BILANZ: Herr Zintzmeyer, Ende März verlassen Sie Ihr Unternehmen Interbrand Zintzmeyer & Lux. Warum?

Jörg Zintzmeyer: Ich habe mich mit dem Thema Rücktritt beschäftigt, seit ich mit Anfang vierzig erste gesundheitliche Probleme bekommen habe. Viele meiner Kollegen haben den richtigen Moment, von der Bühne abzutreten, verpasst, das sollte mir nicht passieren. So habe ich mir vorgenommen, meine Nachfolge im Alter von 50 Jahren geregelt zu haben. Ich habe verschiedene Optionen geprüft und mich dann 1996 dafür entschieden, mein Unternehmen in ein Netzwerk einzubringen. Damals gab ich mir zehn Jahre Zeit, mich zurückzuziehen. Nun ist es so weit.

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Warum zehn Jahre, Sie sind doch erst 58?

Wissen Sie, den richtigen Zeitpunkt gibt es ohnehin nicht. Ich wollte mir einfach eine Grenze setzen. Nach dem Verkauf habe ich mich gezielt vom Tagesgeschäft zurückgezogen und mich aufs Verwaltungsratspräsidium beschränkt.

Klingt einfach, ist es aber wohl nicht.

Die Ablösung war tatsächlich nicht einfach, aber als langer Prozess gestaltbar. Nicht zuletzt war auch mein Management daran interessiert, dass es funktioniert. Ich habe mich bewusst zurückgenommen und bei operativen Entscheiden oft nur zugeschaut, selbst wenn ich nicht einverstanden war.

Als was haben Sie sich denn in den letzten Jahren empfunden?

Das habe ich mich oft auch gefragt. Von meinem Selbstverständnis her war ich nach wie vor ein Unternehmer, aber in den Entscheiden nicht mehr unbedingt. Meine Rolle war manchmal schwierig zu definieren.

Gab es Momente, in denen Sie sofort aufhören wollten?

Nein, ich habe auch nicht die Tage gezählt. Im Gegenteil, mir wurde erst letzten Sommer wieder bewusst, dass die zehn Jahre bald vorbei sind und damit die Zeit gekommmen ist, mein Lebenswerk loszulassen.

Gab es einen Anlass dafür?

Ja. Ich war zum letzten Mal in der Toskana auf meinem Landgut und wusste, dass ich es aus persönlich-familiären Gründen loslassen musste. In diesen Tagen wurde mir auch klar, dass es Zeit wird, mich von meinem Unternehmen zu lösen.

Räumen Sie wirklich Ihr Büro?

Klar, am 31. März 2006 wird alles geräumt sein. Aber ich stehe der Firma auf Mandatsbasis weiterhin zur Verfügung.

Was machen Sie nachher?

Seit ich Anfang der neunziger Jahre die Schweizer Banknoten entwickelte, befasse ich mich intensiv mit der Sicherheit von Markenprodukten. Fälschungen von Marken sind ein grosses Thema in der Markenwelt. Es wird angenommen, dass fünf bis sieben Prozent der weltweit gehandelten Güter gefälscht sind. Das entspricht einem Gegenwert von 300 bis 500 Milliarden Franken. Bis heute gibt es keine wirksame Lösung dafür. Nicht zuletzt deshalb, weil jeder ein eigenes Vorgehen sucht. Ich habe eine holistische Sicherheitsplattform entwickelt und dafür eine Unternehmensstruktur unter der Marke Originize gegründet. Mehr will ich noch nicht sagen.

Warum haben Sie nochmals eine Firma gegründet? Sie hätten sich auch dem Privatleben widmen können.

Ich kann mir gar nicht vorstellen, mich aus der Markenwelt zu verabschieden, dafür ist sie für mich viel zu spannend. Ich befasse mich ständig mit der Wahrnehmung von Dingen. Ich kann gar nicht anders. Dazu kommt, dass es Markenberater je länger, je mehr braucht. Denn die Unternehmenswelt hat sich dramatisch verändert. Früher war der Unternehmer die Marke, er gab der Firma mit seinem Wirken eine Identität. Im Zuge der Globalisierung haben sich Unternehmen aber von den Unternehmern wegentwickelt – bis zu dem Punkt, wo der Unternehmer vom Manager ersetzt wurde.

Ist es überhaupt noch möglich, einer globalen Firma eine Identität zu verpassen?

Möglich ja, aber sehr viel schwieriger als früher. In einem globalen Unternehmen wandert Kommunikation, und damit auch Teile der Markenführung, in die einzelnen Märkte ab. Die zentrifugalen Kräfte führen dazu, dass die Marke ihre Homogenität verliert, sowohl inhaltlich als auch formal. Dafür ein werteorientiertes Markenmanagement zu entwickeln, war schon immer mein zentrales Anliegen.

Was macht eine Marke zur Marke?

Drei einfache Prinzipen: Erstens die Ausrichtung auf ganz klar definierte Werte; das dürfen höchstens drei sein. Zweitens muss der Markenauftritt weltweit einheitlich sein, damit die Leistungen wiedererkannt werden. Drittens muss die Erlebniswelt, die für eine Marke und das Unternehmen steht, konsequent und ständig neu belebt und gepflegt werden.

Wie sind Sie auf diese Erfolgsformel gekommen?

Als ich in England als junger Mann für Volkswagen arbeitete, überlegte ich mir Folgendes: Wenn Design eine Wirkung hat, muss ich mir vorher überlegen, welche Wirkung es überhaupt erzeugen soll. Das war sozusagen meine unternehmerische Mission. Aber als ich mich in den siebziger Jahren in Zürich selbständig machte, konnte niemand damit etwas anfangen. Es war allen viel zu abstrakt.

Sind Sie damals richtig auf Akquisitionstour gegangen?

Klar. Mit dem Begriff Corporate Identity, den niemand verstand, und einem Startkapital von 16 000 Franken ging ich auf Akquisitionstour und wurde belächelt und abgewiesen. Es lief am Anfang gar nicht so, wie ich erhofft hatte.

Wie schafften Sie den Durchbruch?

Mit dem Auftrag des Liechtensteiner Unternehmens Hilti, das in der Befestigungstechnik tätig ist. Ich erstellte für Hilti Schweiz anfänglich markenorientierte Produkteliteratur. Als mein Auftraggeber innerhalb des Konzerns Karriere machte, zog er mich mit, und wir machten dann den ganzen Markenauftritt. Später kam BMW hinzu, dank Kontakten, die ich zu meinen Zeiten bei Volkswagen aufgebaut hatte. Von da an ging alles schnell. Ich war bald mit dem Problem konfrontiert, das Wachstum zu finanzieren.

Hilti ist ein Glücksfall für einen Corporate Designer: Der Unternehmer repräsentiert das Unternehmen mit seinem eigenen Namen. In den neunziger Jahren sind Firmen mit Kunstnamen wie Novartis entstanden, bei denen gar nicht mehr erkennbar ist, was dahintersteckt.

Der Fantasiename ist nicht das Problem. Er ist bloss das Markenzeichen, quasi das Gefäss, in das man die Erlebnisse ablegt, die man mit dieser Marke hat. Es sind die Erlebnisse, die man mit der Marke macht, die eine Marke ausmachen.

Was heisst das in Bezug auf Novartis?

Manager und Mitarbeiter müssen sich bemühen, dass sich die Menschen eine Vorstellung vom Unternehmen machen können. Dazu gehört, dass sie die Werte, für die das Unternehmen stehen soll, wieder und wieder thematisieren.

Vielen Leuten kommt beim Namen Novartis zunächst Folgendes in den Sinn: Novartis gleich Herr Vasella gleich Abzocker.

Tja, mit dieser Wahrnehmung liegen sie gar nicht so falsch. Denn Novartis ist Herr Vasella. Die Kommunikation bei Novartis wird sehr stark auf Herrn Vasella fokussiert. Das kann zu einem Problem werden.

Die Rolle des CEO in der Öffentlichkeit ist enorm wichtig geworden. Was können Sie mit Ihrer Corporate Identity noch ausrichten, wenn sich alles auf die Person an der Spitze fokussiert?

Es darf nicht sein, dass sich ein Unternehmer so gebärdet, dass sein Verhalten mit der Marke nicht übereinstimmt.

Dann müssten Sie am besten direkt den CEO beraten, anstatt Logos zu entwickeln.

Man kann unter Ausschluss des obersten Managements keine Marke entwickeln.

Geht Ihre Dienstleistung so weit, dass Sie Verhaltensregeln aufstellen für den CEO?

Ich sehe das anders: Die Marke sollte so stark sein, dass sie den richtigen CEO und die richtigen Mitarbeiter anzieht. Nur so kommen die Leute, die sich mit den Werten des Unternehmens identifizieren.

Nennen Sie uns ein gutes Beispiel.

BMW. Hier ist es gelungen, Führungskräfte zu gewinnen, die sich ganz mit dem Unternehmen identifizieren.

Wie weit identifizieren Sie sich persönlich mit Ihren Kunden?

Sehr weit. Ich fahre BMW, seit ich für BMW tätig bin, und dies, obschon ein Aston Martin meiner Persönlichkeit noch gerechter würde.

Und wie steht es um Ihre Identifikation, wenn sich die Dinge negativ entwickeln? Sie haben die Umwandlung von Oerlikon-Bührle zu Unaxis geprägt. Was empfinden Sie, wenn Sie sich die Ereignisse um Unaxis vergegenwärtigen?

Wir sind nicht mehr für Unaxis tätig – das sagt schon einiges. Ich bin nicht einer, der ein Projekt annimmt, eine Rechnung schreibt und sich dann wieder aus dem Unternehmen verabschiedet. Ich fühle mich nachhaltig verantwortlich für eine Marke. Man muss sie ständig mit Inhalt füllen, ständig aktualisieren.

Sie haben den neuen Auftritt des Baukonzerns Implenia geschaffen. Das Logo – ein Margritli auf schwarzem Grund – hat bei der Lancierung Gelächter ausgelöst. Wie sind Sie darauf gekommen?

Implenia ist weit mehr als ein Bauunternehmen, es befasst sich mit vielem, von der Planung von Objekten über deren Erstellung bis zu ihrer Verwertung und Bewirtschaftung. Der neue Auftritt soll auf keinen Fall die Vorstellung von dreckiger Arbeit hervorrufen, das war eine strategische Vorgabe. Wir wollten das Unternehmen ganz anders positionieren als die Konkurrenz und stellten nicht die technokratische Leistung in den Vordergrund, sondern die Beziehung zum Menschen: Wie man sich bettet, so liegt man. Wie man baut, so lebt man.

Wie kommt man dann auf ein Margritli?

Suchen Sie mal ein Symbol fürs Leben.

Die Sonne.

Klar, das wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Aber das Margritli ist ein Sympathieträger, der fürs Leben steht. Leben ist bauen. Wenn man etwas tut, das fürs Leben ist, muss man das auch ausdrücken. Um zu vermitteln, dass Implenia mit währschaftem Handwerk zu tun hat, setzten wir die Blume auf einen schwarzen Hintergrund.

Implenia ist ein klassisches Beispiel dafür, wie sehr sich die Marken schon von den Produkten entfernt haben.

Ich würde es anders formulieren: Die Marke ist ein Vorreiter dessen, was das Produkt sein soll. Sie macht auch den Mitarbeitern bewusst, dass ihr Unternehmen nicht mehr das ist, was es einst war.

Sie sprechen voller Engagement von dem Mandat. Waren Sie direkt involviert?

Das Margritli war meine Idee. Nachdem wir Hunderte von Würfeln und Brücken entworfen hatten, die man schon überall gesehen hat, sagte ich: Jetzt denken wir einmal ganz anders.

Wie haben Sie den Kunden davon überzeugt?

Ich habe ihn überzeugt, weil ich vom strategischen Wert der Idee überzeugt bin.

Implenia und Margritli klingen nach Slipeinlagen.

Sehen Sie, dann haben Sie ja Assoziationen, die aus dem Leben sind. In drei Jahren wird sich niemand mehr darüber ereifern, oder anders herum: Ist für Sie der Paradiesapfel von Apple heute noch ein Thema? Und vergessen Sie nicht, dass wir dadurch eine grosse Aufmerksamkeit erregten, die Geld spart. Viel Geld.

Sind Sie stolz auf das Margritli?

Selbstverständlich. Es ist eine Leistung, so etwas zu erschaffen und durchzusetzen. Auch auf das Magenta bei der Deutschen Telekom bin ich stolz. Hier habe ich Dinge wesentlich mitgeprägt und verändert. Ich behaupte auch, dass wir den Autohandelsbetrieb nachhaltig verändert haben, als wir bei BMW etwas Neues eingeführt haben: Wir waren mit BMW die Ersten, die Werkstatt, Ersatzteillager und Verkaufslokal in ein und demselben Kundenbereich als eine Gesamtleistung erlebbar machten. Inzwischen haben dies alle Autohersteller kopiert.

Im Fall Implenia hagelte es Kritik, auch bei Ihren Kreationen Unaxis und SAirGroup ging ein Aufschrei durchs Volk. Wie gehen Sie damit um?

Ich muss widerstandsfähig sein, und ich bin es. Die Kritik rührt meistens von einer Abneigung gegen Veränderungen her. Menschen sind von Natur aus bewahrend. Ich aber sehe es als Teil meiner Profession, sinnvolle Veränderungen herbeizuführen. Nehmen Sie die Deutsche Telekom, für die wir einen Auftritt in Magenta entwickelten. Das war ein unglaublich mutiger Entscheid des Managements. Damals fanden es alle verheerend, und heute will jeder Magenta erfunden haben. Wenn Sie etwas Neues in die Welt setzen, ruft das Widerstand hervor. Aber es ist genau der Widerstand, der das Profil bringt und auch die Aufmerksamkeit, die sehr wertvoll ist, um etwas Neues zu verankern.

Durch Ihren Abgang erfährt auch Interbrand Zintzmeyer & Lux eine massive Veränderung. Der Name soll nach Ihrem Rücktritt bestehen bleiben. Warum?

Dieser Name ist eine Marke, die für den Erfolg von Interbrand in unserem Markt bedeutend ist. Und dieser Erfolg interessiert mich auch noch so lange, bis der Name irgendwann abgekoppelt wird.

Was wird sich bei Interbrand Zintzmeyer & Lux ändern, wenn Sie zur Tür raus sind?

Zum Beispiel wird man hier künftig auch Teilprojekte machen, denn auch damit lässt sich Geld verdienen. Ich wollte das nie, mich haben vor allem Aufträge interessiert, bei denen der ganzheitliche Anspruch eine nachhaltige Rolle spielte. Ich strebe nicht nach Erfolg per se, sondern nach Nachhaltigkeit im Erfolg. Die heutigen Manager, die von Quartalsausweis zu Quartalsausweis hecheln, können diese Nachhaltigkeit gar nicht mehr wahrnehmen.

Lehnen Sie Aufträge ab, wenn sie nicht nachhaltig sind?

Als sich unser Kunde Nespresso nicht in unserem Sinn entwickelte, haben wir die Zusammenarbeit beendet. Ich war damals nicht damit einverstanden, wie anfänglich mit dem Problem der Aluminiumkapseln umgegangen wurde. Das sah man später ein und korrigierte es entsprechend. Mir geht es nicht darum, schöne Konzepte zu erstellen, sondern eine Markenwelt zu erschaffen, die für glaubwürdige Werte steht.

Dem Bestreben läuft der «Geiz ist geil»-Trend derzeit diametral entgegen.

Dieser Trend widerstrebt mir sehr. Er führt letztlich zu einem unverantwortlichen Raubbau an unseren Lebensgrundlagen. Ich bin absolut dafür, dass Produkte teurer werden. So bekämen sie wieder einen Wert, und die Menschen würden wieder mehr Sorge tragen und bewusster konsumieren. Das gilt für Dienstleistungen genauso. Auch die Billigflüge sind für mich fragwürdig.

Sie haben sich viel erarbeitet und können sich ein Leben in Luxus leisten. Welches war der Preis Ihres Erfolgs?

Der Luxus «Zeit». Ich habe Zeit verpasst mit meinen beiden Töchtern. Als mich meine Frau vor zehn Jahren verliess, musste ich plötzlich mit meinen Kindern «kutschieren». Diese Auseinandersetzung war etwas vom Besten, was mir je passierte. Sonst habe ich nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Marken waren und sind dafür Kompensation genug.

Iris Kuhn Spogat
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