Die weissen Stoffhandschuhe passen nicht so recht zu den Stahlkappenschuhen, der dreckigen blauen Arbeitshose und der zerschlissenen Baseballkappe. Gefühlvoll legt der Arbeiter ein Kilogramm Gold auf die Waage. Das Stück, etwas grösser als eine Tafel Schokolade, bringt an den Rohstoffbörsen mehr als 37 000 Franken. Der junge Mann mit dem Italia-T-Shirt müsste wohl mehr als ein halbes Jahr dafür arbeiten. 1000,040 Gramm zeigt die Waage. Er drückt den Barren kurz gegen eine Maschine. Die schleift ein paar Goldspäne weg. 1000,026 Gramm, noch einmal, dann ist er innerhalb der Toleranz. Hier wird nichts verschenkt. Es ist ein wertvolles Produkt, das im Tessin in der Goldraffinerie von Valcambi verarbeitet wird.

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Doch wie viel ist es wert, dieses Gold? Besonders intensiv stellen sich diese Frage Investoren. Langfristige, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten in Barren und Münzen anlegen, genauso wie kurzfristige, die auf hochgehebelte Derivate wetten und nur auf schnelle Gewinne aus sind.

Goldcrash prägt Investoren

Derzeit ist der Markt der Meinung, eine Feinunze Gold, also 31,1035 Gramm, sei 1290 Dollar wert. Am 6. September 2011 waren es deutlich mehr – für einen Bruchteil einer Sekunde 1921.15 Dollar. Danach wurde der dreizehnjährige Höhenflug des Goldes jäh beendet. Es hat allein im Vorjahr 28 Prozent an Wert eingebüsst und bei den Investoren an Glanz verloren. Bei 1196.11 Dollar fand die Korrektur am 19. Dezember 2013 ein Ende. Doch der Preisverfall hat sich in den Hirnen der Investoren eingeprägt, er ist nicht wegzuwischen wie der Reinheitsgrad auf den Goldbarren von Valcambi.

Hatte sich Gold im letzten Jahrtausend in engen Handelsspannen bewegt, ist es in den letzten Jahren zu einem Spielzeug für Hedge Funds und andere spekulative Anleger verkommen. Stephan Müller sitzt im 24. Stock des Prime Towers und blickt auf Zürich hinab. «Die Produkte haben gigantisch eingeschlagen», sagt der Entwickler von Finanzprodukten, der sich die Namen seiner beiden Kinder auf seine Hemden sticken lässt. Müller arbeitet jetzt bei Swiss & Global Asset Management, er denkt zurück an seine Zeit bei der ZKB.

Investmentfonds machen den Preis

Dort hat er Anfang 2006 mit Weggefährten wie Marc Gugerli und Oliver Holzer Exchange Traded Funds auf Gold, die sogenannten Gold-ETFs, auf den Markt gebracht. 2008 lancierte er mit dem Julius Bär Gold ETF den ersten währungsbesicherten ETF. Die mit echtem Gold hinterlegten, 24 Stunden handelbaren, hochliquiden Produkte kamen kurz vor der Finanzkrise genau zur richtigen Zeit. In einer der düstersten Epochen der Finanzgeschichte, als jeder jedem misstraute, erlebten diese ETFs einen wahren Boom. Besonders gefragt: Produkte aus dem sicheren Hafen Schweiz. 24 Milliarden Franken sammelten die ZKB und Julius Bär im Hoch mit dieser neuen Gattung von ETFs ein.

Doch die ETFs haben eines mit vielen anderen Finanzprodukten gemeinsam: Sie wirken wie Brandbeschleuniger. Bestimmte früher die Schmucknachfrage den Goldpreis, sind es seit ihrer Erfindung die ETFs. «Heute machen die Investoren die Preise», sagt Müller. Andeutungen von Investoren wie John Paulson oder George Soros bewegen die Kurse stärker als Hunderttausende Bestellungen von asiatischen Juwelieren.

Der Sturm hat sich gelegt

Im vergangenen Jahr traten die ETFs eine Verkaufslawine los. Sie warfen insgesamt 880 Tonnen Gold auf den Markt und begruben den Goldpreis unter sich. Anfang April stürzte der Kurs in nur zwei Tagen um knapp 13 Prozent in die Tiefe. Das Symbol für Reichtum und Wohlstand, fallen gelassen wie eine wertlose Zockeraktie.

Mittlerweile hat sich der Sturm gelegt. Die Verkäufe im ersten Quartal sind mit drei Tonnen überschaubar gross. Im März griffen die meisten ETFs wieder zu. «Den grossen Run auf ETFs sehen wir noch nicht», sagt ZKB-Goldexpertin Susanne Toren. Erst wenn westliche Finanzinvestoren ihre ETF-Positionen deutlich aufstocken, geht es mit dem Goldkurs wieder kräftig nach oben.

Gold als Alternative

Goldfans stellen gerne folgende Rechnung auf: Während sich das Dollarangebot seit 2000 fast verfünffachte, stieg die globale Goldmenge nur um 22 Prozent. Je mehr Papiergeld auf dem Markt, desto werthaltiger das Gold. Je stärker die US-Notenbank Fed die Geldpressen noch einbremst, desto schlechter für den Goldpreis.

Der Zusammenhang zwischen Inflation und Gold ist laut Stephan Müller nicht bewiesen. Dennoch ist er sich sicher: «Wenn der Glaube an die Verlässlichkeit des Papiergeldsystems abnimmt, kommt Gold schnell in den Fokus. Mit Gold haben wir als Alternative ein begrenztes Gut mit geldwertem Charakter.» Angst, Verunsicherung, verlorenes Vertrauen in das Finanzsystem sind die wichtigsten Treiber des Goldpreises. «Gold steigt mit der Angst», bringt es Gugerli auf den Punkt. Wie sich Versicherungen über Angst verkaufen, so ist es auch bei Gold. Steigt die Angst vor einem Kollaps des Finanzsystems, sind für Gold wieder bessere Zeiten gekommen.

Gold bleibt immer selten und begehrt

In der Branche kennt man wohlhabende Kunden, die 40 Prozent in Gold halten, und das seit Jahrhunderten. Weil Gold keine Zinsen und Dividenden abwirft, schütteln Kritiker bei einer solchen Anlagepolitik den Kopf. Doch Gold hat sich anders als viele Aktien und festverzinsliche Produkte in verschiedenen Krisen als Wertspeicher bewährt. In der Asienkrise verteuerte sich das Edelmetall in indonesischen Rupien um 400 Prozent. In der Russlandkrise 1998 legte Gold in Rubeln 350 Prozent zu. Die Rechnung geht auch sehr langfristig auf: Bekam man im alten Rom für eine Unze Gold eine gute Toga und brauchbare Sandalen, sind für dasselbe Gold heute noch ein guter Anzug und Schuhe leistbar.

Sicherheit gibt die Unzerstörbarkeit. Fast sämtliches geförderte Gold (174'100 Tonnen) ist noch erhalten. Makabres Beispiel: Der unter dem World Trade Center begrabene tonnenschwere Goldschatz der Bank of Nova Scotia wurde restlos geborgen.

Das tiefste Loch der Welt

Vom Grund der Mine bis zur Erdoberfläche könnte man den Zürcher Prime Tower, das höchste Gebäude der Schweiz, 31-mal aufeinanderstellen. Fast vier Kilometer unter der Erdoberfläche jagen bis zu 4000 Bergleute einer weniger als 80 Zentimeter dicken Schicht aus Erz, der Goldader, nach. Die Steine sind in dieser Tiefe bereits mehr als 60 Grad warm. Zur Kühlung wird Eis mit Salz geschmolzen und in das tiefste je von Menschen geschaffene Loch gepumpt. Die Mponeng-Mine, 65 Kilometer vor Johannesburg, verbraucht so viel Strom wie eine Stadt der Grösse Zürichs.

Der Aufwand der Minen wurde in den letzten Jahren immer grösser. Bei den meisten Minen kommen die Kosten laut den jüngsten Geschäftsberichten auf 1100 bis 1200 Dollar je Unze. Kritiker zeigen auf, dass selbst diese Zahlen schöngerechnet sind. Eine einfache, aber eingängige Regel für den Goldanleger hat Gugerli: «Wenn die Produktionskosten höher sind als der Metallpreis, kauft man nicht schlecht.» Je näher die Produktionskosten am Goldpreis, desto mehr Minen verschwinden aus dem Markt. Für die verbleibenden Anbieter bleibt immer weniger zu finden.

Ausverkaufte Münzhändler

2002 wurde das letzte Mal mehr Gold entdeckt als abgebaut. Die Begrenztheit der Vorkommen ist eines der Kernargumente für Gold. Anders als Papiergeld ist Gold eben nicht unbegrenzt vermehrbar. Schätzungen gehen davon aus, dass noch rund 52 000 Tonnen Gold, vor allem in Australien und Russland, verborgen sind. In den letzten Jahren holten die Minen jährlich 3000 Tonnen aus dem Boden. Machen sie so weiter, wären die Goldvorkommen in 17 Jahren abgebaut.

Während auf der Angebotsseite das Ende näher rückt, spielt die Musik auf der Nachfrageseite immer lauter. 2013 lag der Absatz von Münzen und Barren mit 1654 Tonnen auf einem Rekordniveau. Kleinanleger greifen zu. Die Goldprodukte sind nicht nur in der britischen Münzanstalt für 2014 ausverkauft. Die tragende Rolle kommt jedoch den 2,5 Milliarden Einwohnern Chinas und Indiens zu. Seit 2003 hat sich das Bruttoinlandprodukt der beiden Länder fast verfünffacht. In dieser Zeit stieg die jährliche Goldnachfrage von 800 auf 2040 Tonnen. Damit sind die beiden Märkte mit Abstand die grössten der Welt.

Goldhunger in China und Indien

Dabei hat China Indien 2013 als grössten Goldmarkt abgelöst. 1065,8 Tonnen, ein Drittel der globalen Jahresproduktion und 32 Prozent mehr als 2012, wurden dort verkauft. Wachsender Wohlstand, Verstädterung und Mangel an Anlagemöglichkeiten sind die Treiber.

Um ihren Goldhunger zu stillen, sind Chinesen sogar bereit, mehr als andere zu zahlen. Die sogenannte Shanghai-Prämie ist in der Branche ein beachteter Indikator, um die Stimmung auf dem Goldmarkt zu messen. Fünf bis sieben Dollar je Unze sind Standard, in Spitzenzeiten zahlen die Chinesen schon mal 30 Dollar. Auch wenn sich das Wachstum in China jetzt verlangsamt. Das Einkommensniveau wird steigen und damit die Nachfrage nach Gold.

Derzeit drosselt eine Goldsteuer in Indien die Nachfrage. Fällt diese wie erwartet im Sommer weg, wird das die Nachfrage beflügeln. Peter Sigg, Edelmetallexperte von LGT, sieht genau aus diesem Grund die Unze Ende Jahr bei 1450 bis 1500 Dollar.

Nacht-und-Nebel-Aktion in Kiew

Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Zwei Kleinbusse ohne Nummernschild fuhren am Kiewer Flughafen Boryspil vor. Eilig beförderten Männer vierzig Kisten in eine Frachtmaschine. Was Augenzeugen Anfang März sahen: Die neue Führung der Ukraine brachte die Goldreserven ausser Landes. Nicht nur in der Ukraine ist Gold die Substanz des Währungssystems. Dem entsprechend viel haben die Zentralbanken gebunkert. Der Schatz der US-Notenbank ist offiziell 8134 Millionen Tonnen schwer und bringt damit nur etwas weniger auf die Waage als der Eiffelturm. Die SNB rangiert an sechster Stelle. Mit solchen Mengen zählen Notenbanken neben den ETFs und Anlegern in China und Indien zu den wichtigsten Spielern am Weltmarkt.

Doch Zentralbanker sind schlechte Händler. Als die Goldpreise noch tief waren, schmissen sie die Barren palettenweise auf den Markt. Der Goldschatz der SNB schmolz von 2059 auf 1040 Tonnen. Das vor allem zwischen 2000 und 2005, einer Zeit, in der die Preise zwischen 250 und 450 Dollar lagen. Erst 2010, als Gold schon über die 1000-Dollar-Hürde sprang, griffen die Zentralbanker wieder zu. 2012, kurz vor dem Rekordhoch, wurden die umfangreichsten Käufe seit 1964 vermeldet. Vor allem Russland und China deckten sich ein. Letztere stockten ihre Goldbestände in nur vier Jahren um 1650 Tonnen auf. «Notenbanken verkaufen kaum mehr Gold. Eine Verlängerung des Washingtoner Goldabkommens, das im Herbst ausläuft, wird daher kaum mehr nötig sein», sagt ZKB-Goldexpertin Toren.

Doch den Notenbanken kommt abseits von Geldmengenausweitung und Goldhandel noch ein wichtigerer Part bei der Goldpreisfindung zu: Sie bewegen die Zinsen. Je höher das Zinsniveau, desto grösser die Alternativen an risikoarmen Anlagen. Fed-Präsidentin Janet Yellen versetzte der bis dahin laufenden Goldpreiserholung mit einem Halbsatz einen Dämpfer. Die unüberlegte und wohl falsch interpretierte Aussage vom 19. März, wonach die Zinsen in den USA schon Mitte 2015 steigen könnten, liess den Goldpreis binnen weniger Tage um 100 Dollar einbrechen.

Warten auf die Aktienbaisse

Schneller, als Inflation aufkommt, könnte die Aktienhausse enden. Langfristig haben Gold und Aktien eine leicht negative Korrelation. «Ich denke, dass wir eine schärfere Korrektur oder zumindest eine Pause der Aktienhausse sehen müssten, damit ein Goldrally losgehen kann», sagt Stöferle. Für viele Experten hat die fünfjährige Aktienhausse ihren Höhepunkt überschritten. Wird umgeschichtet, könnte das den Goldpreis deutlich in die Höhe treiben. Der Anteil des physischen Goldes am weltweiten Finanzvermögen liegt unter einem Prozent, und das inklusive der Zentralbankbestände. Aktien machen 43 Prozent, Obligationen 47 Prozent aus.

Langfristig sollte Gold an den Märkten wieder glänzen. Der Arbeiter in der Goldgiesserei von Valcambi wird noch viele Barren schleppen.

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Erich Gerbl
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