Die Wirtschaftselite tagt derzeit in Davos. Dort diskutieren die Teilnehmer über die Zukunft der Wirtschaft und der Finanzmärkte, im festen Glauben, darauf wesentlichen Einfluss zu haben.

Doch die wahre Macht sitzt ganz woanders, wenn auch gar nicht weit entfernt. Sie versteckt sich in einem Gebäude im Stil der 20-er Jahre an der Börsenstrasse 15 in Zürich. Es ist die Schweizerische Nationalbank.

Von den wenigsten bemerkt, hat sie sich in den vergangenen Monaten zu einem der grössten Spieler der Finanzwelt entwickelt. Wenn sie wollte, könnte sie inzwischen Europas Staatsanleihenmarkt über Nacht kippen lassen, sie kann darüber entscheiden, wohin in Deutschland die Zinsen drehen und sie ist sogar Grossaktionär bei diversen Firmen.

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Satte Gewinne mit Devisenreserven

«Die Schweiz ist inzwischen einer der grössten Hedgefonds der Welt», sagt Christian Heger, Chefanlagestratege bei HSBC Global Asset Management in Deutschland. Rund 430 Milliarden Franken (350 Milliarden Euro) schiebt sie hin und her, und macht damit satten Gewinn.

Bei dem Geld handelt es sich um die Devisenreserven, die das Land in den vergangenen zwei Jahren aufgehäuft hat. Dies ist eine unmittelbare Folge der Entscheidung der Schweizer vom September 2011, die Aufwertung des Franken zu stoppen. Damals zurrte die Schweizerische Nationalbank (SNB) über Nacht den Kurs bei 1,20 Franken je Euro fest und begann diese Schwelle mit allen Mitteln zu verteidigen.

Das bedeutete: Wann immer der Kurs darunter zu sinken drohte, druckte die SNB Franken und verkaufte sie am Devisenmarkt. So hielt die Schwelle eisern. Gleichzeitig stapelten sich in den Tresoren dadurch mehr und mehr Euro und Dollar, die sie im Austausch für die frisch gedruckten Franken erhalten hatte.

Allerdings war immer fraglich, was sie damit macht, dazu gaben und geben die Notenbanker nur ungern Auskunft. Doch inzwischen erfährt die Welt auf indirektem Wege, wohin das Geld fliesst, denn andere müssen von Gesetz wegen Auskunft darüber geben, wer bei ihnen investiert ist. Besonders umfassend sind dabei die Veröffentlichungspflichten in Finnland, wo Firmen regelmässig eine Liste ihrer grössten Aktionäre veröffentlichen müssen.

Schon fünftgrösster Anteilseigner bei Nokia

So wurde nun bekannt, dass die SNB beispielsweise rund 50 Millionen Euro in Aktien des finnischen Telekommunikationskonzerns Nokia investiert hat. Sie ist damit dessen fünftgrösster Anteilseigner, und hat damit allein seit Jahresbeginn einen Kursgewinn von rund acht Prozent erzielt.

Auch beim Aufzugshersteller Kone oder dem Papierproduzenten UPM ist sie gut dabei, hält 0,6 bzw. 0,4 Prozent der Aktien. Insgesamt, so hat die finnische Zeitung «Helsingin Sanomat» zusammengerechnet, stecken rund 330 Millionen Euro der SNB in finnischen Aktien.

In anderen Ländern sind die Offenlegungspflichten der Firmen weniger ausgeprägt, in Deutschland müssen sie beispielsweise die Namen der Aktionäre erst offenlegen, wenn deren Anteil die Schwelle von drei Prozent überschritten hat.

Darüber ist die SNB bisher noch nicht gelangt. Allerdings ist klar, dass sie auch in Deutschland oder anderen Ländern Aktien besitzt, denn insgesamt hat sie eigenen Angaben zufolge rund zwölf Prozent ihrer Devisenreserven darin investiert. Das entspricht rund 42 Milliarden Euro.

Die meisten Anleihen aus Triple-A-Ländern

Welche Wertpapiere sie besitzt, will die Notenbank aber nicht sagen. Eine SNB-Sprecherin erklärte lediglich, dass bei den Investitionen weitgehend die grösseren Indizes nachgebildet würden. Dabei müssen die Aktie, den eigenen Anlagerichtlinien entsprechend, Mitglieder des MSCI World Index sein. Zudem halte sich die SNB aus der Unternehmenspolitik heraus, sie sei nur ein passiver Investor.

Doch dies ist nur möglich, solange die Anlagesummen relativ gering bleiben. Je grösser sie werden, desto stärker beeinflusst ein Investor die Kurse alleine schon dadurch, dass er Geld umschichtet. Und genau dies ist inzwischen bei den Anleiheinvestitionen der Schweizer der Fall. Denn fast 90 Prozent der Devisenreserven stecken in solchen Papieren. Sie umfassen rund 310 Milliarden Euro, und mehr als 260 Milliarden davon liegen allein in Papieren mit dem Top-Rating AAA.

Davon gibt es jedoch nicht mehr allzu viele, in Europa erhalten nur noch Deutschland, Finnland, die Niederlande und Luxemburg von allen Agenturen die Bestnote. Wahrscheinlich rechnet die SNB aber auch Frankreich und die USA noch diesem Segment zu, da sie immerhin noch von einzelnen Agenturen die Höchstnote erhalten. Genaueres dazu gibt es aber aus Zürich nicht.

Beobachter gehen jedoch davon aus, dass mindestens 100 Milliarden Euro des Schweizer Staatsschatzes in deutschen Bundesanleihen stecken. Bei einem Gesamtwert dieser Papiere von rund 1,2 Billionen Euro bedeutet dies, dass Deutschlands südlicher Nachbar deutlich über acht Prozent davon besitzt. Damit lassen sich Kurse bewegen. Und genau das geschah zuletzt.

Dauerkäufer von Bundesanleihen zieht sich zurück

Denn seit sich die Eurokrise entspannt, hat auch der Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken nachgelassen. Der Euro-Kurs stieg seit Jahresbeginn erstmals wieder deutlich, bis auf 1,24 Franken je Euro. Folglich muss die SNB keine Franken mehr verkaufen, sie nimmt damit auch keinen neuen Euro ein und muss diese nicht mehr anlegen. «Ein wichtiger Dauerkäufer von Bundespapieren zieht sich daher vom Markt zurück», sagt Harald Preissler, Chefvolkswirt des Anleihenmanagers Bantleon.

Prompt haben sich daher die Renditen von Bundesanleihen mit fünfjähriger Laufzeit seit Jahresbeginn verdoppelt, von 0,3 auf 0,6 Prozent. Das ist immer noch sehr niedrig. Aber es zeigt, was alleine die Tatsache bewirkt, dass die Schweizer nicht mehr nachkaufen. Was erst wäre, wenn sie einst verkaufen, mag man sich gar nicht vorstellen.

Genau dies könnte jedoch schon bald eine attraktive Alternative werden. Denn allein durch den minimal gesunkenen Frankenkurs und die Entwicklung an den Börsen dürfte sich das Vermögen der SNB seit Jahresbeginn um rund 17 Milliarden Franken erhöht haben. Diese Gewinne stehen allerdings so lange nur in den Büchern, wie die Schweizer die Wertpapiere weiter behalten. Solange der Kurs des Franken sich nicht deutlich abschwächt, werden sie dies auch tun, um nicht eine erneute Aufwertung zu riskieren.

Hoffen auf Schweizer Verantwortungsbewusstsein

Sollte der Kurs aber erst einmal deutlich schwächer werden, dann wäre die Versuchung gross, Bundesanleihen, andere Anleihen oder Aktien, die in Euro notieren, in grossem Stil zu verkaufen und die enormen Gewinne, die sich dann ergäben, mitzunehmen. Dann könnten die Renditen für deutsche Papiere noch viel drastischer steigen, und damit beispielsweise auch die Zinsen für Baugeld, die sich daran orientieren. Aktienkurse würden bei einer solchen Verkaufswelle dagegen deutlich nachgeben, und zwar europaweit, da die SNB ja offenbar querbeet auf dem Kontinent auf Einkaufstour war.

Den Sparern Europas bleibt nur zu hoffen, dass sich die Zürcher ihrer Macht und damit ihrer Verantwortung bewusst sind und entsprechend handeln. Alternativ können sie aber auch einfach bei der Schweizerischen Nationalbank einsteigen, denn diese firmiert als Aktiengesellschaft und ist auch an der Börse notiert (Wertpapierkennnummer: 852243).

Allerdings haben die schlauen Schweizer schon eine Begrenzung eingebaut, damit nicht einfach ausländische Investoren die schönen Gewinne abschöpfen. Maximal sechs Prozent der Profite dürfen an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Der Rest geht an die Schweizerische Eidgenossenschaft.

Der Artikel erschien am 24.Januar 2013 in der Ausgabe der deutschen Tageszeitung «Die Welt»