Als Facebook-Chef Mark Zuckerberg seine neue Währung Libra vorstellte, regnete es ohne Verzug Kritik. «Kann nicht, darf nicht passieren», erklärte Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire. Im US-Kongress stehen Hearings an und nun fordert die deutsche CDU rasch einen staatlichen Krypto-Euro, um Libra zu kontern. Dollar, Euro, auch Franken – das sind heilige Kühe. Und die Aussicht, neue Kräfte könnten den Gang der Dinge mitbestimmen, gefällt nicht allen.

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Dabei ist der Währungsaspekt nur das erste Kapitel von Facebooks Plänen, endlich im Finanzwesen Fuss zu fassen. Ebenso wichtig sind mittelfristig die Dienstleistungen, die der Konzern und seine Alliierten rund um das neue Geld anbieten wollen. Sie stehen noch nicht im Scheinwerferlicht und über konkrete Projekte ist noch nichts bekannt.

Der Wettstreit um das künftige Finanzsystem ist voll entbrannt.

Libra wird Buchhaltungssystem sein

Doch in den Whitepapers zu Libra, den technischen Erörterungen, sind die Grundlagen klar ersichtlich. Libra wird eine Währung, ein Buchhaltungssystem sein, mit dem spezielle Computerprogramme sehr gut umgehen können. Programmierbares Geld, lautet das Stichwort. Facebook entwickelt die dazu passende Programmiersprache. Sie heisst Move. Und sie wird auf einfache Weise Dienstleistungen mit Libra ermöglichen, die wir heute in der breiten Masse nur von traditionellen Finanzakteuren erwarten: Kredite, Verzinsung, Derivate, Handel.

Die Technologie dafür hat Facebook nicht selber entwickelt. Seit Bitcoin vor zehn Jahren in die Welt gesetzt wurde, hat sich ein ganzes Ökosystem mit Tausenden von Entwicklern rund um programmierbares Geld gebildet. Und es gibt bereits Dutzende von konkreten Anwendungen und funktionierenden Dienstleistungen, die fernab von klassischen Banken entstanden sind.

Das sind längst keine Hirngespinste mehr. Unter dem Begriff Decentralized Finance oder kurz Defi werden bereits täglich Dutzende von Millionen Dollars in neuen Assets und Währungen herumgeschoben, investiert und ausgeliehen. Aktuell sind weltweit 850 Millionen Dollar auf diese Weise in neuen Vehikeln parkiert. Das sind natürlich im Vergleich zur etablierten Finanzwelt Peanuts. Aber die monatlichen Zuwachsraten sind zweistellig.

Der Erfolg hat eine Ursache: tiefe Einstiegshürden. Die Blockchain-Technologie erlaubt es fast jedem Software-Crack, quasi aus dem Nichts heraus funktionierende und vertrauenswürdige Dienstleistungen aus dem Boden zu stampfen, ohne auf die etablierten Finanzkonzerne angewiesen zu sein. Zu welchen Umwälzungen tiefe Einstiegshürden führen können, hat sich im Bereich der Informationsverbreitung mit E-Mail, Webpages und Social Media bereits gezeigt.

Und nun Facebook. Natürlich steht noch in den Sternen, ob das Projekt Libra global wirklich jene Schlagkraft erhält, welche sich Zuckerberg erhofft. Die Bedeutung jedenfalls wäre enorm, wenn irgendwann in zehn Jahren zahlreiche Finanzdienstleistungen über die entstehende Infrastruktur von Libra abgewickelt würden.

Wäre das zu viel Power für den wegen seiner Datensammlung und Einflussmacht ohnehin arg kritisierten Konzern? Zumindest gewinnen derzeit jene Stimmen Auftrieb, die eher für ein engeres Korsett plädieren. «Für die Geschäftsbanken wächst da ernsthafte Konkurrenz heran und das dürfte in Debatten um Privatsphäre und Datenmonopol weiter befeuern», sagt ein Kryptoinvestor an der Crypto Valley Conference diese Woche in Zug. Und Scott Shay, Präsident der New Yorker Signature Bank, spricht laut dem Portal Coindesk vom «grössten Fall für Wettbewerbsbehörden der Geschichte».

So gelingt der Einstieg

Abenteuer Im Prinzip funktioniert bereits alles in der neuen Welt der dezentralisierten Finanzen. Davon zeugen die Tausenden von Transaktionen und Millionen von Dollars, die täglich verschoben werden. Und trotzdem ist die Sache vorderhand nur etwas für abenteuerlustige Technikfreaks.

Krypto Zum Start muss man überhaupt erst einmal Franken in eine Kryptowährung, etwa Ether, tauschen. Das geschieht beispielsweise über regulierte Anbieter wie Coinbase (USA), Bitcoin Suisse oder Bity (beide CH).

Adresse Danach müssen die Ether auf ein Konto (im Jargon «Adresse») transferiert werden, das man selber kontrolliert. Eine solche Adresse erstellt etwa Metamask. Das Programm ist eine Erweiterung für den Internetbrowser, muss installiert werden und ist so etwas wie das Tor zum sogenannten Web 3 mit all seinen Token.

Anwendung Dank Metamask können nun die eigentlichen Websites (siehe rechts) angesteuert und sofort genutzt werden. Trotzdem: Um nicht zerrieben zu werden, sind zusätzlich minimale Kenntnisse über das Funktionieren von Blockchain-Transaktionen unabdingbar.

Mehr Effizienz, weniger Kosten

Konkurrenz könnte dem Libra-Projekt womöglich aus Anwendungen der Decentralized Finance erwachsen. Projekte für Kredite und Börsen wie Maker DAO, Compound, Uniswap und Dydx (siehe Info-Box unten), aber auch Derivateplattformen wie Augur oder Synthetix haben einen Vorteil: Hier müssen sich die Nutzer nicht auf einen zentralen Akteur wie das Facebook-Konsortium verlassen.

Stattdessen interagieren sie nur mit einem nicht veränderbaren Programm. Das alles fördert Effizienz, Transparenz, Sicherheit und soll letztlich die Kosten senken.

Diese Woche ging ein weiteres Projekt live, eine Lotterie. Der Clou dabei ist, dass alle Teilnehmenden ihr einbezahltes Geld zum Beispiel nach einer Woche zurückerhalten. Und trotzdem erhält eine mittels Zufall ermittelte Person einen Gewinn. Das Geld für den Gewinner speist sich aus den Zinsen, die zwischenzeitlich auf den einbezahlten Geldern angefallen sind. Vollautomatisiert, unkorrumpierbar, effizient. Ausser dem Lotteriespieler ist zu keinem Zeitpunkt je ein Mensch in den Prozess involviert.

Eine Spielerei, gewiss. Aber sie zeigt, was dank der neuen Technologie und Einfallsreichtum im Bereich Decentralized Finance möglich wird.

Das sind die neuen Finanzdienstleister

Maker DAO

Kredit Makerdao.com ist der König unter den neuen Anwendungen mit den meisten Nutzern und dem grössten Volumen. Im Kern ist Maker DAO eine Kreditplattform. Um einen Kredit zu kriegen, muss der Kreditnehmer eine Sicherheit hinterlegen. Zurzeit ist nur die Währung Ether als Sicherheit akzeptiert, aber andere kommen dazu.

Dollar Der Kredit wird dann in Dollar bezogen. Genauer gesagt in einer Kryptowährung namens DAI, die an den Dollar gekoppelt ist. Das Ganze funktioniert ohne Gegenparteirisiko, weil die Sicherheit (das Collateral) zu jedem Zeitpunkt mehr Wert aufweisen muss als der bezogene Kredit.

Zinsen Sinkt der Wert des Collateral zu stark, so wird es vollautomatisiert über den Markt verkauft und mit dem Erlös der Kredit ebenfalls automatisch zurückbezahlt. Die Zinsen für einen Kredit schwanken: Im Frühling waren es 2 Prozent jährlich, aktuell sind es 16.

Uniswap

Börse Auf uniswap.exchange können zahlreiche neue digitale Assets, auch Franken, gekauft und verkauft werden. Die Gebühren sind tief, die Transaktionen innerhalb von Sekunden erledigt. Zu keinem Zeitpunkt müssen die eigenen Assets vor dem Tausch der Börse in Obhut gegeben werden. Das schafft Sicherheit.

Preis Uniswap nutzt die ganze Kraft der Mathematik. So verzichtet die Plattform auf ein Orderbuch, in dem Kauf- und Verkaufaufträge gelistet wären. Stattdessen bestimmt ein Algorithmus das Tauschverhältnis zwischen zwei Assets. Je mehr jemand vom einen Asset kaufen will, desto mehr muss er vom andern liefern.

Liquidität Damit das Ganze funktioniert, muss das Uniswap-Programm über grössere Mengen der Assets verfügen können. Diese Liquidität stammt von Nutzern. Sie werden im Gegenzug mit Gebühren entschädigt.

Compound

Sparzinsen Die Plattform compound. finance stellt ebenfalls wie Maker DAO klassische Dienstleistungen von Banken zur Verfügung, nur etwas breiter gefächert. Wer der Plattform Assets wie die Währungen Ether, DAI oder Token wie BAT und REP zur Verfügung stellt, erhält darauf Zinsen.

Kreislauf Diese Zinsen werden bezahlt von anderen Nutzern der Plattform, welche diese Assets als Kredit beziehen wollen. Natürlich müssen sie wie bei Maker DAO Sicherheiten hinterlegen. Im Kern entsteht da ein ganz normaler Kreislauf zwischen Einlagen und Krediten wie bei den Banken.

Automatisiert Der grosse Unterschied: Die Einlagen und Kredite werden vollautomatisert von einem unkorrumpierbaren Programm auf einer Blockchain abgewickelt. Es gibt keine Instanz, die in das Geschehen eingreifen und etwa Assets veruntreuen oder blockieren könnte.

Dydx

Leverage Die Website dydx.exchange ermöglicht, was im normalen Finanzwesen Alltag ist: den Handel mit Leverage. Es geht also darum, überproportional zu profitieren, wenn sich der Wert eines Assets in jene Richtung bewegt, auf die man gesetzt hat. Oder aber im ungünstigen Fall überproportional Verluste einzufahren.

Assets Dydx offeriert das Traden erst von wenigen Assets, ist die Plattform doch erst vor kurzem live gegangen. Wie bei allen Defi-Apps ist auch bei Dydx kein Vertrauen in einen Betreiber oder in eine Gegenpartei nötig. Das Programm (sogenannte Smart Contracts) und die hinterlegten Sicherheiten garantieren automatisiert die Korrektheit der Finanzgeschäfte.

Gebühren Handelsgebühren fallen keine an. Die Entwickler des Programms zweigen allerdings einen kleinen Teil der auf der Plattform anfallenden Zinsen ab.