuständig fürs Merchandising-Geschäft, richtig?
Ich war verantwortlich für das gesamte kommerzielle Automobilgeschäft, für Verkauf, Marketing, Lizenzen, Merchandising, sogar für Service und After Sales, ein richtiger Gemischtwarenladen. Nur Engineering, Entwicklung und Rennsport fehlten.

Und bei Red Bull? Waren Sie da wirklich die Nummer zwei?
Ich war mit Dietrich Mateschitz für die Diversifikation, die den Aufbau der Marke unterstützt hat, verantwortlich. Wir haben damals Teams in Sportarten, die zur Marke passten, aufgebaut. Wir sind bei Nascar eingestiegen, haben ein eigenes Formel-1-Team und einen Fussballclub aufgebaut und sind ins Mediengeschäft gegangen. Gemeinsam mit Herrn Mateschitz haben wir diese Geschäftsfelder gesteuert. Red Bull ist eine unglaubliche Firma. Titel und Hierarchien sind nicht so wichtig. Red Bull ist ein Unternehmen, das von einem einzigen Menschen gesteuert wird.

Inwiefern unglaublich?
Red Bull war meine intensivste Zeit. Die Firma ist unglaublich effizient. Am Morgen wird entschieden, am Nachmittag umgesetzt. Es gab nur eine Richtung – nach vorne. Man lebt dort für die Marke, die Identifikation ist fast schon unheimlich. Wir wollten mit Red Bull die Welt erobern.

Was haben Sie gelernt?
Wie Dietrich Mateschitz Marketing definiert und umsetzt und in welchem Tempo er das tut – das ist Weltklasse. Logisch, versuche ich, einige Dinge so bei Lotus umzusetzen.

Es heisst, Sie hätten sich mit ihm überworfen und seien rausgeschmissen worden.
Diese Geschichte habe ich gehört, aber Sie müssen nicht alles glauben, was erzählt wird.

Wie haben Sie Ihre Jahre bei Ferrari erlebt?
Bei Red Bull erschien man in Jeans und offenem Hemd, bei Ferrari waren Anzug und Krawatte angesagt. Ferrari ist als sehr elitäres Luxusprodukt positioniert. Das einzige Manko ist die Kundschaft, die langsam ins Alter kommt. Präsident Luca di Montezemolo hat verlangt, dass auch eine jüngere Generation angesprochen werde. Deshalb brachten wir den Ferrari California auf den Markt. Das war der erste Wagen, der aufgrund von exakten Marktanalysen lanciert wurde.

Mateschitz und Montezemolo, Ihre Lehrmeister?
Ganz sicher. Beide sind extrem charismatisch, beide sind die Marke in Person. Mateschitz ist der Unternehmer, der Stratege und der rastlose Marketingprofi. Di Montezemolo füllt jeden Raum mit seiner Persönlichkeit. Beide sind sehr fordernd, pushen von morgens bis abends. Aber sie sind auch sehr grosszügig bei einer Topleistung. Montezemolo verteilt viel Lob, kann aber bisweilen laut werden. Emotionen gehören zur italienischen Kultur, da darf man sich nicht verunsichern lassen. Beide Firmen sind toll aufgestellt, bei Ferrari spielt der Corporate-Aspekt eine grosse Rolle, weil man über Fiat börsenkotiert ist. Bei Red Bull entscheidet nur einer, Mateschitz.

Sie haben in der Schweiz eine Tellerwäscherkarriere hingelegt – als Secondo aus einfachen Verhältnissen.
Ich stehe am Morgen nicht vor dem Spiegel und klopfe mir auf die Schultern, wenn Sie das meinen. Ich schaue allerdings nie rückwärts und plane auch nicht die Zukunft. Ich will einfach meinen Spass in der Gegenwart.

Es heisst, Sie seien ein Einzelgänger.
Ich würde sagen, mich gibt es in zweifacher Ausfertigung: Im Job kann ich Leute begeistern. Da bin ich wie ein Fussballcoach, der den Spielern eine Taktik mitgibt. In der Pause weise ich darauf hin, was gut und was schlecht war, aber auf dem Feld muss sich jeder Einzelne selbst beweisen. Doch letztlich bin ich ein Teamplayer. Ich brauche starke Leute in meiner Umgebung. Im Privatleben bin ich eher ein Einzelgänger. Mein einziges Universum ist meine Familie. Ich habe keinen grossen Freundeskreis, gehe kaum an öffentliche Anlässe. Öffentliche Auftritte sind mir eher eine Qual. Es liegt mir nicht, vor Leuten zu reden.

Im Club zum Rennweg in Zürich sind Sie unter Freunden.
Ich war beim Aufbau des Clubs dabei und freue mich, dass er floriert. Ich habe da einige gute Freunde, mit denen ich mich austausche. Leider bin ich nur selten in der Schweiz und deswegen wenig im Club.

 

Der 37-jährige Dany Bahar ist auf der Überholspur. Nach diversen Jobwechseln heuerte er beim Vermögensverwalter Fritz Kaiser an, dann bei Dietrich Mateschitz, schliesslich bei Ferrari. Seit einem Jahr ist er CEO des Sportwagenherstellers Lotus, der seit 1996 dem malaysischen Autokonzern Proton gehört. Geschätzter Kaufpreis: 100 Millionen Franken. Die defizitäre britische Tochter macht rund 250 Millionen Franken Umsatz.