BILANZ: In der Schweiz wurde kürzlich darüber abgestimmt, ob künftig alle Arbeitnehmer sechs Wochen Ferien haben sollten. Die Vorlage wurde abgelehnt. Wie hätten die Franzosen gestimmt?

Henri Giscard d’Estaing: Die Franzosen hätten wahrscheinlich «Ja» gestimmt. Doch es stellt sich die Frage, was man sich leisten kann. Die Schweizer sind da sehr diszipliniert. Wohl deshalb haben sie Nein gesagt.

Wie viele Ferien haben Sie persönlich?

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Mein Ferienbudget ist beschränkt. Ich reise zwar viel für den Club Med, aber mit der Familie komme ich vielleicht auf knapp fünf Wochen pro Jahr.

Wann haben Sie Ihre letzten Ferien in der Schweiz verbracht?

Das ist erst ein paar Wochen her. Ich fahre jedes Jahr zum Skifahren nach Cervinia. Von da wechsle ich dann gerne auf die Schweizer Seite, nach Zermatt. Es geht nichts über eine schöne Abfahrt dort und ein Mittagessen in einem Bergrestaurant.

Nach jahrelangen Verlusten hat der Club Med im abgelaufenen Geschäftsjahr erstmals einen kleinen Gewinn geschrieben. Wie haben Sie die Trendwende geschafft?

Das Unternehmen wurde in den letzten Jahren komplett neu positioniert. Einerseits haben wir unsere Clubdörfer einem Upgrade unterzogen. Das heisst, wir konzentrieren uns auf das obere Segment, also Clubs, die nach unserem System mit vier oder fünf Tridents bewertet werden. Zum andern galt es, die Abhängigkeit vom Heimmarkt Frankreich zu reduzieren. Das ist uns gelungen. Die Hälfte unseres Gewinns machten wir letztes Jahr mit unseren Aktivitäten in Asien und den USA.

Der Turnaround kam in einem für den Tourismus äusserst schwierigen Jahr. Überrascht Sie das?

Nein. Es ist eine Bestätigung, dass die Strategie auch unter schlechten Rahmenbedingungen funktioniert. Ohne den Arabischen Frühling, Fukushima und die Schuldenkrise in Europa hätten wir sicher noch mehr Erfolg gehabt. Und wir werden uns dieses Jahr weiter steigern, wenn keine dramatischen Ereignisse passieren.

Sie wurden in der Vergangenheit von einzelnen Aktionären heftig kritisiert für den Kurswechsel beim Club Med. Ist die Rückkehr in die Gewinnzone auch ein persönlicher Triumph?

Ich habe nicht den persönlichen Erfolg gesucht. Mein Ziel war es, ein Unternehmen neu zu definieren, das in den fünfziger Jahren den Ferienmarkt mit der All-Inclusive-Formel revolutionierte. Das war eine harte Entscheidung. Wir mussten die Hälfte unserer Resorts schliessen. Die Aufwertung der Clubdörfer kostete eine Milliarde Euro. Kritisiert wurde vor allem, dass meine Strategie riskant sei. Und das stimmt – sie war riskant. Aber Unternehmer müssen Risiken eingehen, wenn sie überleben wollen.

Frankreich wählt bald einen neuen Staatspräsidenten. Was erwarten Sie von ihm?

Europa steht vor grossen wirtschaftlichen Herausforderungen. Als Unternehmer hoffe ich, dass der Präsident alles tut, um sie zu bewältigen. Sie werden von mir aber sicher nicht hören, wen ich wähle.

Von welchen Herausforderungen sprechen Sie?

Von der Schuldenkrise, ganz klar. Ob man problemlos zu Geld kommt oder nicht, verändert die Sicht der Dinge enorm. Ich habe das selber erlebt, als es dem Club Med schlecht ging. Da waren wir bei den Banken nicht mehr so willkommen.

Sie stammen aus einer politischen Familie. Diskutieren Sie die Wahlen mit Ihrem Vater, der mittlerweile 86 Jahre alt ist?

Selbstverständlich. Als ich selber noch politsch aktiv war, hatten wir intensive Diskussionen. Ein starkes, geeintes Europa war bekanntlich ein wichtiges Anliegen von ihm. Heute interessiert mich die Meinung meines Vaters vor allem in geschäftlichen Dingen. Gerade zu China hatte er erstaunlich visionäre Ansichten.

Soll der Staat zur Wirtschaftsankurbelung eher Geld ausgeben oder vielmehr zunächst einmal seine Schulden wegsparen?

Die Kunst besteht darin, beides zur selben Zeit zu tun. Beim Club Med mussten wir Clubdörfer schliessen und gleichzeitig in neue Märkte investieren.

In der Schweiz konnte der Club Med die Zahl der Kunden um 1000 auf 28 000 steigern. Eine relativ bescheidene Zahl, einst waren es 30 000. Sind Sie damit zufrieden?

Natürlich wollen wir das Geschäftsvolumen aus der Schweiz steigern. Aber es braucht Geduld. Durch die Neupositionierung und die Schliessung so vieler Clubs haben wir massiv Kundschaft verloren – auch in der Schweiz. Wir müssen ein anderes Publikum gewinnen, das sich im Vier- und Fünfsternesegment bewegt. Da sind wir auf gutem Weg.

Wenn der Club Med nun für höhere Qualität steht, sollte er vielleicht auch wieder ein Reisebüro an der Zürcher Bahnhofstrasse haben, wie das vor vielen Jahren einst der Fall war. Bestehen solche Pläne?

Für die Zukunft ist das eine verführerische Idee, derzeit aber möchten wir unsere Partnerschaften mit den Reisebüros intensivieren und uns dort verstärkt in Form des Shop-in-Shop-Konzepts präsentieren.

Aktuell gibt es in der Schweiz drei Club Med: in Wengen, St. Moritz und Villars. Bestehen noch immer Pläne, ein viertes Resort in Verbier zu eröffnen?

Verbier bleibt ein Thema, aber die ursprünglich vorgesehene Location steht nicht mehr zur Verfügung. Oberste Priorität hat derzeit die Aufwertung und Renovation unseres Clubs in St. Moritz. Wir müssen uns dort möglichst schnell dem Niveau der internationalen Kundschaft anpassen.

Was halten Sie vom Projekt von Samih Sawiris, der in Andermatt ein gigantisches Ferienresort baut?

Samih Sawiris ist nicht nur ein guter Freund von mir, sondern auch ein Geschäftspartner. Wir haben mit Sawiris’ Unternehmen Orascom verschiedene Projekte realisiert, zum Beispiel einen Club Med im Sinai. Auch in Südmarokko und in Oman arbeiten wir zusammen.

Hätten Sie den Mut, einen Club Med in Andermatt zu eröffnen?

Samih und ich haben mal darüber gesprochen. Aber es passte nicht. Unsere Resorts müssen an Orten sein, die leicht zu erreichen sind. Der Zugang ist sehr wichtig für unsere Gäste.

Grosse Hoffnungen setzen Sie auf China. Haben Sie deshalb den chinesischen Investor Fosun ins Aktionariat geholt?

Wir sind bereits seit 30 Jahren in Asien präsent. In China wollten wir unbedingt die Ersten sein. Als China im Jahr 2003 beschloss, den Bürgern auch Individualreisen statt nur Gruppenreisen zu erlauben, eröffneten wir sofort ein Verkaufsbüro in Shanghai, und wir gehörten damit zu den Pionieren. Damals herrschte der Glaube vor, dass die Chinesen gar nie Ferien machen. Dabei haben sie drei Wochen pro Jahr zur Verfügung. Da steckt ein Riesenpotenzial.

Und Fosun soll helfen, dieses Potenzial zu erschliessen?

Fosun investiert in Unternehmen, die im Schnitt deutlich schneller wachsen als China selbst. Das Luxussegment im Tourismus erfüllt diese Kriterien. Und Club Med hat klare Ziele: Im Jahr 2015 soll China unser zweitwichtigster Markt hinter Frankreich sein. Unsere Zielgruppe ist die Oberschicht Chinas, das sind 0,2 Prozent der Bevölkerung. 10 bis 15 Prozent dieser Zielgruppe möchten wir für uns gewinnen.

Warum sollen die Chinesen ausgerechnet im Club Med Ferien machen wollen?

Wir Europäer haben noch immer das Bild des Chinesen, der Europa unauffällig in der Gruppe in zehn Tagen bereist. Doch die Ansprüche der Chinesen sind gestiegen. Sie suchen heute, genau wie wir, Erholung in schönen Resorts am Strand oder in den Bergen, sie wollen Spas, Unterhaltung, Kinderbetreuung. Dafür ist unsere Ferienformel ideal.

Wie sagt man GO (Gentil Organisateur – Animateur im Club Med) auf Mandarin?

(lacht) Sie heissen auch für die Chinesen GO.

Europa steckt nicht nur in einer Wirtschafts-, sondern auch in einer Identitätskrise. Ist die EU ein Auslaufmodell?

Überhaupt nicht. Europa hat zwei Herausforderungen. Zum einen gilt es, die Probleme mit der gemeinsamen Währung zu lösen. Zum anderen müssen die Mitgliedsstaaten über ihre gemeinsamen Werte nachdenken. Wofür steht Europa, und wofür soll es stehen? Es gibt sehr wohl gemeinsame Werte, Freiheit zum Beispiel. Auf dieser Basis kann Europa weiterentwickelt werden.

Sind die Präsidentschaftswahlen unter diesem Aspekt wegweisend?

Wahlen sind immer wichtig. Bei den gegenwärtigen Unsicherheiten erst recht.

Ist Club Med auf ein Szenario ohne den Euro als Gemeinschaftswährung vorbereitet? Ihr Mitbewerber TUI beispielsweise hat sich mit der Frage auseinandergesetzt.

Nein, wir glauben nicht an dieses Szenario und haben es deshalb auch nicht vorbereitet. Der Euro wird bleiben.

Club Med ist in Investorenkreisen eine Art Wanderpokal. Die Firma gehörte einst der Rothschild-Gruppe, Aktionäre waren die Familie Agnelli, der Accor-Konzern, Bernard Tapie. Wie erklären Sie sich dieses rege Interesse?

Club Med ist der einzige wirklich global präsente Reiseveranstalter, wir verfügen über extrem viel Know-how im Bereich Clubferien, und es ist uns gelungen, unsere traditionellen Werte erfolgreich in eine neue Welt zu transferieren. Das macht uns attraktiv.

Präsidentensohn und Ferienmanager
Henri Giscard d’Estaing (55) ist seit 2002 CEO des französischen Clubferien-Pioniers Club Med. Der Sohn von Valéry Giscard d’Estaing (französischer Präsident 1974 bis 1981) war in jungen Jahren bürgerlicher Abgeordneter im Département Loir-et-Cher, verliess dann aber die Politik. Club Med setzte 2011 in über 70 Clubdörfern 1,5 Milliarden Euro um. Grösster Einzelaktionär mit 10 Prozent ist seit 2011 der chinesische Mischkonzern Fosun.