BILANZ: Herr Karrer, Konsumenten ärgern sich über die steigenden Strompreise, Unternehmer drohen mit Verlagerung, Politiker fordern Notgesetze. Was haben Sie falsch gemacht?

Heinz Karrer: Vermutlich zu wenig gut kommuniziert.

Der Boulevard wettert gegen die «Strombarone», diese
zockten die Konsumenten ab.

Die Ursachen der Preiserhöhungen sind zu komplex, um sie in einer Schlagzeile abhandeln zu können. Von Abzocken kann
keine Rede sein.

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Fakt ist: In der Zentralschweiz, wo die Axpo-Tochter CKW ein Monopol hat, steigen die Strompreise um 18 Prozent.

Die Strompreiserhöhungen bei der Centralschweizerischen Kraftwerken (CKW) sind wohlbegründet. Auch die NOK gehört übrigens zur Axpo. In deren Versorgungsgebiet, den Nordostschweizer Kantonen, haben wir keine Preiserhöhung vorgenommen. In anderen Regionen sehen wir uns aufgrund regulatorisch gewollter Umverteilungen höheren Kosten gegenübergestellt, entsprechend steigen die Stromtarife. Aber nicht wegen uns.

Sondern?

Die höheren Netzkosten entstehen unter anderem durch die Übernahme verschärfter europäischer Regularien. Hinzu kommen die Kosten für die Subventionen erneuerbarer Energien. Es sind vor allem diese Kosten, die auf die Rechnung der Haushalte und Firmen durchschlagen.

Und in der Zentralschweiz?

Wir haben mit der neu in Kraft getretenen Stromversorgungsverordnung einen neuen Verteilschlüssel beim Höchstspannungsnetz. Die Stromversorgung in ländlichen Gegenden wird dadurch teurer. Die CKW werden so mit mehreren Dutzend Millionen Franken stärker belastet, andere wie das EWZ in Zürich in zweistelliger Millionenhöhe entlastet. Entsprechend fallen die Preiserhöhungen für die Konsumenten recht unterschiedlich aus.

Also ist Swissgrid, die neue Netzgesellschaft, an den Preiserhöhungen schuld?

Nein. Ich sage nur: Die System-Dienstleistungen, die international geforderte vergrösserte Reservehaltung kosten etwas. Das sind internationale Anforderungen, die man nach den Blackouts in Europa eingeführt hat, es sind also Investitionen in die Versorgungssicherheit.

Der Endverbraucher kann diese Rechnerei offenbar nicht nachvollziehen. Immerhin hatte die Liberalisierung des Strommarktes auch zum Ziel, Kostenwahrheit wie Effizienz zu erhöhen – sowie die Preise zu senken, wie das in Deutschland oder Österreich der Fall war.

Nochmals: Die neue Verordnung sieht auch Subventionen für erneuerbare Energien vor, und zwar 0,45 Rappen je Kilowattstunde. Weiter sind im Infrastrukturbereich die Kosten gestiegen. Nehmen Sie einen Trafo: Heute sind diese Anlagen 50 Prozent teurer als noch vor einem Jahr. Dummerweise wirken jetzt alle Kostenfaktoren wie eine massive Verteuerung bei Unterhalt und Neubau im Netz oder bei Kraftwerkinvestitionen, Subventionen für erneuerbare Energien, Systemsicherheit oder Energieverknappung gleichzeitig. Das ist natürlich unschön und schwer zu kommunizieren.

Schwer kommunizierbar? Wollen die Energieanbieter in der Schweiz nicht einfach im Zug der Liberalisierung ihre Margen ausdehnen und Trittbrett fahren?

Nein.

Wie viele Ihrer drei Millionen Endkunden sind von einer Preiserhöhung betroffen?

Ich schätze, es sind ein paar hunderttausend, vor allem Haushalte in der Zentralschweiz.

Haben Sie mit derart heftigen Reaktionen gerechnet?

Ja, damit mussten wir rechnen. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die Preise bei einigen Schweizer Stromversorgern um
9 Prozent sinken, bei anderen Anbietern steigen sie indes um bis zu 40 Prozent. Bei der Axpo selbst sind die Preisanstiege über das ganze Versorgungsgebiet gesehen moderat.

Den Stahlkonzern Swiss Steel kostet die Stromverteuerung angeblich bis zu zwölf Millionen Franken. Nun denkt dieser laut über den Auszug ins Ausland nach. Ist die Strombranche ein Jobkiller?

Einerseits stellt sich die Frage, ob die regulatorischen Entscheide und die unter anderem dadurch anfallenden Kosten die Preiserhöhung der CKW rechtfertigen oder nicht.

Swiss Steel sagt Nein.

Ich sage Ja. Glücklich bin ich damit auch nicht. Zweitens dürfen wir aber feststellen, dass auch nach der Erhöhung die Preise in der Schweiz tiefer liegen als in den meisten europäischen Ländern.

Wie gross ist Ihr preislicher Spielraum nach unten?

Angesichts der zusätzlichen Kosten nehmen wir nur moderate Preisaufschläge vor. Wenn wir die Vollkosten überwälzen würden, müssten die Preissteigerungen deutlich höher ausfallen.

Jammern Sie nicht auf hohem Niveau? Nehmen wir die Ertragslage der CKW: Letztes Jahr wies die Axpo-Tochter 194 Millionen Franken Gewinn aus – eine Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren.

Die Rendite des letzten Jahres basierte auf Sondereinflüssen, nicht auf operativen Leistungen. Es geht zudem um die Einschätzung der Ertragslage von morgen und übermorgen, nicht um jene in der Vergangenheit.

Nur gibt es kaum eine Branche, die über die letzten Jahre mehr Geld verdient hat als die Stromproduzenten.

Halt! Schauen Sie zuerst einmal, wo die Gewinne anfallen. Sicher nicht im Inland, denn hier sind die Preise nur halb so hoch wie im Ausland.

Interessant ist doch nur das Axpo-Unternehmensergebnis, und zwar liegt es bei 1,4 Milliarden Franken.

Dieses Ergebnis war, wie ausgewiesen, von Sonderfaktoren geprägt. Tatsache ist: In der Schweiz können wir nur derart tiefe Energiepreise anbieten, weil wir im Ausland sehr gute Geschäfte machen und damit den Preis in der Schweiz quersubventionieren.

In der Schweiz arbeitet Axpo doch mehr als kostendeckend. Ein Grossteil des Netzes ist längst abgeschrieben.

Kostendeckend? Es findet eine Quersubventionierung statt. Unsere Vollkosten liegen über unseren Grosshandelspreisen. Dies können wir uns auf dem aktuell tiefen Level nur leisten, weil wir im Ausland Geld verdienen. Langfristig geht diese Rechnung nicht auf. Vergleichen wir doch einmal die Energiepreise: In der Schweiz liegt der Grosshandelspreis der NOK bei rund sechs Rappen je Kilowattstunde, in Europa bei acht bis neun Euro-Cent, er ist also locker doppelt so hoch.

Dann haben Sie es verpasst, Ihren Kunden beizubringen, dass Sie rund um die Uhr ein überaus günstiges Produkt liefern.

Seit Jahren sage ich, dass Strom hierzulande teurer wird. Und seit Jahren betone ich, dass wir vor allem wegen des Auslandgeschäfts unseren Aktionären, den Kantonen, günstige Energie
liefern und eine adäquate Dividende bezahlen können.

Stattdessen müssen sich die «Strombarone» nun vorhalten lassen, ihre Saläre seien zu hoch. Ihr Lohn soll innert drei Jahren um 35 Prozent gestiegen sein.

Ich werde in diesem Jahr 646  117 Franken verdienen, Bonus inklusive. Die Steigerung in den letzten drei Jahren betrug teuerungsbereinigt etwa zwei Prozent. Dies wissen alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Empörungsmanagement ist beileibe nichts Neues. Aber mit der Wirklichkeit hat das nicht viel zu tun.

Geht denn die Stromliberalisierung in der Schweiz in die richtige Richtung?

Da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe schon früher darauf hingewiesen: Es wird eine Liberalisierung beschlossen, die zu stark auf Regulation und obendrein zu wenig auf Anreize oder dann auf die falschen setzt.

Was läuft falsch?

Eine Kilowattstunde kostet den Endverbraucher ungefähr 20 Rappen. Die Kosten der Energieerzeugung beliefen sich bisher auf ungefähr sechs Rappen, das macht rund ein Drittel des Gesamtpreises aus. Gegen zwei Drittel, etwa 12 bis 14 Rappen, sind Netzkosten für den Transport zu den Kundinnen und Kunden. Im Gegensatz zur Schweiz wurde bei der Liberalisierung im Ausland eine Anreizregulierung im Netz eingebaut, die zu mehr Effizienz und tieferen Kosten führte. Damit hätte man mit Sicherheit auch bei uns einen beachtlichen Effizienzeffekt erzielt.

Hat Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer also recht, wenn er eine Gesetzesrevision verlangt?

Ja, diese Auffassung teile ich. Es gilt sicherlich, zwei Ansatzpunkte herauszustreichen: Erstens sind mehr Produktionskapazitäten in der Schweiz bereitzustellen, und zweitens ist das Netz durch Benchmarking und Anreizregulierung effizienter zu gestalten.

Ist nach diesen negativen Erfahrungen eine Liberalisierung im Telekom- und im Postmarkt politisch überhaupt durchsetzbar?

Die Beantwortung dieser Fragen überlasse ich gerne der Politik.

Sie tragen allerdings selber zur Konfusion bei. Alte Kraftwerke sollen vom Netz gehen und durch neue ersetzt werden. Die Axpo will in Mühleberg und Beznau neue AKW bauen, die Atel in Gösgen.

Diese Diskussion halten wir auch nicht für glücklich. Wir sind jedoch in Verhandlung und hoffen auf eine Lösung.

Sie sind selber vorgeprellt.

Nein. Das Rahmenbewilligungsgesuch wurde von der Atel eingereicht. Das bedaure ich, zumal wir uns mitten in einem Verhandlungssprozess befanden. Allerdings hoffe ich nach wie vor auf eine Brancheneinigung.

Wann?

Wir reden miteinander. Ende Jahr werden Axpo und BKW Rahmenbewilligungsgesuche für zwei Ersatzkernkraftwerke einreichen. Ich bin optimistisch, dass wir die für die Versorgungssicherheit notwendigen Produktionskapazitäten zeitgerecht bereitstellen können.

Streit um AKW, Streit um Stromtarife – viel lieber ist Ihnen Ihr Lieblingsprojekt Trans Adriatic Pipeline (TAP).

Ein äusserst wichtiges Projekt für die Schweiz.

Mit dem TAP-Projekt machen Sie Weltpolitik.

TAP wird die Versorgungssituation der Schweiz mit Gas mittelfristig wesentlich verbessern.

Sie haben mit Iran einen langfristigen Gasliefervertrag abgeschlossen, nun bauen Sie auch noch die Pipeline dazu, eben die TAP.

Unsere Tochterfirma EGL hat mit der nationalen iranischen Gasexportgesellschaft (Nigec) einen Liefervertrag abgeschlossen, dann planen wir mit einem erfahrenen Partner – der norwegischen StatoilHydro – ein Pipeline-Projekt. Da in Zukunft viele Gas-Kombikraftwerke gebaut werden, welche die Kohlekraftwerke, die deutlich mehr CO2 emittieren, ersetzen, wird Gas in ganz Europa verstärkt nachgefragt.

Mit Gas aus Iran.

Die grossen Gasreserven liegen insbesondere in Russland und in Iran. Wir wollen mit unserem norwegischen Partner einen vierten Korridor nach Europa aufbauen. Dieser Korridor ist für ganz Europa und deshalb auch für uns in der Schweiz wichtig.

Also doch Welt-Energiepolitik?

Energie spielt zunehmend eine weltpolitische Rolle. Tatsache ist auch, dass Gas und Öl aus politisch eher instabilen Regionen stammen. Wir beziehen Gas auch vom russischen Lieferanten Gazprom, mit sehr positiven Erfahrungen.

Mit Iran respektive der TAP steigt Ihr unternehmerisches Risiko. Die TAP soll zwei Milliarden kosten.

Unser Risiko ist begrenzt, wir werden uns höchstens mit 50 Prozent am TAP-Projekt beteiligen. Zudem ist der grösste Teil fremdfinanziert. Deshalb dürfte sich unser Engagement höchstens auf wenige hundert Millionen Franken belaufen.

Das erinnert an die fatalen Beispiele Swisscom und Swissair, da hat man sich auch in riskanten Auslandgeschäften verrannt.

Weder kaufen wir ausländische Versorgungsunternehmen, noch beteiligen wir uns daran. Wir betreiben seit Jahrzehnten internationalen Energiehandel, unterstützt durch Kapazitätsengagements in ausgewählten Ländern Europas. Unser Versorgungsauftrag bleibt auf die Schweiz konzentriert.

Das Gas aus Iran, das durch die TAP fliessen soll, wird
nicht in Schweizer Gaskraftwerken, sondern in italienischen verbrannt.

Erstens brauchen wir das Gas, um die Gas-Kombikraftwerke und damit den Energiehandel erfolgreich zu betreiben. Zweitens benötigen wir das Gas für Schweizer Kunden.

Wie lange wird der ehemalige Fussball-Nationaltrainer Köbi Kuhn noch für Axpo werben?

Nach der Europameisterschaft ist die Kampagne mit ihm ausgelaufen. Aber er bleibt uns verbunden.

Wollen Sie nun Ottmar Hitzfeld als Axpo-Aushängeschild
einspannen?

Nein. Aber wir drücken ihm und der Nati die Daumen!

Heinz Karrer ist CEO der Axpo Holding mit Sitz in Baden. Der 49-Jährige war bei Intersport, Swisscom und Ringier in Kaderpositionen tätig. Heute sitzt er unter anderem im VR von Kuoni, Swissgrid, SRG und Luzerner Medien Holding. Er ist in Winterthur aufgewachsen und begann ein Studium an der Hochschule St.  Gallen.